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EuGH vom 12.9.2019 C-683/17 Cofemel – Sociedade de Vestuário SA gegen GStar Raw CV

 

Designrecht – Kein Urheberrecht an Jeans

G-Star machte in einem Verfahren gegen Cofemel vor portugisischen Gerichten u.a. die Verletzung am Urheberrechten an ihren Jeans geltend. Bei den  Bekleidungsmodellen handle es sich um originäre geistige Schöpfungen, so G-Star, die daher als urheberrechtlich geschützte „Werke“ einzustufen seien. Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob Bekleidungsmodelle schon deshalb geschützt sein können, weil sie einen über den reinen Gebrauchszweck hinaus gehenden ästhetischen Eindruck hervorrufen. Dies wurde trotz der kumulativen Schutzes von Design- und Urheberrechten verneint, sofern nicht in bestimmten Fällen Werkqualität erreicht wird.

Leitsätze KJ

  1.  Um ein Werk im Sinne des Unionsrechts darzustellen, muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt.  Der  Einstufung als „Werk“ ist Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen.
  2. Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der Modelle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle urheberrechtlich geschützt sind, weil sie über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen.
  3.  Der Schutz von Mustern und Modellen und der mit dem Urheberrecht verbundene Schutz kann nach dem Unionsrecht zwar kumulativ für ein und denselben Gegenstand gewährt werden, diese Kumulierung kommt jedoch nur in bestimmten Fällen in Frage.

 

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Cofemel – Sociedade de Vestuário SA (im Folgenden: Cofemel) und der G‑Star Raw CV (im Folgenden: G‑Star) wegen der Einhaltung des von G‑Star eingeforderten Urheberrechts.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst Art. 2 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Akte vom 24. Juli 1971) in der am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) bestimmt in seinem Abs. 7:

„[D]er Gesetzgebung der [Länder des durch diese Übereinkunft eingerichteten Verbands bleibt] vorbehalten, den Anwendungsbereich der Gesetze, die die Werke der angewandten Kunst und die gewerblichen Muster und Modelle betreffen, sowie die Voraussetzungen des Schutzes dieser Werke, Muster und Modelle festzulegen. Für Werke, die im Ursprungsland nur als Muster und Modelle geschützt werden, kann in einem anderen [Land des durch diese Übereinkunft eingerichteten Verbands] nur der besondere Schutz beansprucht werden, der in diesem Land den Mustern und Modellen gewährt wird; wird jedoch in diesem Land kein solcher besonderer Schutz gewährt, so sind diese Werke als Werke der Kunst zu schützen.“

WIPO-Urheberrechtsvertrag

Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Gemeinschaft genehmigt wurde.

 Art. 1 („Verhältnis zur Berner Übereinkunft“) Abs. 4 dieses Vertrags lautet:

„Die Vertragsparteien kommen den Artikeln 1 bis 21 und dem Anhang der Berner Übereinkunft nach.“

Unionsrecht

Richtlinie 2001/29

Im 60. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 heißt es:

„Der durch diese Richtlinie gewährte Schutz sollte die nationalen und gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften in anderen Bereichen wie gewerbliches Eigentum … unberührt lassen.“

Nach den Art. 2 („Vervielfältigungsrecht“), 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände“) und 4 („Verbreitungsrecht“) dieser Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten den Urhebern insbesondere folgende Rechte garantieren: das ausschließliche Recht, die Vervielfältigung ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten (Art. 2 Buchst. a), das ausschließliche Recht, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten (Art. 3 Abs. 1), und das ausschließliche Recht, die Verbreitung ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten (Art. 4 Abs. 1).

Diese Richtlinie lässt ihrem Art. 9 („Weitere Anwendung anderer Rechtsvorschriften“) zufolge Rechtsvorschriften in anderen Bereichen unberührt. Mehrere Sprachfassungen dieses Artikels, darunter die deutsche, die englische, die spanische, die französische und die italienische Fassung, führen aus, dass zu diesen Bereichen insbesondere Patentrechte, Marken, Musterrechte und Gebrauchsmuster gehören. Demgegenüber nimmt die portugiesische Fassung dieses Artikels auf Patentrechte, Marken und Gebrauchsmuster Bezug, ohne die Musterrechte zu erwähnen.

Richtlinie 98/71/EG

Im achten Erwägungsgrund der Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen (ABl. 1998, L 289, S. 28) heißt es:

„Solange das Urheberrecht nicht harmonisiert ist, ist es wichtig, den Grundsatz der Kumulation des Schutzes nach dem einschlägigen Recht für den Schutz eingetragener Muster und nach dem Urheberrecht festzulegen, während es den Mitgliedstaaten freigestellt bleibt, den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes und die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dieser Schutz gewährt wird.“

Nach Art. 1 („Begriffe“) Buchst. a dieser Richtlinie „ist ein ‚Muster oder Modell‘ (nachstehend ‚Muster‘ genannt) die Erscheinungsform eines ganzen Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt“.

Art. 17 („Verhältnis zum Urheberrecht“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster geschützte Muster ist auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig, an dem das Muster geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich der erforderlichen Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt.“

Verordnung (EG) Nr. 6/2002

Der 32. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) lautet:

„In Ermangelung einer vollständigen Angleichung des Urheberrechts ist es wichtig, den Grundsatz des kumulativen Schutzes als Gemeinschaftsgeschmacksmuster und nach dem Urheberrecht festzulegen, während es den Mitgliedstaaten freigestellt bleibt, den Umfang des urheberrechtlichen Schutzes und die Voraussetzungen festzulegen, unter denen dieser Schutz gewährt wird.“

 In Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung wird der Begriff „Geschmacksmuster“ gleichlautend wie der Begriff „Muster oder Modell“ in Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 98/71 definiert.

Art. 96 („Verhältnis zu anderen Schutzformen nach nationalem Recht“) Abs. 2 dieser Verordnung lautet:

„Ein als Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschütztes Muster ist ab dem Tag, an dem das Muster entstand oder in irgendeiner Form festgelegt wurde, auch nach dem Urheberrecht der Mitgliedstaaten schutzfähig. In welchem Umfang und unter welchen Bedingungen ein solcher Schutz gewährt wird, wird einschließlich des erforderlichen Grades der Eigenart vom jeweiligen Mitgliedstaat festgelegt.“

Portugiesisches Recht

 In Art. 2 („Originalwerke“) Abs. 1 des Código do Direito de Autor e dos Direitos Conexos (Gesetz über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte) heißt es:

„Geistige Schöpfungen aus den Bereichen der Literatur, Wissenschaft und Kunst sind ohne Rücksicht auf ihre Art, die Form des Ausdrucks, die Qualität, die Art ihrer Mitteilung und ihren Zweck insbesondere:

i)      Werke der angewandten Kunst, gewerbliche Muster und Modelle sowie Designwerke, die eine künstlerische Schöpfung darstellen, unabhängig vom Schutz des gewerblichen Eigentums an diesen Werken;

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Bei G‑Star und Cofemel handelt es sich um zwei Gesellschaften, die Kleidung entwerfen, produzieren und vermarkten.

G‑Star verwendet seit den 90er-Jahren als Inhaberin oder aufgrund von ausschließlichen Lizenzen die Marken G‑STAR, G‑STAR RAW, G‑STAR DENIM RAW, GS‑RAW, G‑RAW und RAW. Zu den unter diesen Marken entworfenen, produzierten und vermarkteten Kleidungsstücken gehört u. a. ein Jeansmodell mit der Bezeichnung ARC sowie ein Sweatshirt‑ und T‑Shirt‑Modell mit der Bezeichnung ROWDY.

 Auch Cofemel entwirft, produziert und vermarktet Jeans, Sweatshirts und T‑Shirts, und zwar unter der Marke TIFFOSI.

 Am 30. August 2013 erhob G‑Star vor einem erstinstanzlichen portugiesischen Gericht Klage gegen Cofemel auf Einstellung der gegen sie gerichteten Urheberrechtsverletzungen und unlauteren Wettbewerbshandlungen sowie auf Ersatz des ihr dadurch entstandenen Schadens und, im Fall einer erneuten Verletzung, auf Zahlung eines tägliches Zwangsgelds bis zu deren Einstellung. Im Rahmen dieser Klage machte G‑Star insbesondere geltend, bestimmte von Cofemel produzierte Modelle von Jeans, Sweatshirts und T‑Shirts entsprächen ihren Modellen ARC und ROWDY. G‑Star trug ferner vor, bei den zuletzt genannten Bekleidungsmodellen handle es sich um originäre geistige Schöpfungen, die daher als urheberrechtlich geschützte „Werke“ einzustufen seien.

 Dem entgegnete Cofemel insbesondere, dass die genannten Bekleidungsmodelle nicht als urheberrechtlich geschützte „Werke“ einzustufen seien.

 Das von G‑Star angerufene erstinstanzliche Gericht gab der Klage teilweise statt und verurteilte Cofemel u. a. dazu, die Verletzung der Urheberrechte von G‑Star einzustellen, an G‑Star einen Betrag zu zahlen, der dem Gewinn aus dem Verkauf der Kleidungsstücke entspricht, die unter Verletzung dieser Urheberrechte hergestellt wurden, und an G‑Star im Fall einer erneuten Verletzung ein tägliches Zwangsgeld zu zahlen.

Cofemel legte gegen dieses Urteil beim Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon, Portugal) Berufung ein, das dieses bestätigte. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in Anbetracht der Richtlinie 2001/29 – in der durch den Gerichtshof in den Urteilen vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465), und vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798), vorgenommenen Auslegung – dahin zu verstehen sei, dass der urheberrechtliche Schutz für Werke der angewandten Kunst, gewerbliche Muster und Modelle sowie Designwerke bestehe, sofern sie eine gewisse Originalität (auch als Gestaltungshöhe oder Grad der Eigenart bezeichnet) aufwiesen, d. h. das Ergebnis der geistigen Schöpfung ihres Urhebers seien, ohne dass ein besonderer Grad an ästhetischem oder künstlerischem Wert erforderlich sei. Außerdem handle es sich im vorliegenden Fall bei den Bekleidungsmodellen ARC und ROWDY von G‑Star um urheberrechtlich geschützte Werke. Schließlich verletzten einige der von Cofemel hergestellten Kleidungsstücke die Urheberrechte von G‑Star.

Das vorlegende Gericht, das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal), bei dem Cofemel Rechtsmittel einlegte, macht als Erstes folgende Ausführungen: Erstens stehe fest, dass die Bekleidungsmodelle von G‑Star, um die es im Rechtsmittelverfahren gehe, entweder von Designern entworfen worden seien, die von G‑Star beschäftigt gewesen seien, oder von Designern, die in deren Auftrag gehandelt hätten und ihr vertraglich ihre Urheberrechte übertragen hätten. Zweitens seien diese Bekleidungsmodelle das Ergebnis von Konzepten und Herstellungsverfahren, die in der Modewelt als innovativ anerkannt seien. Drittens wiesen die genannten Modelle mehrere spezifische Elemente (dreidimensionale Form, Art der Verbindung der Teile, Lage bestimmter Komponenten usw.) auf, die teilweise von Cofemel übernommen worden seien, um Kleidungsstücke ihrer Marke zu entwerfen.

 Als Zweites stellt das vorlegende Gericht fest, dass Art. 2 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Werke der angewandten Kunst, gewerbliche Muster und Modelle und Designwerke eindeutig in die Liste der urheberrechtlich geschützten Werke aufnehme, aber nicht den Grad der Eigenart präzisiere, der erforderlich sei, damit Gegenstände als solche Werke eingestuft würden. Zudem bestehe über diese Frage, die im Mittelpunkt des Rechtsstreits zwischen G‑Star und Cofemel stehe, in der portugiesischen Rechtsprechung und Lehre keine Einigkeit. Aus diesem Grund möchte das vorlegende Gericht wissen, ob in Anbetracht der Auslegung der Richtlinie 2001/29, die der Gerichtshof in den Urteilen vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465), und vom 1. Dezember 2011, Painer (C‑145/10, EU:C:2011:798), vorgenommen habe, der urheberrechtliche Schutz solchen Werken in gleicher Weise zugutekomme wie Werken der Literatur und Kunst, d. h., sofern sie eine gewisse Originalität derart aufwiesen, dass sie das Ergebnis der geistigen Schöpfung ihres Urhebers seien, oder ob die Gewährung dieses Schutzes von einem besonderen Grad an ästhetischem oder künstlerischem Wert abhängig gemacht werden könne.

Unter diesen Umständen hat das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 durch den Gerichtshof einer nationalen Vorschrift – hier Art. 2 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – entgegen, die Werke der angewandten Kunst, gewerbliche Muster und Modelle sowie Designwerke, die über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, urheberrechtlich schützt, wobei grundlegendes Kriterium des urheberrechtlichen Schutzes dieser Werke die Originalität ist?

2.      Steht die Auslegung von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 durch den Gerichtshof einer nationalen Vorschrift – hier Art. 2 Abs. 1 Buchst. i des Gesetzes über das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – entgegen, die Werke der angewandten Kunst, gewerbliche Muster und Modelle sowie Designwerke urheberrechtlich schützt, wenn sie nach einer besonders strengen Beurteilung hinsichtlich ihres künstlerischen Charakters unter Berücksichtigung der in den kulturellen und institutionellen Kreisen herrschenden Auffassung die Einordnung als „künstlerische Schöpfung“ oder „Kunstwerk“ verdienen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der Modelle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle urheberrechtlich geschützt sind, weil sie über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen.

Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für Urheber das ausschließliche Recht vorzusehen, die Vervielfältigung ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten.

Der Begriff „Werk“, auf den diese Bestimmung Bezug nimmt, findet sich auch in Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, die das ausschließliche Recht des Urhebers eines Werks auf öffentliche Wiedergabe und auf Verbreitung betreffen, in Art. 5 dieser Richtlinie, der die Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf diese ausschließlichen Rechte betrifft, sowie in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie, die technische Maßnahmen bzw. Informationsmaßnahmen zum Schutz dieser ausschließlichen Rechte betreffen.

Der in allen diesen Bestimmungen enthaltene Begriff „Werk“ stellt, wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, einen autonomen Begriff des Unionsrechts dar, der einheitlich auszulegen und anzuwenden ist und zwei Tatbestandsmerkmale hat. Zum einen muss es sich bei dem betreffenden Gegenstand um ein Original in dem Sinne handeln, dass er eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Zum anderen ist die Einstufung als „Werk“ Elementen vorbehalten, die eine solche Schöpfung zum Ausdruck bringen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2009, Infopaq International, C‑5/08, EU:C:2009:465, Rn. 37 und 39, sowie vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 33 und 35 bis 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Hinsichtlich des ersten Merkmals kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Gegenstand erst bzw. bereits dann als Original angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Dezember 2011, Painer, C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 88, 89 und 94, sowie vom 7. August 2018, Renckhoff, C‑161/17, EU:C:2018:634, Rn. 14).

Wurde dagegen die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2012, Football Dataco u. a., C‑604/10, EU:C:2012:115‚ Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Hinsichtlich des zweiten in Rn. 29 des vorliegenden Urteils genannten Merkmals hat der Gerichtshof klargestellt, dass der Begriff „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 zwangsläufig einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand voraussetzt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 40).

Zum einen müssen nämlich die Behörden, die mit dem Schutz der dem Urheberrecht innewohnenden Ausschließlichkeitsrechte betraut sind, den so geschützten Gegenstand klar und genau erkennen können. Dasselbe gilt für Dritte, gegenüber denen der Urheber dieses Gegenstands den Schutz beanspruchen kann. Zum anderen setzt das Erfordernis des Ausschlusses jedes – der Rechtssicherheit schädlichen – subjektiven Elements bei der Identifizierung des geschützten Gegenstands voraus, dass dieser auf objektive Weise ausgedrückt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 41).

Wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, entspricht es nicht dem Erfordernis der Genauigkeit und Objektivität, wenn eine Identifizierung im Wesentlichen auf naturgemäß subjektiven Empfindungen der Person beruht, die den fraglichen Gegenstand wahrnimmt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 42).

Wenn ein Gegenstand die in den Rn. 30 und 32 des vorliegenden Urteils genannten Merkmale aufweist und daher ein Werk ist, muss er in dieser Eigenschaft gemäß der Richtlinie 2001/29 urheberrechtlich geschützt werden, wobei der Umfang dieses Schutzes nicht vom Grad der schöpferischen Freiheit seines Urhebers abhängt und daher nicht geringer ist als derjenige, der allen unter die Richtlinie fallenden Werken zukommt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer, C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 97 bis 99).

3 In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist – um die erste Frage des vorlegenden Gerichts beantworten zu können – in einem ersten Schritt zu bestimmen, ob Modelle überhaupt als „Werke“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 eingestuft werden können.

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass nach Art. 17 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union geistiges Eigentum geschützt wird.

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass Gegenstände, die geistiges Eigentum darstellen, nach dem Unionsrecht geschützt sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass solche Gegenstände oder Kategorien von Gegenständen allesamt in identischer Weise geschützt werden müssen.

So hat der Unionsgesetzgeber verschiedene abgeleitete Rechtsakte erlassen, durch die gewährleistet werden soll, dass das geistige Eigentum geschützt wird, und zwar insbesondere zum einen urheberrechtlich geschützte Werke im Sinne der Richtlinie 2001/29 und zum anderen Muster und Modelle, die entweder unter die Richtlinie 98/71 – die auf Muster und Modelle anwendbar ist, die in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragen sind – oder unter die Verordnung Nr. 6/2002 – die auf Muster und Modelle (dort Geschmacksmuster genannt) anwendbar ist, die auf Unionsebene geschützt sind – fallen.

Dadurch hat der Unionsgesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass Gegenstände, die als Muster oder Modell geschützt sind, grundsätzlich nicht Gegenständen gleichgesetzt werden können, die durch die Richtlinie 2001/29 geschützte Werke darstellen.

Diese gesetzgeberische Entscheidung steht im Einklang mit der Berner Übereinkunft, an deren Art. 1 bis 21 sich die Union, obwohl sie nicht Vertragspartei der Berner Übereinkunft ist, nach Art. 1 Abs. 4 des WIPO-Urheberrechtsvertrags, dem sie beigetreten ist, halten muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Art. 2 Abs. 7 der Berner Übereinkunft gestattet es den Vertragsparteien nämlich, gewerblichen Mustern und Modellen einen besonderen Schutz zu gewähren, der sich von dem Schutz für die unter dieses Übereinkommen fallenden Werke der Literatur und der Kunst unterscheidet und diesen gegebenenfalls ausschließt, und die Voraussetzungen für einen solchen Schutz festzulegen. Gleichzeitig schließt diese Bestimmung auch eine kumulative Anwendung der beiden Schutzarten nicht aus.

In diesem Kontext hat sich der Unionsgesetzgeber für ein System entschieden, bei dem der Schutz, der Mustern und Modellen vorbehalten ist, und jener, der durch das Urheberrecht gewährt wird, einander nicht ausschließen.

In Bezug auf Muster und Modelle heißt es nämlich in Art. 17 Satz 1 der Richtlinie 98/71, dass das nach Maßgabe dieser Richtlinie durch ein in einem oder mit Wirkung für einen Mitgliedstaat eingetragenes Recht an einem Muster oder Modell geschützte Muster oder Modell auch nach dem Urheberrecht dieses Staates von dem Zeitpunkt an schutzfähig ist, an dem das Muster oder Modell geschaffen oder in irgendeiner Form festgelegt wurde. Anschließend wird in Satz 2 dieses Artikels ausgeführt, dass der Umfang eines solchen urheberrechtlichen Schutzes und die Bedingungen für dessen Gewährung sowie die erforderliche Gestaltungshöhe von dem einzelnen Mitgliedstaat festgelegt werden. Für die auf Unionsebene geschützten Muster und Modelle enthält Art. 96 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 eine Art. 17 der Richtlinie 98/71 entsprechende Regelung.

Diese beiden Bestimmungen sind ihrerseits im Licht des achten Erwägungsgrundes der Richtlinie 98/71 und des 32. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 6/2002 zu sehen, in denen ausdrücklich auf den Grundsatz des „kumulativen Schutzes“ als Muster oder Modell zum einen und nach dem Urheberrecht zum anderen hingewiesen wird.

Was das Urheberrecht angeht, so ergibt sich aus Art. 9 („Weitere Anwendung anderer Rechtsvorschriften“) der Richtlinie 2001/29, der insbesondere unter Berücksichtigung all seiner Sprachfassungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Februar 2016, C & J Clark International und Puma, C‑659/13 und C‑34/14, EU:C:2016:74, Rn. 122 und die dort angeführte Rechtsprechung) und im Licht des 60. Erwägungsgrundes der Richtlinie auszulegen ist, dass die Richtlinie Vorschriften des nationalen oder des Unionsrechts in anderen Bereichen, insbesondere Rechte an Mustern und Modellen, unberührt lässt.

So ändert die Richtlinie 2001/29 nichts am Bestehen und am Anwendungsbereich der geltenden Rechtsvorschriften im Bereich der Muster und Modelle, was den oben in Rn. 45 erwähnten Grundsatz des „kumulativen Schutzes“ einschließt.

Angesichts all dieser Rechtsvorschriften ist festzustellen, dass Modelle dann als „Werke“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 anzusehen sind, wenn sie die beiden oben in Rn. 29 genannten Voraussetzungen erfüllen.

Anhand dieser Voraussetzungen ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob Modelle, die – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle – dem vorlegenden Gericht zufolge über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, als „Werke“ einzustufen sind, wobei das vorlegende Gericht wissen möchte, ob ein solches Element der ästhetischen Originalität das grundlegende Kriterium für die Gewährung des Schutzes nach der Richtlinie 2001/29 ist.

Hierzu ist zunächst anzumerken, dass der Schutz von Mustern und Modellen einerseits und der urheberrechtliche Schutz andererseits grundverschiedene Ziele verfolgen und unterschiedlichen Regelungen unterliegen. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 51 und 55 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, erfasst der Schutz von Mustern und Modellen Gegenstände, die zwar neu und individualisiert sind, aber dem Gebrauch dienen und für die Massenproduktion gedacht sind. Außerdem ist dieser Schutz während eines Zeitraums anwendbar, der zwar begrenzt ist, aber ausreicht, um sicherzustellen, dass die für das Entwerfen und die Produktion dieser Gegenstände erforderlichen Investitionen rentabel sind, ohne jedoch den Wettbewerb übermäßig einzuschränken. Demgegenüber ist der mit dem Urheberrecht verbundene Schutz, der deutlich länger dauert, Gegenständen vorbehalten, die als Werke eingestuft werden können.

Aus diesen Gründen darf – entsprechend den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 52 seiner Schlussanträge – die Gewährung urheberrechtlichen Schutzes für einen als Muster oder Modell geschützten Gegenstand nicht dazu führen, dass die Zielsetzungen und die Wirksamkeit dieser beiden Schutzarten beeinträchtigt werden.

Daraus folgt, dass der Schutz von Mustern und Modellen und der mit dem Urheberrecht verbundene Schutz nach dem Unionsrecht zwar kumulativ für ein und denselben Gegenstand gewährt werden können, diese Kumulierung jedoch nur in bestimmten Fällen in Frage kommt.

Hierzu ist zum einen festzustellen, dass die ästhetische Wirkung, die ein Modell haben kann, ausweislich der üblichen Bedeutung des Begriffs „ästhetisch“ das Ergebnis einer naturgemäß subjektiven Schönheitsempfindung des jeweiligen Betrachters ist. Folglich erlaubt es diese subjektive Wirkung für sich genommen nicht, auf einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand im Sinne der oben in den Rn. 32 bis 34 erwähnten Rechtsprechung zu schließen.

Zum anderen trifft es zwar zu, dass ästhetische Erwägungen Teil der schöpferischen Tätigkeit sind. Gleichwohl ermöglicht der Umstand, dass ein Modell eine ästhetische Wirkung hat, für sich genommen nicht die Feststellung, ob es sich bei diesem Modell um eine geistige Schöpfung handelt, die die Entscheidungsfreiheit und die Persönlichkeit ihres Urhebers widerspiegelt und somit dem oben in den Rn. 30 und 31 angeführten Erfordernis der Originalität genügt.

Daraus folgt, dass der Umstand, dass Modelle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen, es nicht rechtfertigen kann, solche Modelle als „Werke“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 einzustufen.

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der Modelle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle urheberrechtlich geschützt sind, weil sie über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen.

Zur zweiten Frage

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der Modelle wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bekleidungsmodelle urheberrechtlich geschützt sind, weil sie über ihren Gebrauchszweck hinaus einen eigenen, ästhetisch markanten visuellen Effekt hervorrufen.

Unterschriften

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