BGH: Bild-Zeitung durfte nach Tätern des G20 „fahnden“
Die mediale Berichterstattung über die G20-Proteste im Sommer 2017 sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen. Präsent waren dabei Bilder von Krawallen, Straßenschlachten mit der Polizei und nicht zuletzt Plünderungen.
Die Bild-Zeitung startete damals eine Art Fahndung nach Plünderern der G20-Proteste. Hierbei veröffentlichte sie am 10. Juli 2017 auf der Titelseite einen umfangreichen, mit insgesamt 13 Bildern versehenen Beitrag mit dem Titel „Gesucht – wer kennt diese G20-Verbrecher?” und rief Zeugen dazu auf, sich an die Polizei zu wenden.
Der Bundesgerichtshof entschied nun in seinem Urteil vom 23. September 2020 (Az. VI ZR 449/19), dass dies rechtmäßig war. Die Vorinstanzen LG Frankfurt und OLG Frankfurt hatten die Berichterstattung hingegen noch als rechtswidrig angesehen, da die Frau auf dem Bild erkennbar gewesen sei und durch die Darstellung im Kontext mit Gewaltkriminellen stigmatisiert werde. Auch der deutsche Presserat hatte die Berichterstattung missbilligt.
Geklagt hatte eine Frau, die unter den in dem „Fahndungsaufruf“ abgebildeten Personen war. Ihr Foto trug die Bildunterschrift “Der Wochenend-Einklau?“. Das streitgegenständliche Bild zeigte den von außen fotografierten Eingangsbereich eines Drogeriemarktes, dessen Glastüren und Schaufenster eingeschlagen waren. Vor diesem lagen Waren auf dem Boden verstreut, zwischen denen sich Personen befanden. Sie trugen teilweise Kapuzen. Die Klägerin hingegen stand ohne Vermummung dar in leicht gebückter Haltung und mit gesenktem Kopf. Außerdem war ihr von oben fotografierter Kopf mit etwa zur Hälfte abgedecktem Gesicht abgebildet.
Das Gericht urteilte, dass hierdurch ein Bildnis der Frau gegeben sei, da sie von ihren Freunden und Bekannten in Kombination beider Fotografien anhand ihrer Körperform und -haltung, Frisur und Gesichtsform erkannt werden konnte. Die Abbildung sei indes aber ein Bild der Zeitgeschichte i.S.d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Ihr komme erheblicher Informationswert zu, da die G20-Proteste und ihre Begleitumstände von sehr hohem gesellschaftlichen Interesse und Gegenstand öffentlicher Diskussion gewesen sei. Dazu zählten auch die von der Bild-Zeitung thematisierten Aspekte, welche Personen sich daran beteiligten, wie sie sich verhielten, welche Auswirkungen dies hatte und dass die Polizei bei der Aufklärung des Geschehens um die Unterstützung der Öffentlichkeit bat. Demgegenüber wiege die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin weniger schwer, da sie nur für einen vergleichsweise kleinen Kreis der Öffentlichkeit erkennbar war und die Aufnahme in ihrer Sozialsphäre und in einem Kontext entstand, in dem sie damit rechnen musste die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu ziehen. Eine Stigmatisierung liege nicht vor wegen der eingeschränkten Erkennbarkeit und weil die Berichterstattung nicht der Personalisierung einzelner, sondern der Veranschaulichung der Bandbreite des Verhaltens verschiedener Beteiligter und der Schwierigkeiten der Polizei bei ihrer Identifizierung diene.