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Schmähkritik – Verletzung der Meinungsfreiheit durch Falschbeurteilung als Schmähkritik

Zu der immer wieder von Gerichten vorgenommenen Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und dem Schutz der Ehre des von einer Äußerung Betroffenen hat nun das Bundesverfassungsgericht Stellung genommen (Beschluss v. 14.06.2019, Az. 1 BvR 2433/17). Grundsätzlich ist auch eine Beleidigung vom Schutzbereich der in Art.5 Abs.1 GG verankerten Meinungsfreiheit umfasst, sodass eine Abwägung zwischen der möglichen Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit des Äußernden mit der Ehrverletzung der von der Äußerung betroffenen Person stattfindet. Handelt es sich allerdings bei der Äußerung um sogenannte Schmähkritik, bei der die diffamierende Herabsetzung des Betroffenen im Vordergrund steht und kein Sachbezug zu erkennen ist, ist keine Abwägung vorzunehmen, da bereits der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nicht eröffnet ist.

Im vorliegenden Fall hat das BVerfG der Verfassungsbeschwerde eines wegen Beleidigung gem. §185 StGB Verurteilten stattgegeben, der die Verhandlungsführung einer Amtsrichterin mit nationalsozialistischen Sondergerichten und Hexenprozessen verglichen hatte. In der Begründung eines Ablehnungsgesuchs schilderte er ausführlich seinen Eindruck, die Richterin habe einen vom Beklagten benannten Zeugen einseitig zu seinen Lasten vernommen und diesem die von ihr erwünschten Antworten gleichsam in den Mund gelegt. Er führte weiter aus, „die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch die Richterin sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen“ erinnerten stark an „einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten“. Die gesamte Verhandlungsführung der Richterin habe „eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren“ erinnert. Wegen dieser Äußerungen verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen. Berufung, Revision und Anhörungsrüge des Beschwerdeführers blieben erfolglos. Die Fachgerichte beurteilten die Äußerungen als Schmähkritik, da ihnen jeglicher sachliche Bezug zum konkreten Prozessvorgang fehle und die Diffamierung der betroffenen Amtsrichterin im Vordergrund stehe.

Das BVerfG stellt zunächst erneut klar, dass die Meinungsfreiheit aus Art.5 Abs.1 GG durch Vorschriften der allgemeinen Gesetze, etwa der in §185 StGB geregelten Beleidigung, eingeschränkt werden kann, sofern die Ehrbeeinträchtigung die drohende Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit im Falle der Sanktionierung der Äußerung überwiegt. Insbesondere die Kritik an staatlichen Maßnahmen ohne Furcht vor daraus folgenden Sanktionen gehöre jedoch zum Kernbereich der Meinungsfreiheit, der auch das Recht auf polemische Zuspitzungen umfasse. Einen Sonderfall stelle lediglich die Schmähkritik dar, bei der eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht stets entfalle. Deshalb seien für deren Annahme strenge Maßstäbe anzusetzen, welche die Fachgerichte in ihren Urteilen verkannt hätten. Zu Unrecht hätten sie die Äußerungen des Beschwerdeführers als Schmähkritik eingeordnet und einen sachlichen Bezug verneint. Mit seinen Vergleichen habe er sich auf den gegen ihn geführten Zivilprozess bezogen und diese im Rahmen der Begründung eines Befangenheitsgesuches angestellt, sodass ein Sachbezug sehr wohl vorliege. Zudem seien die Äußerungen gegen die Verhandlungsführung als solche und nicht gegen die Amtsrichterin als Person gerichtet gewesen. Eine vordergründige Diffamierung könne folglich nicht erkannt werden. Vergleiche mit dem Nationalsozialismus oder das Unterstellen einer „mittelalterlichen“ Gesinnung begründeten für sich genommen noch nicht die Annahme von Schmähkritik.   

Außerdem rügt das BVerfG die Ausführungen des Landgerichts bezüglich der möglichen Wahrnehmung berechtigter Interessen in §193 StGB, welche rechtfertigende Wirkung für den Beleidigungstatbestand entfalten kann.  Zwar hebe das Landgericht insoweit zutreffend das besondere Interesse des Beschwerdeführers an der Verteidigung seiner Rechtsansichten im „Kampf ums Recht“ hervor und berücksichtige zu seinen Gunsten, dass die Äußerungen Dritten gegenüber nicht bekannt wurden. Indem es demgegenüber dann aber geltend mache, dass die gewählten Formulierungen für die Verteidigung der Rechtsansichten nicht erforderlich gewesen seien, knüpft es an seinem unzutreffenden Verständnis des Begriffs der „Schmähung“ als Ehrbeeinträchtigung, die durch die Sache nicht mehr geboten ist, an und verkennt, dass der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seiner Meinungsfreiheit nicht auf das zur Begründung seiner Rechtsansicht Erforderliche beschränkt werden darf.

Der Beschluss macht erneut deutlich, welch hohe Anforderungen an das Vorliegen von Schmähkritik geknüpft werden. Die in Art.5 Abs.1 GG geschützte Meinungsfreiheit umfasst auch Äußerungen, die moralisch verwerflich erscheinen mögen, soweit ein sachlicher Bezug hergestellt werden kann und davon Betroffene nicht vordergründig herabgesetzt werden sollen.

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Autor: Lennart Weis

Jüdemann Rechtsanwälte

Link zum Bundesverfassungsgericht

 

 

 

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