Hier eine aktuelle Pressemitteilung des EuGH:
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-406/10
SAS Institute Inc.
Presse und Information
Nach Ansicht des Generalanwalts Herrn Bot können die Funktionalitäten eines
Computerprogramms und die Programmiersprache nicht durch das Urheberrecht
geschützt werden
Der Quellcode eines Programms kann unter bestimmten Voraussetzungen vervielfältigt werden,
um die Interoperabilität dieses Programms mit einem anderen Programm zu gewährleisten
Die SAS Institute Inc. hat das SAS-System entwickelt, eine integrierte Sammlung von
Programmen, die es den Benutzern ermöglicht, Arbeiten im Bereich der Verarbeitung und Analyse
von Daten, insbesondere statistischen Daten, zu verrichten. Der zentrale Bestandteil des
SAS-Systems ist Base SAS. Es ermöglicht den Benutzern, Anwendungsprogramme (auch “scripts”
genannt) zu schreiben und zu benutzen, die in der SAS-Programmiersprache geschrieben wurden,
die die Datenbearbeitung ermöglicht. Die Funktionalität von Base SAS kann durch die Benutzung
zusätzlicher Komponenten erweitert werden.
Wenn die Kunden von SAS Institute ihre in SAS-Sprache geschriebenen Anwendungsprogramme
benutzen oder neue erstellen wollten, hatten sie grundsätzlich keine andere Möglichkeit, als die
Lizenzen immer wieder zu erneuern, um die notwendigen Komponenten des SAS-Systems
benutzen zu können. Ein Kunde, der zur Software eines anderen Lieferanten übergehen wollte,
hätte seine existierenden Anwendungsprogramme in einer anderen Sprache neu schreiben
müssen, was erhebliche Investitionen erfordern würde.
Die World Programming Limited (WPL) erkannte, dass es einen Markt für eine alternative Software
geben könnte, mit der in SAS-Sprache geschriebene Anwendungsprogramme benutzt werden
könnten. Sie hat also ein Produkt mit der Bezeichnung World Programming System (WPS)
geschaffen. Dieses bildet einen großen Teil der Funktionalitäten der SAS-Komponenten nach,
wobei das Ziel darin besteht, dass die Anwendungsprogramme der Kunden, wenn sie mit WPS
betrieben werden, genauso funktionieren, wie wenn sie mit den SAS-Komponenten betrieben
werden. Damit ihr Programm Zugang zu den zuvor beim Kunden im SAS-Format abgelegten
Daten hat und diese bearbeiten kann, hat WPL das Programm außerdem so eingerichtet, dass es
dieses Datenformat verstehen und interpretieren kann, um die Interoperabilität zwischen den
beiden Programmen zu gewährleisten.
Obwohl keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass WPL Zugang zum Quellcode1 der
SAS-Komponenten gehabt oder diesen kopiert haben könnte, erhob SAS Institute im Vereinigten
Königreich Klage auf Feststellung, dass die Handlungen von WPL ihre Urheberrechte an ihren
Computerprogrammen verletzen. Vor diesem Hintergrund legt der High Court of Justice (Chancery
Division), bei dem die Klage anhängig ist, dem Gerichtshof mehrere Fragen zur
Vorabentscheidung vor, damit dieser den Umfang des rechtlichen Schutzes präzisiert, den das
Unionsrecht und insbesondere die Richtlinie 91/250/EWG2 Computerprogrammen gewähren.
Der Quellcode, der dem Computerprogramm zugrunde liegt, wird vom Programmierer erstellt. Dieser aus Worte gebildete Code ist für den Menschen lesbar. Er kann jedoch auf der Maschine nicht ausgeführt werden. Damit er ausgeführt werden kann, muss er in binärer Form in die Maschinensprache übersetzt werden, meist mit den Ziffern 0
und 1. Dies wird als Objektcode bezeichnet.
In seinen heute vorgelegten Schlussanträgen weist Generalanwalt Yves Bot zunächst darauf hin,
dass der durch die genannte Richtlinie gewährte Schutz für alle Ausdrucksformen von
Computerprogrammen gilt, nicht aber für Ideen und Grundsätze, die irgendeinem Element eines
Computerprogramms zugrunde liegen. Er ist daher der Ansicht, dass sich der Schutz eines
Computerprogramms auf die Textelemente dieses Programms d. h. den Quellcode und
den Objektcode erstreckt, aber auch auf jedes sonstige Element, in dem sich die
Kreativität des Urhebers ausdrückt.3
Was erstens die Funktionalität eines Computerprogramms angeht, so definiert der
Generalanwalt diese als die Gesamtheit der Möglichkeiten, die ein Datenverarbeitungssystem
bietet, mit anderen Worten, die Leistung, die der Benutzer von ihm erwartet.
Von diesem Begriffsverständnis ausgehend vertritt der Generalanwalt die Auffassung, dass die
Funktionalitäten eines Computerprogramms als solche nicht durch das Urheberrecht
geschützt werden können. Die Funktionalitäten eines Computerprogramms sind nämlich durch
ein bestimmtes und begrenztes Ziel bestimmt. Hierin kommen sie Ideen nahe. Es kann daher
mehrere Computerprogramme geben, die dieselben Funktionalitäten bieten. Ließe man zu, dass
eine Funktionalität eines Computerprogramms als solche geschützt wird, würde man
demnach zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung die
Möglichkeit eröffnen, Ideen zu monopolisieren.
Dagegen können die Wege, die eingeschlagen werden, um zu einer Konkretisierung der
Funktionalitäten eines Programms zu gelangen, urheberrechtlich geschützt werden.
Kreativität, Können und Erfindungsgeist kommen nämlich in der Art und Weise zum
Ausdruck, wie das Programm ausgearbeitet ist, d. h., wie es geschrieben ist. So kann die Art
und Weise, wie die Formeln und Algorithmen zusammengefügt sind z. B. der Stil, in dem das
Computerprogramm geschrieben ist , Ausdruck einer eigenen geistigen Schöpfung des Urhebers
und damit geschützt sein.
Der Generalanwalt ist daher der Auffassung, dass die Vervielfältigung eines wesentlichen Teils der
Ausdrucksform der Funktionalitäten eines Computerprogramms, ebenso wie dies bei den
sonstigen Werken, für die ein Schutz durch das Urheberrecht in Betracht kommt, der Fall ist, eine
Verletzung des Urheberrechts darstellen kann. Seiner Ansicht nach muss im vorliegenden Fall das
nationale Gericht prüfen, ob WPL durch Vervielfältigung der Funktionalitäten des
SAS-Systems in seinem Computerprogramm einen wesentlichen Teil der Elemente des
SAS-Systems, die die eigene geistige Schöpfung von SAS Institute zum Ausdruck bringen,
übernommen hat.
Der Generalanwalt ist zweitens der Ansicht, dass eine Programmiersprache als solche nicht
durch das Urheberrecht geschützt werden kann. Da die Programmiersprache ein Element ist,
mit dem der Maschine Befehle erteilt werden können, muss sie z. B. der Sprache eines
Romanautors gleichgesetzt werden. Die Programmiersprache ist somit das Mittel, um sich
auszudrücken, nicht aber die Ausdrucksform selbst.
Schließlich macht der Generalanwalt einige Ausführungen zu der Frage, ob WPL den Code von
SAS vervielfältigen oder die Codeform des SAS-Datenformats in sein Programm übersetzen
durfte, um die Interoperabilität zwischen dem SAS-System und seinem WPS zu gewährleisten.
Er vertritt insoweit die Ansicht, dass ein Benutzer, der über eine Lizenz zur Benutzung eines
Computerprogramms verfügt, unter zwei Voraussetzungen ohne Erlaubnis des Autors den
Code dieses Programms vervielfältigen oder die Codeform eines Datenformats dieses
Programms übersetzen kann, um in seinem eigenen Computerprogramm einen Quellcode
U. a. ist vorbereitendes Entwurfsmaterial, wenn es die Schaffung eines solchen Computerprogramms ermöglicht, auch
durch das Urheberrecht an dem Computerprogramm geschützt. Bei diesem Material kann es sich z. B. um eine Struktur
oder um ein Flussdiagramm handeln, die vom Programmierer ausgearbeitet worden sind und die in Quell- oder
Objektcode übertragen werden können, so dass das Computerprogramm von der Maschine ausgeführt werden kann.
Ein solches vom Programmierer erstelltes Flussdiagramm ist mit dem Drehbuch eines Films vergleichbar (Rn. 62 und 63
der Schlussanträge in der Rechtssache C-393/00).
zu schreiben, der dieses Datenformat lesen und schreiben kann. Zum einen muss diese
Handlung absolut unerlässlich sein, um die erforderlichen Informationen zur Herstellung der
Interoperabilität zwischen den Elementen der verschiedenen Programme zu erhalten. Zum
anderen darf diese Handlung nicht dazu führen, dass dieser Benutzer den Code des
Computerprogramms in seinem eigenen Programm vervielfältigen kann, was das nationale Gericht
zu prüfen hat.
HINWEIS: Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des
Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die
betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem
bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach
der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen
Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung
des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere
nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext der Schlussanträge wird am Tag der Verlesung auf der Curia-Website veröffentlicht
1. Richtlinie des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. L 122, S. 42).
Quelle: curia.europa.eu