Urteil des Kammergerichts vom 19. November 2004
5 W 170/04
Das Kammergericht hat in einer Enscheidung aus dem Jahr 2004 einige der Grundsätze des Gemeinschaftsgeschmacksmusters aufgezeigt und deutlich gemacht, dass es bei dem Geschmacksmuster, anders als im Urheberrecht, nicht auf eine bestimmte Mindestgestaltungshöhe ankommt, so dass es im wesentlichen auf die Unterscheidungskraft ankommt.
Hintergrund war die Auseinandersetzung zwischen einer Designerin und ihrem Auftrageber. Die Designer hatte eine Sonnesymbol entworfen und für die private Nutzung daran Rechte eingeräumt. Für den Fall einer gewerblichen Nutzung sollte eine weitere Nutzungsvereinbarung geschlossen werden. Ohne dass es zu einer solchen Vereinbarung kam, verwendete der Auftraggegber das Design für den Verkauf von Natursalzprodukten. Das Landgericht hatte richtigerweise den Anspruch der Designerin aus der Verletzung von Urhberrechten ablehnt, da, ein typisches Problem des Gebrauchsdesigns, die urheberrechtliche Schöpfungshöhe nicht erreicht war. Jedoch übersah das Gericht, dass es ein Gemeinschaftsgeschmackmuster gibt, dass dem Rechtsinhaber auch ohne Eintragung, zeitlich begrenzt, Unterlassungsansprüche einräumt. Das hat das Kammergericht gesehen und die Entscheidung korrigiert.
Gründe
A. Die Antragstellerin trägt vor, sie habe für den Antragsgegner zu 2) ein dem im Tenor abgebildeten Design entsprechendes Design (Anlage Ast 4) entworfen und gemäß einer „Vorbehaltserklärung” vom 25. September 2003 vom Antragsgegner zu 2) hierfür 100 EUR erhalten. In der „Vorbehaltserklärung” heißt es weiterhin: „Im Fall, dass das Logo wirtschaftlich verwertet wird, ist zuzüglich zum vereinbarten Arbeitshonorar eine Nutzungsvereinbarung zu schließen.”Ohne Absprache mit der Antragstellerin sei Anfang September 2004 das Natursalz-Produkt mit dem im Tenor genannten Design von den Antragsgegnern im K zum Verkauf angeboten worden.
- Den auf Verletzung von Urheber-, Geschmacksmuster- und Vertragsrechten gestützten Unterlassungsantrag hat das Landgericht zurückgewiesen.
- Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde ist auch begründet.
- I. Mit dem Landgericht kann allerdings davon ausgegangen werden, dass das streitgegenständliche Design nicht die nach §§ 97 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG erforderliche Schöpfungshöhe erreicht. Die sogenannte „kleine Münze” des Urheberrechts ist wegen des insoweit bestehenden Geschmacksmusterschutzes im Bereich der angewandten Kunst nicht urheberrechtlich schutzfähig (BGH, GRUR 1995, 581, 582 – Silberdistel; GRUR 2000, 144, 145 – Comic – Übersetzungen II; Senat, GRUR – RR 2001, 292, 293; a.A. Loewenheim, GRUR 2004, 765 m.w.M.). Erforderlich ist im Bereich der angewandten Kunst ein deutliches Überragen der nicht geschützten Durchschnittsgestaltung, des rein Handwerksmäßigen und Alltäglichen (BGH, a.a.O., Silberdistel). Ein solches Überragen der vorliegenden Gestaltung in ihrem individuellen, geistigen, schöpferischen Gehalt gegenüber dem Werk eines Durchschnittsdesigners kann nicht festgestellt werden.
- Es werden vorbekannte Gestaltungsmittel (stilisierte Sonne mit flammenden, durch einen durchsichtigen Kreis vom runden Körper der Sonne getrennten Sonnenstrahlen, in goldener Farbe, umlaufende schwarze Schrift der Produktbezeichnung in unterschiedlichen „edlen” Schrifttypen auf hellblauem, pastellfarbenem Hintergrund) verwendet, die auch in ihrer Gesamtheit und Beziehung zueinander das Alltägliche nicht deutlich übersteigen.
- II. Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegner aber eingeschmacksmusterrechtlicher Unterlassungsanspruch aus Art. 89 Abs. 1 lit. a, 11 GGVO (Verordnung EG Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über dasGemeinschaftsgeschmacksmuster) zu.
- 1. Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster setzt gemäß Art. 4 Abs. 1 GGVO voraus, dass dasGeschmacksmuster neu ist und Eigenart hat.
- a) Ein Geschmacksmuster gilt gemäß Art. 5 GGVO als neu, wenn der Öffentlichkeit kein identisches Geschmacksmuster vorbekannt ist, wovon auszugehen ist, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden. Darüber hinaus erfordert die „Eigenart” gemäß Art. 6 Abs. 1 GGVO, dass sich der Gesamteindruck, den dasGeschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes vorbekanntes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft. Bei der Beurteilung der Eigenart wird der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwurfes bei der Entwicklung des Geschmacksmusters berücksichtigt, § 6 Abs. 2 GGVO (ebenso nunmehr § 2 GeschmMG n.F.). Entgegen § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. ist für dasGemeinschaftsgeschmacksmuster keine bestimmte (Mindest-) Gestaltungshöhe vorgeschrieben, insbesondere muss es nicht unbedingt einen ästhetischen Gehalt aufweisen (Präambel Nr. 10 der GGVO). Ein hohes Maß an Originalität oder künstlerischer bzw. designerischer Gestaltungskraft kann daher nicht gefordert werden (Rahlf/Gottschlalk, GRUR Int. 2004, 821, 822; Koschtial, GRUR Int. 2003, 973, 974). In erster Linie ist entscheidend die Unterscheidungskraft, nicht die Gestaltungskraft. Dafür ist aus der Sicht des informierten Benutzers (also eines mit dem Design besser vertrauten als es ein Durchschnittsverbraucher ist, vgl. Koschtial, a.a.O., Seite 974 f.) jeweils dasGeschmacksmuster mit den einzelnen vorbekannten Mustern zu vergleichen. Die noch in Nr. 14 der Präambel der GGVO erhobene Forderung nach einem „deutlichen” Unterschied ist in Art. 6 Abs. 1 GGVO nicht mehr beibehalten worden (vgl. hierzu Koschtial, a.a.O., Seite 976). Je höher die Musterdichte in einer Erzeugerklasse ist, desto geringere Anforderungen dürfen an die Unterscheidbarkeit gestellt werden und umgekehrt (Koschtial, a.a.O., Seite 977). Je geringer der zu fordernde Formenabstand ist, desto eher kann bei einer Abweichung vom vorexistenten Formenschatz ein Geschmacksmusterrechtwirksam begründet werden und desto geringer ist aber auch als Folge der abgesenkten Schutzvoraussetzungen der Schutzumfang des begründeten Rechts gegenüber nachfolgenden Designs (Koschtial, a.a.O., Seite 977; Begründung BMJ – Referetenentwurf zum Geschmacksmusterreformgesetz vom 22. April 2002, Seite 119; jetzt § 2 Abs. 3 GeschmMG n.F.).
- b) Vorliegend weicht das Design der Antragstellerin für den Verpackungsaufdruck von Tafelsalz in seiner betont schlichten („noblen”) Ausführung sogar deutlich von fast allen vorbekannten Mustern mit ganz überwiegend sehr bunten, mit plastischer Tiefenwirkung gestalteten Hintergründen ab. Am nächsten kommt die Gestaltung des Produktes „L C de …” (Anlage Ast 6). Dort wird auch eine Sonne verwendet, aber nur in einer recht gegenständlichen, „naiven” Form, ohne umlaufende Beschriftung oberhalb des Sonnensymbols und mit deutlich anderer Farbgestaltung sowohl für die Beschriftung und das Sonnensymbol als auch für den Hintergrund. Zwar liegt die Verwendung eines Sonnensymbols für aus Meerwasser gewonnenem Salinensalz nicht fern. Dies schwächt einerseits die Unterscheidungskraft, lässt aber auch näher liegende Abweichungen eher als schutzfähig erscheinen. Vorliegend ist die Sonne in einem besonderen Maß in Form (runder Kreis der Sonne, umgebender schmaler Hintergrundkreis, flammende Strahlen), Farbe (Gold) und Hintergrund (hellblau) von den vorbekannten Gestaltungen im Bereich der Tafelsalzverpackungen abweichend und einprägsam gestaltet. Die einzelnen Merkmale lassen in ihrer Gesamtheit auch hinreichend Platz für abweichende nachfolgende Muster. Die letztendlich gegebene, aber nur eher geringe Eigenart des Musters der Antragstellerin begrenzt allerdings auch ihren Nachahmungsschutz auf weitgehend identische Gestaltungen.
- 2. Das Geschmacksmuster der Antragstellerin ist dadurch, dass es zum Verkauf in den Verkehr gebracht worden ist, gemäß Art. 7 Abs. 1 GGVO offenbart worden und damit nach Art. 11 GGVO als nicht eingetragenes Geschmacksmuster für 3 Jahre geschützt. Gemäß Art. 14 Abs. 1 GGVO steht das Recht auf das Gemeinschaftsgeschmacksmusterdem Entwerfer zu. Dass die Antragsgegner Rechtsnachfolger wären, ist nicht ersichtlich. Auch aus der „Vorbehaltserklärung” ergibt sich keine allgemeine Übertragung der Rechte, sondern ein Vereinbarungsvorbehalt für eine spätere Nutzung.
- 3. Das Design der Antragsgegner auf den von ihnen hergestellten und vertriebenen Behältern für Tafelsalz verletzt das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Antragstellerin, § 10 GGVO. Es ist weitgehend identisch, insbesondere in der Farbgebung und Gestaltung von Schrift und Sonnensymbol.
- 4. Die Verletzungshandlung ist das Ergebnis einer Nachahmung des geschützten Musters, Art. 19 Abs. 2 GGVO. Dies ist schon deshalb glaubhaft gemacht, weil die Antragstellerin dem Antragsgegner zu 1) vor dessen Verkaufsplatzierung ihr fast identisches Muster übergeben hatte. Die fast identische Übernahme ist im Übrigen auch ein Indiz für die Eigenart des Musters. Denn mit ihrem sehr hochpreisigen Produkt mussten die Antragsgegner bestrebt sein, sich hinreichend von der Konkurrenz schon in der Aufmachung abzusetzen.
- III. Unabhängig davon ist der Antragsgegner zu 2) auch vertraglich zur Unterlassung verpflichtet. Denn in der „Vorbehaltserklärung” haben die Parteien losgelöst von der Schutzfähigkeit des Designs der Antragstellerin vereinbart, dass eine wirtschaftliche Verwertung eine noch zu schließende Nutzungsvereinbarung erfordert, die hier fehlt. Eine solche vertragliche Vereinbarung macht gerade unabhängig von der – oft problematischen – Schutzfähigkeit Sinn, wenn der Arbeitsaufwand des Designers mit einer ersten Einmal-Zahlung noch nicht vollständig abgegolten ist, der Designer also mit seiner Musterentwicklung in Vorlage getreten ist, in der Hoffnung, den eigentlichen Auftrag (die wirtschaftliche Verwertung) bei Gefallen des Auftraggebers nachfolgend zu erhalten. Davon sind die Parteien in der „Vorbehaltserklärung” offensichtlich auch ausgegangen.Die Antragsgegnerin zu 1) ist nicht Vertragspartner dieser Vereinbarung und daraus unmittelbar nicht gebunden. Ob eine Berufung auf ihre juristische Eigenständigkeit wegen der Geschäftsführeridentität und einer möglichen Umgehungsabsicht rechtsmissbräuchlich wäre, kann hier – wegen des Geschmacksmusterschutzes – dahingestellt bleiben.
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