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Eine Verwertungsgesellschaft wie die GEMA unterliegt nur dann keinem Abschlusszwang, wenn eine missbräuchliche Ausnutzung des faktischen Monopols ausscheidet und vorrangige berechtigte Interessen ausnahmsweise entgegen stehen. Dies ist nach hier vertretener Ansicht nicht der Fall, wenn der Antragsteller GEMA Zahlungen in der Vergangenheit nicht oder nur unregelmäßig gezahlt hat.

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 22. April 2009 den Ausnahmecharakter einer solchen Verweigerung ausdrücklich herausgestellt.

Auf Seite 2 folgt die Entscheidung:

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

I ZR 5/07 Verkündet am:
22. April 2009
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

 

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: ja

BGHR: ja

Seeing is Believing

UrhWG § 11 Abs. 1

a) Die Pflicht der Verwertungsgesellschaft, aufgrund der von ihr wahrgenommenen Rechte jedermann auf Verlangen zu angemessenen Bedingungen Nutzungsrechte einzuräumen, besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn im Einzelfall eine missbräuchliche Ausnutzung der faktischen Monopolstellung der Verwertungsgesellschaft ausscheidet und diese dem Verlangen auf Einräumung von Nutzungsrechten vorrangige berechtigte Interessen entgegenhalten kann.

b) Die Beurteilung, ob eine sachlich gerechtfertigte Ausnahme vom Abschluss-
zwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG gegeben ist, erfordert eine Abwägung der
Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der Zielsetzung des Urhe-
berrechtswahrnehmungsgesetzes sowie des Zweckes der grundsätzlichen
Abschlusspflicht der Verwertungsgesellschaft.

c) Die Verwertungsgesellschaft darf die Einräumung von Nutzungsrechten da-
nach dann verweigern, wenn der Interessent an der von ihm beabsichtigten
Ausübung der begehrten Nutzungsrechte aus Rechtsgründen gehindert ist,
weil es dazu der Einräumung weiterer Nutzungsrechte bedarf, die er nicht er-
langen kann.

BGH, Urteil vom 22. April 2009 – I ZR 5/07 – OLG München

LG München I

 


Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 22. April 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlan-
desgerichts München vom 16. November 2006 wird auf Kosten
der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1

Die Klägerin möchte einen Tonträger (CD) mit zwölf Musikstücken unter
dem Titel „Seeing is Believing“ herstellen und verbreiten. Sänger, teilweise
auch Komponist und Textdichter ist der Streithelfer der Beklagten Xavier
Naidoo (im Weiteren: Streithelfer). Die Musikstücke waren von der Klägerin be-
reits 1993 in den USA mit dem Streithelfer als Sänger aufgenommen worden;
damals war eine CD mit dem Titel „KOBRA“ erstellt worden. Grundlage war ein
Künstlerexklusivvertrag zwischen der Klägerin und dem Streithelfer vom 23. Juli
1993.

2

Die Klägerin hat bei der Beklagten, der Gesellschaft für musikalische
Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA), die die Rechte
der Komponisten, Textdichter und Musikverleger wahrnimmt, unter Verwendung


des Formulars der Beklagten „Lizenzantrag Tonträger – Verbreitung an das
Publikum zum persönlichen Gebrauch“ die Erteilung einer Lizenz für die Her-
stellung des Tonträgers beantragt. Die Beklagte hat die Erteilung der beantrag-
ten Lizenz mit der Begründung abgelehnt, der Streithelfer sehe durch eine Ver-
öffentlichung des Tonträgers sein Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt.

3

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin
eine Lizenz für den Tonträger „Seeing is Believing“ mit den zwölf Musikstücken
Zug um Zug gegen Zahlung der Lizenzgebühr in Höhe von 6.420 € zu erteilen.
Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt (OLG Mün-
chen GRUR-RR 2007, 186 = ZUM 2007, 152). Mit ihrer vom Senat zugelasse-
nen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt die Kläge-
rin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

4

I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Lizenz nach § 11
Abs. 1 UrhWG. Zur Begründung hat es ausgeführt:

5

Der Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG könne im Einzelfall mit
Rücksicht auf entgegenstehende berechtigte Interessen der Verwertungsge-
sellschaft und/oder des Berechtigten aufgehoben sein. Ein solcher Ausnahme-
fall liege hier vor. Die Beklagte nehme die ihr vom Streithelfer übertragenen
Rechte gemäß § 1 des Berechtigungsvertrags vom 13. /15. Februar 1998 als
Treuhänderin wahr. Im Hinblick auf ihre Treuhänderstellung könne sie dem An-
spruch der Klägerin auf Erteilung der begehrten Lizenz jedenfalls den vom


Streithelfer geltend gemachten Missbrauchseinwand (§ 242 BGB) entgegenhal-
ten. Die Klägerin benötige für eine Lizenz für die Herstellung eines Tonträgers
entsprechend dem Inhalt der CD „KOBRA“ neben einem Nutzungsrecht bezüg-
lich der Urheberrechte auch das Leistungsschutzrecht oder ein Nutzungsrecht
hinsichtlich dieses Leistungsschutzrechts, das der Streithelfer als ausübender
Künstler erworben habe und das sich darauf erstrecke, den Tonträger, auf den
die Darbietung aufgenommen worden sei, zu vervielfältigen und zu verbreiten.
Der Streithelfer lehne es ab, der Klägerin das für die Vervielfältigung und Ver-
breitung der CD erforderliche Leistungsschutzrecht als Sänger zu übertragen
oder ein diesbezügliches Nutzungsrecht einzuräumen. Ein solches Recht stehe
der Klägerin auch nicht bereits aufgrund des Künstlerexklusivvertrags mit dem
Streithelfer vom 23. Juli 1993 zu; diese Vereinbarung sei wegen Sittenwidrigkeit
nichtig. Bei dieser Sach- und Rechtslage stehe dem Anspruch der Klägerin auf
Erteilung der beantragten Lizenz nach § 11 Abs. 1 UrhWG der von der Beklag-
ten im Hinblick auf ihre Treuhänderstellung geltend gemachte Missbrauchsein-
wand entgegen.

6

Es könne daher dahinstehen, ob die Beklagte auch deshalb berechtigt
sei, die Erteilung der beantragten Lizenz zu verweigern, weil dem Vortrag des
Streithelfers ein Rückruf wegen gewandelter Überzeugung nach § 42 Abs. 1
UrhG zu entnehmen sei, den die Beklagte im Hinblick auf den urheberpersön-
lichkeitsrechtlichen Charakter des Rückrufsrechts wegen gewandelter Über-
zeugung beachten müsse. Ferner könne dahinstehen, ob die Feststellungen
des Landgerichts zur Veröffentlichung der CD „KOBRA“ in den USA und zur
Zustimmung des Streithelfers hierzu rechtsfehlerfrei getroffen worden seien.

7

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
keinen Erfolg.


8

1. Die Vorinstanzen sind mit der Klägerin davon ausgegangen, dass die
urheberrechtlichen Nutzungsrechte der jeweiligen Komponisten, Textdichter
und Musikverlage an den zwölf Musikstücken, deren Einräumung die Klägerin
von der Beklagten zu dem Zweck begehrt, den Tonträger „Seeing is Believing“
herzustellen und zu vertreiben, gemäß § 1 UrhWG von der Beklagten wahrge-
nommen werden und diese daher nach § 11 Abs. 1 UrhWG grundsätzlich ver-
pflichtet ist, der Klägerin die begehrten Nutzungsrechte zu angemessenen Be-
dingungen einzuräumen.

9

2. Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht angenommen, dass trotz
des nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht eingeschränkten Abschlusszwan-
ges eine Verpflichtung der Verwertungsgesellschaft zur Rechtseinräumung
ausnahmsweise nicht besteht, wenn sie sich auf berechtigte Interessen berufen
kann, die dem Verlangen des Antragstellers nach § 11 Abs. 1 UrhWG entge-
genstehen.

10

a) Der Abschlusszwang nach § 11 UrhWG ist nach der Begründung des
Regierungsentwurfs des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes eine notwendi-
ge Folge der Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften (vgl. BT-
Drucks. IV/271, S. 17). Von der Einräumung eines gesetzlichen Monopols zu-
gunsten der Verwertungsgesellschaften ist allerdings abgesehen worden. Eine
gesetzlich gewährleistete Monopolstellung der Verwertungsgesellschaften folgt
auch nicht mittelbar aus ihrer Treuhandstellung in Bezug auf die ihnen zur
Wahrnehmung übertragenen Schutzrechte. Zwar stehen den Urhebern und
sonstigen Schutzrechtsinhabern Ausschließlichkeitsrechte in Bezug auf ihre
Werke und sonstigen Schutzgegenstände zu. Der jeweilige Schutzrechtsinha-
ber kann jedoch, ohne einem Kontrahierungszwang unterworfen zu sein, frei
entscheiden, ob und gegebenenfalls wem er Nutzungsrechte einräumen will.
Beauftragt er eine Verwertungsgesellschaft mit der Wahrnehmung seiner Nut-

zungsrechte, kann allein die aus dem Wahrnehmungsauftrag als solchem fol-
gende Treuhandstellung einen Kontrahierungszwang der Verwertungsgesell-
schaft nicht begründen. Die jeweilige Verwertungsgesellschaft, die nach § 6
Abs. 1 UrhWG auf Verlangen der Rechteinhaber zur Wahrnehmung aller Rech-
te und Ansprüche verpflichtet ist, die zu ihrem Tätigkeitsbereich gehören, er-
langt jedoch durch die Vereinigung der Rechte zahlreicher Urheber in ihrer
Hand faktisch eine Monopolstellung für eine Vielzahl gleicher Rechte und, wenn
– wie in Deutschland – für eine oder mehrere Arten von Schutzrechten nur je-
weils eine Verwertungsgesellschaft besteht, das tatsächliche Monopol für alle
Rechte dieser Art überhaupt (vgl. auch BT-Drucks. IV/271, S. 9). Die Regelung
des § 11 UrhWG soll im öffentlichen Interesse verhindern, dass diese tatsächli-
che Monopolstellung zum Nachteil der Allgemeinheit ausgenutzt wird, indem
etwa den Verwertern urheberrechtlich geschützter Werke für die Einräumung
der erforderlichen Rechte unangemessen hohe Vergütungen abgefordert oder
in sonstiger Weise unbillige Bedingungen gestellt werden (BT-Drucks. IV/271,
S. 9 f., 17). Der Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG folgt somit nicht aus
den der Verwertungsgesellschaft zur Wahrnehmung übertragenen urheber-
rechtlichen Nutzungsrechten als solchen, sondern aus ihrer faktischen Mono-
polstellung. Sie konkretisiert und verstärkt die Abschlusspflicht, die die Verwer-
tungsgesellschaft als Unternehmen mit beherrschender Stellung bereits nach
den allgemeinen Vorschriften (vgl. Art. 82 EG, §§ 19, 20, 33 GWB, §§ 826, 249
BGB) treffen kann.

11

b) Aus dem dargelegten Zweck des § 11 Abs. 1 UrhWG, einen Miss-
brauch der (tatsächlichen) Monopolstellung der Verwertungsgesellschaft zu ver-
hindern, wird mit Recht hergeleitet, dass eine Abschlusspflicht der Verwer-
tungsgesellschaft ausnahmsweise nicht besteht, wenn im Einzelfall eine miss-
bräuchliche Ausnutzung der Monopolstellung ausscheidet und die Verwer-
tungsgesellschaft dem Verlangen auf Einräumung von Nutzungsrechten vor-

rangige berechtigte Interessen entgegenhalten kann (allg. Ansicht; vgl. OLG
Hamburg NJW-RR 1999, 1133, 1136; OLG München GRUR 1994, 118, 120;
Gerlach in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 11 WahrnG Rdn. 8;
Melichar in Loewenheim, Handbuch des Urheberrechts, Kap. 48 Rdn. 12;
W. Nordemann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 11
UrhWahrnG Rdn. 3; Schricker/Reinbothe, Urheberrecht, 3. Aufl., § 11 WahrnG
Rdn. 8; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl., § 11 UrhWG Rdn. 5; Seifert in
Schmid/Wirth/Seifert, UrhG, 2. Aufl., § 11 UrhWahrnG Rdn. 10; Steden in
Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medien-
recht, § 11 WahrnG Rdn. 3; Zeisberg in Dreyer/Kotthoff/Meckel, Urheberrecht,
2. Aufl., § 11 WahrnG Rdn. 3). Es entspricht allgemeinen Grundsätzen, dass
ein aus der Monopolstellung eines Unternehmens hergeleiteter Kontrahierungs-
zwang entfällt, wenn eine missbräuchliche Ausnutzung der Monopolstellung
nicht gegeben ist, weil es an einer unbilligen Behinderung fehlt oder die unter-
schiedliche Behandlung von Nachfragern sachlich gerechtfertigt ist (vgl. § 20
Abs. 1 GWB). An den Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG sind, auch
wenn das Gesetz eine derartige Beschränkung nicht ausdrücklich vorsieht, kei-
ne strengeren Anforderungen zu stellen. Schon nach dem Wortlaut des § 11
Abs. 1 UrhWG besteht die Abschlusspflicht der Verwertungsgesellschaften
nicht einschränkungslos; vielmehr müssen sie die von ihnen wahrgenommenen
Nutzungsrechte nur zu angemessenen Bedingungen einräumen. Aus der Be-
gründung des Regierungsentwurfs ergibt sich, dass damit nicht nur die Ange-
messenheit der geforderten Vergütung gemeint ist. Die betreffende Verwer-
tungsgesellschaft braucht dem Verlangen eines Antragstellers, ihm Nutzungs-
rechte einzuräumen, vielmehr auch dann nicht nachzukommen, wenn die Ein-
räumung in sonstiger Weise mit unangemessenen Bedingungen verbunden wä-
re. Der Abschlusszwang nach § 11 UrhWG soll allgemein (nur) verhindern,
dass von der Verwertungsgesellschaft unbillige Bedingungen gestellt werden
(vgl. BT-Drucks. IV/271, S. 9 f.). Folgt aus der tatsächlichen Monopolstellung


der Verwertungsgesellschaft nur die Pflicht, die wahrgenommenen Rechte nicht
missbräuchlich auszuüben, darf sie einem Interessenten die Einräumung der
von ihr wahrgenommenen Rechte auch dann verweigern, wenn dafür ein sach-
lich gerechtfertigter Grund besteht.

12

3. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis mit Recht angenommen, dass
die Beklagte im Streitfall das Verlangen der Klägerin, ihr die beantragten Nut-
zungsrechte zur Herstellung des Tonträgers „Seeing is Believing“ einzuräumen,
aus berechtigten Gründen ablehnen darf.

13

a) Die Beurteilung, ob eine sachlich gerechtfertigte Ausnahme von dem
Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG gegeben ist, erfordert eine Abwä-
gung der Interessen der Beteiligten unter Berücksichtigung der Zielsetzung des
Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes sowie des Zweckes der grundsätzlichen
Abschlusspflicht der Verwertungsgesellschaft. Im Rahmen dieser Interessen-
abwägung hat das Berufungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass die Klä-
gerin an der beabsichtigten Herstellung des Tonträgers, für die sie die Einräu-
mung der beantragten Nutzungsrechte begehrt, aus Rechtsgründen gehindert
ist, weil an den Musikstücken, die der Tonträger wiedergeben soll, Leistungs-
schutzrechte des Streithelfers bestehen, die in seiner Person als ausübendem
Künstler der betreffenden Darbietungen entstanden sind, und weil die Klägerin
insoweit nicht über die für die Herstellung des Tonträgers erforderlichen Nut-
zungsrechte verfügt.

14

aa) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des
Berufungsgerichts weigert sich die Naidoo Records GmbH, deren alleiniger Ge-
sellschafter der Streithelfer ist und der er sämtliche Leistungsschutzrechte über-
tragen hat, der Klägerin die für die Herstellung und Verbreitung des beabsichtig-
ten Tonträgers erforderlichen Rechte nach § 77 Abs. 1 UrhG einzuräumen.


15

bb) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Kläge-
rin die entsprechenden Leistungsschutzrechte nicht bereits durch den mit dem
Streithelfer geschlossenen Künstlerexklusivvertrag vom 23. Juli 1993 erworben
hat. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass diese Vereinbarung wegen
Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1, § 139 BGB insgesamt nichtig ist. Die da-
gegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben ohne Erfolg.

16

(1) Das Berufungsgericht hat sich zur Begründung seiner Auffassung auf
die Erwägungen im Urteil des Landgerichts Mannheim vom 16. April 2004
– 7 O 210/03 – sowie im Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. Juni
2005 – 6 U 109/04 – bezogen und sich diese Erwägungen zu eigen gemacht.
Gegen diese Bezugnahme ist aus Rechtsgründen nichts einzuwenden. Das Be-
rufungsgericht hat die Urteile genau bezeichnet, auf deren Erwägungen es zu-
rückgegriffen hat. Die genannten Entscheidungen sind in einem zwischen der
Klägerin und dem Streithelfer geführten Rechtsstreit ergangen und vom Streit-
helfer mit Schriftsätzen vom 2. Juni 2004 und vom 15. September 2005 in das
vorliegende Verfahren eingeführt worden. Entgegen der Auffassung der Revisi-
on ist es insoweit ohne Bedeutung, dass die Wirksamkeit des Vertrags vom
23. Juli 1993 in dem früheren Verfahren nur eine Vorfrage darstellte und daher
von der Rechtskraft der in jenem Verfahren ergangenen Urteile nicht erfasst
wird. Das Berufungsgericht hat sich nicht als durch die Rechtskraft der früheren
Entscheidungen gebunden angesehen. Es hat vielmehr die Frage der Wirk-
samkeit des Vertrags selbständig beurteilt und sich lediglich hinsichtlich der
Darlegung der Gründe für seine Beurteilung, der Vertrag sei wegen Sittenwid-
rigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, in verfahrensrechtlich zulässiger Weise
auf die Erwägungen in den den Parteien bekannten Entscheidungen des Land-
gerichts Mannheim und des Oberlandesgerichts Karlsruhe bezogen (vgl. BGH,
Urt. v. 8.11.1990 – I ZR 49/89, NJW-RR 1991, 830).


17

(2) Es handelt sich insoweit auch nicht um eine unter Verstoß gegen
Art. 103 Abs. 1 GG ergangene Überraschungsentscheidung des Berufungsge-
richts. Die Beklagte und der Streithelfer hatten sich schon in erster Instanz unter
Bezugnahme auf die vorausgegangenen Entscheidungen des Landgerichts
Mannheim und des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die Nichtigkeit des Ver-
trags vom 23. Juli 1993 berufen. Das Landgericht hat dieses Vorbringen als
richtig unterstellt und angenommen, im Streitfall sei gleichwohl keine Ausnahme
vom Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG gerechtfertigt. Es hat sich dabei
maßgeblich darauf gestützt, dass § 11 UrhWG keinerlei Ausnahmen vom Ab-
schlusszwang vorsehe. Das Landgericht hat seiner Entscheidung dementspre-
chend die Auffassung zugrunde gelegt, dass sich auf den Abschlusszwang
ausnahmsweise nur derjenige nicht berufen könne, der – was hier nicht in Rede
stehe – wiederholt gegen die von der Verwertungsgesellschaft wahrgenomme-
nen Rechte verstoßen habe. Im urheberrechtlichen Schrifttum und in der In-
stanzrechtsprechung wird, worauf bereits das Landgericht hingewiesen hat, ei-
ne Ausnahme vom Abschlusszwang allerdings nicht nur bei eigenem rechtswid-
rigem Verhalten des Antragstellers angenommen, sondern auch dann für mög-
lich erachtet, wenn sich die Verwertungsgesellschaft auf sonstige berechtigte
Interessen berufen kann (vgl. W. Nordemann in Fromm/Nordemann aaO § 11
UrhWahrnG Rdn. 3 m.w.N.). Die Klägerin musste daher schon aus diesem
Grund damit rechnen, dass die Frage der Wirksamkeit des Vertrags vom
23. Juli 1993 entscheidungserheblich werden konnte, wenn das Berufungsge-
richt mit dieser im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte
vertretenen Auffassung die Voraussetzungen, unter denen Ausnahmen vom
Abschlusszwang nach § 11 Abs. 1 UrhWG in Betracht zu ziehen sind, weiter-
ziehen würde als das Landgericht.

18

(3) Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Erwägungen
des Landgerichts Mannheim und des Oberlandesgerichts Karlsruhe ist der Ver-


trag vom 23. Juli 1993 nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil der exklusiven Bin-
dung des Streithelfers an die Klägerin keine diese Bindung kompensierende
Auswertungspflicht der Klägerin gegenübergestanden habe. Es sei nicht gere-
gelt worden, in welcher Anzahl die Klägerin mit dem Künstler während der
Laufzeit des Vertrags vertragsgegenständliche Titel zu produzieren gehabt ha-
be. Eine in derartigen Verträgen übliche sogenannte Pflichtveröffentlichung sei
gleichfalls nicht vorgesehen gewesen. Es habe daher im Belieben der Klägerin
gestanden, wann und wie oft sie Tonaufnahmen des Streithelfers habe ver-
markten wollen. Die Einräumung einer weltweiten Exklusivität verbunden mit
der Übertragung sämtlicher hierzu erforderlicher Rechte auf die Klägerin stehe
in einem auffälligen Missverhältnis zum Wert der dem Streithelfer hierfür zuge-
flossenen Gegenleistung. Die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit
seien gleichfalls gegeben. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass der Streit-
helfer zum damaligen Zeitpunkt erstmals einen Künstlerexklusivvertrag abge-
schlossen habe. Sie hätte sich der Erkenntnis nicht verschließen dürfen, dass
er sich aufgrund jugendlicher Unerfahrenheit und der in Aussicht gestellten
gleichberechtigten Zusammenarbeit an einem gemeinsamen Projekt zum Ab-
schluss des ihn in erheblichem Umfang benachteiligenden Vertrags entschlos-
sen habe.

19

Diese Würdigung lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsge-
richt ist aufgrund der von ihm berücksichtigten Umstände mit Recht von einem
auffälligen Missverhältnis zwischen den im Vertrag vom 23. Juli 1993 bestimm-
ten gegenseitigen Leistungen sowie vom Vorliegen der subjektiven Vorausset-
zungen der Sittenwidrigkeit ausgegangen. Die Revision erhebt gegen diese
Würdigung der vom Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die genannten
Entscheidungen zugrunde gelegten Umstände auch keine durchgreifenden Rü-
gen. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, § 139 ZPO, die die Revision mit
der Begründung geltend macht, das Berufungsgericht hätte die Klägerin darauf


hinweisen müssen, dass es in der Frage der Nichtigkeit des Vertrags vom
23. Juli 1993 von der Rechtsauffassung des Landgerichts abweichen wolle,
liegt aus den oben unter II 3 a bb (2) genannten Gründen nicht vor. Soweit die
Revision in diesem Zusammenhang neuen Sachvortrag zur Sittenwidrigkeit des
Vertrags in objektiver und subjektiver Hinsicht hält, kann dieses Vorbringen in
der Revisionsinstanz nicht berücksichtigt werden.

20

b) Da die Klägerin mithin nicht über die für die beabsichtigte Herstellung
des Tonträgers erforderlichen Nutzungsrechte hinsichtlich der Leistungsschutz-
rechte des Streithelfers als ausübender Künstler verfügt und wegen dessen be-
harrlicher Weigerung auch keine Aussicht besteht, dass sie diese Rechte noch
erwerben könnte, hat sie auch kein berechtigtes Interesse daran, dass ihr die
Beklagte Nutzungsrechte an den von ihr treuhänderisch wahrgenommenen
Rechten der Komponisten, Textdichter und Musikverleger in Bezug auf die in
Rede stehenden Musikstücke einräumt. Eine rechtmäßige Nutzung dieser
Rechte zur Herstellung und Verbreitung des Tonträgers wäre der Klägerin nicht
möglich. Bei dieser Sachlage besteht ein vorrangiges Interesse der Beklagten,
das sie dem Verlangen der Klägerin nach § 11 Abs. 1 UrhWG entgegenhalten
kann.

21

aa) Die Beklagte kann allerdings entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts gegenüber dem Verlangen der Klägerin nicht schon deshalb den
Einwand eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erheben, weil die Klägerin
mit dem seinerzeit 21 Jahre alten Streithelfer die diesen in erheblichem Umfang
benachteiligende, wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB insgesamt
nichtige Vereinbarung vom 23. Juli 1993 abgeschlossen hat. Rechtsfolge einer
wegen eines auffälligen Missverhältnisses der gegenseitigen Leistungen sitten-
widrigen Vereinbarung über urheberrechtliche Rechte ist deren Nichtigkeit. Ein
Bedürfnis, die durch die unausgewogene Vertragsgestaltung benachteiligte Ver-


tragspartei zusätzlich dadurch zu schützen, dass Ansprüche seines Vertrags-
gegners nach § 11 Abs. 1 UrhWG gegenüber einer Verwertungsgesellschaft,
der die benachteiligte Vertragspartei Rechte zur Wahrnehmung eingeräumt hat,
eingeschränkt oder ausgeschlossen werden, besteht jedenfalls im Hinblick auf
eine mögliche (weitere) Übervorteilung des Schutzrechtsinhabers nicht, weil die
Verwertungsgesellschaft nach § 11 Abs. 1 UrhWG (nur) zur Einräumung von
Nutzungsrechten zu angemessenen Bedingungen verpflichtet ist.

22

bb) Auch der in dem Abschluss der Vereinbarung vom 23. Juli 1993 lie-
gende Verstoß gegen die guten Sitten kann nicht bereits als solcher den Miss-
brauchseinwand begründen. Der Umstand, dass derjenige, der einen Antrag
nach § 11 Abs. 1 UrhWG stellt, bereits früher im Zusammenhang mit den von
der betreffenden Verwertungsgesellschaft wahrgenommenen Rechten einen
Sitten- oder Rechtsverstoß begangen hat, kann nicht dazu führen, dass ihm die
Verwertungsgesellschaft in Zukunft grundsätzlich und ausnahmslos die Ein-
räumung von Nutzungsrechten verweigern darf. Die Einräumung der beantrag-
ten Nutzungsrechte zu dem beabsichtigten Verwertungszweck hat gerade zur
Folge, dass der Antragsteller jedenfalls hinsichtlich dieser Verwertungshand-
lungen rechtmäßig handelt. Dem Rechtsverletzer, der in Zukunft rechtmäßig
handeln will, darf dies nicht von vornherein unter Hinweis auf frühere Rechts-
verletzungen verwehrt werden.

23

cc) Anders verhält es sich dagegen, wenn – wie im Streitfall – trotz des
Antrags nach § 11 Abs. 1 UrhWG die nicht ganz fernliegende Gefahr eines ur-
heberrechtsverletzenden Handelns des Antragstellers besteht. Da die Klägerin
den Tonträger wegen des Fehlens der Leistungsschutzrechte nicht rechtmäßig
herstellen kann, an ihrem Verlangen, nach § 11 Abs. 1 UrhWG Nutzungsrechte
an den von der Beklagten wahrgenommenen Rechten zu erwerben, aber fest-
hält, besteht jedenfalls aus der Sicht der Beklagten und des Streithelfers die


Gefahr, dass der Tonträger gleichwohl unter Verletzung der Rechte des Streit-
helfers hergestellt wird, wenn die Beklagte dem Verlangen nach § 11 Abs. 1
UrhWG nachkommt. Unter diesen Umständen ist der Beklagten unter Berück-
sichtigung ihrer berechtigten Interessen aus dem durch den Wahrnehmungsver-
trag mit dem Streithelfer begründeten Treuhandverhältnis die Rechteeinräu-
mung nicht zuzumuten. Der Beklagten kann es nicht angesonnen werden, mög-
liche Verletzungen von Urheber- oder Leistungsschutzrechten ihrer Treugeber
durch den Abschluss von Nutzungsverträgen nach § 11 Abs. 1 UrhWG objektiv
zu fördern oder zumindest die Gefahr solcher Rechtsverletzungen objektiv zu
erhöhen. Ohne Belang ist dabei, dass die mögliche Rechtsverletzung nicht die
wahrgenommenen Rechte als solche betrifft, sondern Leistungsschutzrechte
des Streithelfers in seiner Eigenschaft als ausübender Künstler, die von der
Treuhandstellung der Beklagten nicht erfasst werden.


24

III. Die Revision der Klägerin ist daher mit der Kostenfolge aus § 97
Abs. 1, § 101 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO zurückzuweisen.

 

 

Bornkamm Pokrant Büscher

Schaffert Bergmann

Vorinstanzen:

LG München I, Entscheidung vom 13.04.2006 – 7 O 20693/03 –

OLG München, Entscheidung vom 16.11.2006 – 29 U 3271/06 –

(Anwalt Urheberrecht Berlin9