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Pressefreiheit und das Rezo-Video: Die Übertragbarkeit presserechtlicher Regelungen aus dem analogen auf den digitalen Bereich – ein Nachschlag 

Viel diskutiert wurde über das Video des Youtubers Rezo kurz vor der Europawahl, in dem dieser die Klimapolitik der Großen Koalition in 55 Minuten scharf kritisierte und ausdrücklich von einer Wahl der Parteien CDU/CSU, SPD sowie der AfD abriet. Das Video wurde bereits vor der Wahl fast 15 Millionen Mal angesehen. Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Parteichefin, forderte daraufhin, man müsse über die Anwendbarkeit der im analogen Bereich geltenden presserechtlichen Regelungen auf das Internet nachdenken. Wenn 70 Zeitungsredaktionen kurz vor einer Wahl dazu aufriefen, bestimmte Parteien nicht zu wählen, sei dies klare „Meinungsmache“. Im nachfolgenden Beitrag soll in diesem Zusammenhang erläutert werden, welchen gesetzlichen Regelungen Journalisten im analogen Bereich überhaupt unterliegen und unter welchen Voraussetzungen es geboten erscheint, sie auf die Verbreitung von Informationen im Netz anzuwenden.

In der digitalen Welt ist es mithilfe von Intermediären wie etwa Youtube und Facebook für den Einzelnen möglich geworden, Äußerungen jeder Art massenhaft zu verbreiten und somit ohne Zwischenschaltung einer Redaktion ungeprüfte Inhalte einer beachtlichen Zahl von Konsumenten zugänglich zu machen. Umfragen haben ergeben, dass bereits 21,6% der 14- bis 29-jährigen in Deutschland Youtube als tägliche Informationsquelle nutzt, Tendenz steigend. Dies entspricht mehr als der Gesamtauflage aller deutschen Tageszeitungen. Hinzu kommt, dass die Intermediäre mithilfe ihrer Algorithmen entscheidend über die Auffindbarkeit sowie die Reichweite der auf ihren Plattformen geteilten Inhalte bestimmen und nicht etwa auf inhaltliche Vielfältigkeit, sondern lediglich auf die Relevanz der Beiträge abstellen. Daher stellt sich die Frage, wie der potenziellen Meinungsmacht der Intermediäre juristisch begegnet werden kann. Die immense Reichweite einzelner Privatpersonen, die öffentlich im Netz auftreten und ihre Inhalte dort verbreiten, legt zudem eine Angleichung an Regelungen für analoge Medien insofern nahe, als dass für diese bislang ein deutlich strengerer Sorgfaltsmaßstab für ihr journalistisches Arbeiten gilt.

Die Einhaltung presserechtlicher Standards wird für die Presse vom Presserat und für den privaten Rundfunk von den Landesmedienanstalten überwacht. Letztere sind zwar generell auch für die Überwachung des Medienangebots im Internet zuständig, doch beschränkt sich ihr Aufgabenbereich etwa auf die Einhaltung des Jugendschutzes und des Schleichwerbeverbots und umfasst gerade nicht das Einschreiten bei Gefahr durch Desinformation im Netz, sodass bislang eine Regelungslücke besteht, die möglicherweise jedoch im neuen Rundfunkstaatsvertrag behoben wird, über den zurzeit beraten wird.

In Deutschland existiert grundsätzlich kein Verbot einer politischen Positionierung oder gar Wahlempfehlung für die Presse. Dies entspringt unmittelbar der grundgesetzlich verankerten Pressefreiheit in Art.5 Abs.1 S.2 GG. Zwar ist in der Richtlinie 1.2. des Pressekodex‘ vorgesehen, „dass die Presse in der Wahlkampfberichterstattung auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt“, doch ist der Kodex nicht verbindlich. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist jedoch in §11 Abs.2 RStV zum Grundsatz der Objektivität und zur Unparteilichkeit der Berichterstattung verpflichtet und darf somit keine politische Position beziehen. Gekaufte, d.h. bezahlte Werbung, die nicht als solche gekennzeichnet ist, ist untersagt. Sowohl für den öffentlich-rechtlichen als auch für den privaten Rundfunk gelten gemäß §10 RStV bestimmte Sorgfaltspflichten, wie etwa die Pflicht zur sorgfältigen Recherche und zur Überprüfung von Quellen sowie die Zitattreue. Die Anforderungen an diese journalistischen Sorgfaltspflichten hängen im Einzelnen stark von der jeweiligen Eingriffsintensität ab; je schwerer der Eingriff wiegt und je niedriger das Informationsinteresse der Allgemeinheit an den verbreiteten Inhalten, desto höhere Anforderungen sind zu stellen. Ihren Ursprung hat der Schutz von in Presseerzeugnissen genannten Personen im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das einen Eingriff in die Rundfunkfreiheit rechtfertigen kann.

Genannte Sorgfaltspflichten gelten für Telemedien wie Videos gemäß §54 Abs.2 S.1 RStV jedoch nur, wenn diese journalistisch-redaktionell ausgestaltet sind. Ein Youtuber wird nicht grundsätzlich journalistisch-redaktionell tätig, selbst wenn er über eine immense Reichweite verfügt und sich zu politischen Themen öffentlich äußert. Daher ist es höchst fraglich, ob Rezo mit seinem Video überhaupt den Sorgfaltspflichten des §54 Abs.2 S.1 RStV unterliegt. Die Vorschrift lässt mit dem auslegungsbedürftigen Begriff der „journalistisch-redaktionell gestalteten Angebote“ nicht erkennen, ob die Sorgfaltspflichten auch für journalistische Laien wie Rezo verpflichtend gelten sollen. Folge einer solchen Übertragung von Sorgfaltspflichten auf Laien wäre wiederum ein Eingriff in die Rundfunkfreiheit aus Art.5 Abs.1 S.1 GG, wobei die „laienjournalistische Sorgfaltspflicht“ unter die Schranke der in Art.5 Abs.2 Var.1 GG genannten allgemeinen Gesetze fallen würde. Sie müsste insofern wiederum im Lichte der den Medien verbürgten Freiheiten ausgelegt werden, sodass es erneut zu einer Abwägung zwischen Allgemeininteresse an der verbreiteten Information und der jeweiligen Eingriffsintensität käme.

Hinsichtlich des vom Youtuber Rezo veröffentlichten Videos lässt sich festhalten, dass dies mit über 250 Quellen belegt wurde und somit den Sorgfaltsanforderungen des §54 Abs.2 S.1 RStV genügt, selbst wenn das Video als „journalistisch-redaktionell gestaltetes Angebot“ im Sinne der Vorschrift eingestuft würde. Der von Annegret Kramp-Karrenbauer vorgebrachte Vorwurf der „Meinungsmache“ verfängt insofern nicht, als dass es gerade Aufgabe der Medien ist, zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Sämtliche im Video angeführten Informationen sind mit Quellen belegt und für jedermann nachprüfbar, sodass von einer manipulativen Einwirkung auf die Konsumenten keine Rede sein kann.

Für die Zukunft erscheint angesichts der wachsenden Anzahl und Bedeutung privater Internetkanäle die Etablierung von Kontrolleinrichtungen wünschenswert, die innerhalb klarer gesetzlicher Rahmenbedingungen die Einhaltung journalistischer Sorgfaltspflichten im Internet überprüfen können. Hierbei sollte eine Neufassung des §54 Abs.2 S.1 RStV erwogen werden, die eindeutige Kriterien für das Vorliegen „journalistisch-redaktionell gestalteter Angebote“ aufstellt oder diesen Begriff vollständig ersetzt.

Autor: Lennart Weis

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