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Das Landgericht Berlin hat aktuelle die Entscheidung in dem Duogynon Verfahren veröffentlicht.

Geschäftsnummer:

7 O 271/10

hat die Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin in Berlin-Charlottenburg, Tegeler Weg 17-21, 10589 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 30.11.2010 durch den Richter am Landgericht ¦¦

als Einzelrichter

für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages

zuzüglich 10% vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten mit der im Jahr 2010 erhobenen Stufenklage Auskunft u.a. über Nebenwirkungen eines Arzneimittels.

Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der ¦¦¦¦¦¦ AG, die in Deutschland bis Anfang der achtziger Jahre das Arzneimittel ¦¦¦¦¦¦ vertrieb. ¦¦¦¦¦¦-Dragees fanden u.a. als hormoneller Schwangerschaftstest Verwendung.

Die Mutter des Klägers nahm zu Beginn der Schwangerschaft mit dem Kläger im Jahr 1975 ¦¦¦¦¦¦-Dragees zur Überprüfung der Schwangerschaft ein.

Der Kläger leidet seit seiner Geburt am 16.3.1976 an einer Blasenextrophie. Er musste sich zahlreichen Operationen und Revisionsoperationen unterziehen und muss dauerhaft mit einem Stoma, einer künstlichen Harnableitung, leben. Die letzte große Operation erfolgte im Dezember 2005 und diente der Neukonstruktion des Stomas.

Der Kläger führt seine Schädigung auf die Einnahme von ¦¦¦¦¦¦ zurück. Dies ergebe sich aus Erkenntnissen, die er erstmalig vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Dezember 2009 (Einzelheiten: Anlage K 1) erhalten hat.

Der Kläger behauptet, ¦¦¦¦¦¦ sei abstrakt generell geeignet gewesen, den bei ihm eingetretenen Schaden zu verursachen. Auch leide er an Folgeerkrankungen der Blasenextrophie.

Der Kläger beantragt,  die Beklagte zu verurteilen, Auskunft gemäß § 84a AMG zu erteilen über sämtliche ihr bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und diesbezügliche Verdachtsfälle hinsichtlich des von Seiten der Beklagten in Deutschland bis 1983 vertriebenen Medikaments ¦¦¦¦¦¦® bzw. Cumorit® (Dragees, Wirkstoff: Ethylestradiol 0,02 mg, Norethiateronacetat 10 mg) ausgehenden schädlichen Wirkungen, soweit sie Blasenextrophien und weitere Gefäßdefekte betreffen, sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet insbesondere einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Duogynon und dem Auftreten embryonaler Fehlbildungen, einschließlich der beim Klägervorliegenden Art. Sie hat daneben die Einrede der Verjährung erhoben, und zwar bezogen auf die in den Raum gestellten Schadensersatzansprüche und auf die Ansprüche auf Auskunft.

Entscheidungsgründe

Die vom Kläger erhobene Stufenklage ist zulässig aber unbegründet; sie war insgesamt durch Endurteil abzuweisen.

I) Zwar ist bei einer Stufenklage grundsätzlich zunächst nur über den Auskunftsantrag zu verhandeln (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2000 – IV ZR 274/99, NJW 2001, 833) und durch Teilurteil hierüber zu entscheiden (Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 254 Rn. 9). Erst nach dessen Rechtskraft ist grundsätzlich eine Verhandlung und Entscheidung über die nächste Stufe zulässig.

Eine einheitliche Entscheidung über die mehreren in einer Stufenklage verbundenen Anträge hat aber zu ergehen, wenn schon die Prüfung des Auskunftsanspruchs ergibt, dass dem Hauptanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehlt (BGH, Urteil vom 28. November 2001  VIII ZR 37/01, NJW 2002, 1042; Zöller/Greger aaO Rn. 9). Dies gilt entsprechend, wenn der Hauptanspruch verjährt ist und die Einrede der Verjährung erhoben wird. Durch das damit jedenfalls bestehende Recht der Beklagten, die Leistung, hier konkret die Zahlung von Schadensersatz zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB, bzw. § 222 Abs. 1 BGB a.F.), ist auch den weiteren, im Rahmen der Stufenklage geltend gemachten Ansprüchen die Grundlage entzogen (BGHZ 94, 268).

II) So liegt der Fall hier: Sämtliche Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz gegen die Beklagte im Zusammenhang mit der Einnahme von ¦¦¦¦¦¦ wären verjährt. Jedenfalls aus diesem Grund hat der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Auskunft, weder aus § 84a AMG, noch aus § 242 BGB als allgemeinem Auskunftsanspruch.

Es kann daher dahinstehen, ob ein Anspruch auf Auskunft aus § 84a AMG bereits deshalb ausscheidet, weil dieser nur auf Ansprüche aus § 84 AMG und nicht auf Ansprüche aus § 823 BGB bezogen sein kann. Gemäß § 118 AMG a.F. galt § 84 AMG nicht für Schäden, “die durch Arzneimittel verursacht werden, die vor dem 1. Januar 1978 abgegeben worden sind.”; wäre § 118 AMG a.F. vorliegend einschlägig, könnte schon aus diesem (Rechts-) Grund kein Schadensersatzanspruch aus § 84 AMG entstehen.

1) Die behaupteten Schadensersatzansprüche des Klägers sind spätestens im Jahr 2005 verjährt.

Die im Jahr 2010 erhobene Klage konnte die Verjährung nicht mehr hemmen. Wären die Ansprüche auf § 84 AMG zu stützen, wären sie der Verjährung gemäß § 90 Abs. 1 AMG a.F. unterworfen, wonach “ohne Rücksicht auf die Kenntnis” von dem Schaden, von den Umständen, aus denen sich die Anspruchsberechtigung ergibt und von der Person des Ersatzpflichtigen Ansprüche “in dreißig Jahren von dem schädigenden Ereignis an” verjähren. Entsprechendes gilt für Schadensersatzansprüche aus § 823 BGB: Diese verjährten “ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an” (§ 852 Abs. 1 BGB a.F., ebenso geregelt in § 199 Abs. 2 BGB n.F.).

Die Verjährungsfrist beginnt mit der Vornahme der Handlung, die den Schadensersatzanspruch  begründen soll. Zum Verjährungsbeginn genügt das Setzen der Schadensursache, der Schaden braucht noch nicht entstanden zu sein (BGHZ 117, 287). So verjährt etwa der Anspruch wegen einer im Jahr 2008 nicht lege artis vorgenommenen Röntgenbestrahlung auch dann im Jahr 2038, wenn der Schaden erst im Jahr 2037 entsteht (vgl.: Palandt/Ellenberger, 70. Aufl., § 199 Rn. 45).

Auch für etwaige weitergehende Schadensfolgen bzw. Spätschäden beginnt die Verjährungsfrist nach dem Grundsatz der Schadenseinheit mit der Vornahme der schädigenden Handlung (vgl. MüKoBGB-Grothe, 5. Aufl. 2007, § 199, Rn. 9 m.w.N. aus der Rspr.).

Anders als der Kläger meint, kommt es daher für die Verjährung nicht darauf an, dass im Jahr 2005 eine weitere Operation erforderlich geworden ist. Dieser Umstand mag für die Frage von Bedeutung sein, ob § 84 AMG a.F. oder § 84 AMG in der seit dem 1.12.2005 gültigen Fassung

Anwendung finden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2010 – VI ZR 64/09, VersR 2010, 627), er hat jedoch keinen Einfluss auf den Beginn bzw. Ablauf der Verjährungsfrist.

Die Frist von dreißig Jahren begann spätestens im Jahr 1975 zu laufen; konkret spätestens mit der Abgabe von Duogynon an die Mutter des Klägers. Dies ist das letzte denkbar schadensursächliche Verhalten, welches der Beklagte u.U. zugerechnet werden könnte. Ein späteres denkbar schadenursächliches Verhalten der Beklagten wird vom Kläger nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

2) Ein Auskunftsanspruch des Klägers kann nur bezogen auf einen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch bestehen. Ein darüber hinaus bestehendes Auskunftsinteresse genügt nicht. Der Gesetzgeber fordert die Bezogenheit der Auskunft auf einen Hauptanspruch und lässt ein allgemeines Informationsinteresse – auch wenn es menschlich verständlich ist – nicht genügen.

Dies kommt bereits im Wortlaut des § 84a AMG klar zum Ausdruck. Demnach kann Auskunft nicht verlangt werden, wenn “dies zur Feststellung, ob ein Anspruch auf Schadensersatz nach § 84 besteht, nicht erforderlich” ist. Auch die Gesetzesbegründung zu § 84a AMG (BT-Drucks. 14/7752, S. 20f) zeigt eindeutig in diese Richtung:

“Satz 1 stellt eine enge Verbindung zum Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG her, indem er festschreibt,  dass eine Auskunft insoweit nicht besteht, als die geforderten Angaben zur Feststellung, dass dem Betroffenen ein Schadensersatzanspruch nach dem AMG zusteht, nicht erforderlich sind. Damit soll verdeutlicht werden, dass nur der Inhaber des potentiellen Schadensersatzanspruches nach § 84 Abs. 1 die ihm zur Geltendmachung seiner Ansprüche benötigten Auskünfte erhält.”

Entsprechendes ist auch für allgemeine Auskunftsansprüche anerkannt: Auch diese können nicht  mehr geltend gemacht werden, wenn der Hauptanspruch verjährt ist (BGHZ 108, 393; Palandt/Grüneberg, 70. Aufl., § 259 Rn. 11 m.w.N.).

III) Der Beklagten ist es nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die eingetretene Verjährung zu berufen. Zwar ist anerkannt, dass auch das Erheben der Einrede der Verjährung eine unzulässige Rechtsausübung sein kann. Der Zweck der Verjährungsregelungen gebietet es jedoch, strenge Maßstäbe anzulegen und den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur gegenüber einem wirklich groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen (BGH, Urteil vom 21. Januar 1988 – IX ZR 65/87, NJW 1988, 2247).

Dies gilt zumindest insbesondere bei der dreißigjährigen Verjährungsfrist. Schon in § 202 Abs. 2 BGB kommt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber nach 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn der Wahrung von Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit größeres Gewicht beimisst als der Einzelfallgerechtigkeit. Daher kann selbst durch Rechtsgeschäft, also durch eine einvernehmliche Regelung zwischen den Parteien, die Verjährung nicht über eine Frist von 30 Jahren hinaus verlängert werden. Ob vor diesem Hintergrund bereits im Ansatz eine Verlängerung der Verjährungsfrist über 30 Jahre hinaus gemäß § 242 BGB ausgeschlossen ist, kann vorliegend dahinstehen. Ein tragfähiges treuwidriges Verhalten der Beklagten ist nicht ersichtlich. So würde es schon für kürzere Verjährungsfristen allein nicht genügen, wenn die Beklagte wissen würde, dass in der Sache ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz besteht (Palandt/Ellenberger, 70. Aufl., Überbl v § 194 Rn. 17). Die vom Kläger im Schriftsatz vom 20.12.2010 behaupteten Verstöße der Beklagten gegen öffentliches Recht, gegen strafrechtliche Vorschriften und die behauptete gezielte Täuschung der Öffentlichkeit wären nicht geeignet, den Vorwurf der Treuwidrigkeit zu tragen. Ob § 296a ZPO einer Berücksichtigung dieses Vortrages im Weg steht, kann daher offen bleiben.

Auch die weiteren – jedenfalls zum alten Verjährungsrecht anerkannten – Fallgruppen sind nicht  einschlägig: So wurde ein treuwidriges Verhalten bejaht, wenn der Verpflichtete den Berechtigten durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten oder ihn nach objektiven Maßstäben zu der Annahme veranlasst hat, es werde auch ohne Rechtsstreit eine vollständige Befriedigung seines Anspruchs zu erzielen sein (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1987 – IX ZR 202/86).

Entsprechendes zeigt der Kläger nicht auf.

Die vom Kläger in Bezug genommenen Erwägungen der Entscheidung des BGH v. 14. September 2004 – XI ZR 248/03, NJW-RR 2005, 415, sind nicht auf die hier in Rede stehende Verjährungsfrist von 30 Jahren zu übertragen. Diese Entscheidung des BGH betraf die kurze Zweijahresfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F., so dass die dort gegebene bewusste, bzw. zumindest grob fahrlässige Verhinderung der Zustellungen eines Mahnbescheides geeignet war, den Vorwurf der Treuwidrigkeit zu begründen.

IV) Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.

Quelle: LG Berlin