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Eine aktuelle Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) befasst sich mit dem Spannungsverhältnis zwischen Zitatrecht und Meinungsfreiheit im Kontext der Berichterstattung. Hier sind die wesentlichen Punkte zusammengefasst:

1. Fehlzitat durch unvollständigen Kontext: Das OLG stellt fest, dass ein Fehlzitat vorliegen kann, wenn in einem Bericht nur ein einzelner Satz aus einem Facebook-Post zitiert wird, ohne den vollständigen Kontext wiederzugeben. Im vorliegenden Fall betrifft der Kontext die Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung. Ein solcher Ausschnitt kann den Sinn des Zitats verfälschen und somit als Fehlzitat gewertet werden.
2. Wertung als „antisemitisch“ als Meinungsäußerung: Die Beurteilung der zitierten Aussage als „antisemitisch“ fällt nach Ansicht des OLG jedoch unter die Meinungsfreiheit. Das Gericht betont, dass Wertungen und Meinungen, auch wenn sie hart oder polemisch sind, in einer demokratischen Gesellschaft zulässig sein müssen, solange sie nicht die Grenze zur Schmähkritik überschreiten.

OLG Frankfurt 16. Zivilsenat
Urteil vom 08.05.2024
16 U 169/22

(…)

Die Parteien streiten um von dem Kläger geltend gemachte Ansprüche auf Unterlassung in Bezug auf den von der Beklagten auf ihrer Webseite veröffentlichten Artikel vom XX.XX.2021 mit der Überschrift „…“ sowie den Folgeartikel vom XX.XX.2021 mit der Überschrift „X distanziert sich“.

Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Urteil die Klage abgewiesen.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das Urteil des Landgerichts hat der Kläger Berufung eingelegt, mit welcher er sein erstinstanzliches Unterlassungsbegehren weiterverfolgt. Der Kläger betont die Schwere des Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht, die mit seiner Bezeichnung als Antisemit verbunden sei (vgl. BVerfG Beschl. v. 11.11.2021, 1 BvR 11/20). Dieser sei auch rechtswidrig. Entgegen der Ansicht des Landgerichts seien entsprechende Anknüpfungspunkte vorliegend nicht ersichtlich. Die angegriffenen Äußerungen wiesen mehrere nicht fernliegende Deutungsvarianten i.S. der „Stolpe-Doktrin“ auf: Nach einem weiten Begriffsverständnis werde unter Antisemit jeder bezeichnet, der eine wie auch immer geartete negative Wahrnehmung von Juden habe; bei einem engen Verständnis sei dieser gleichbedeutend mit Judenhass. Die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S. der engen Definition, was eine objektiv nachweisbare Tatsache darstelle, sei mit einer deutlich höheren Stigmatisierung verbunden als die Behauptung, der Kläger sei Antisemit i.S. der weiten Definition, was eine auf bestimmten Anknüpfungstatsachen beruhende persönliche Einschätzung darstelle.

Zu Unrecht habe das Landgericht die Äußerung lit. b als solche des Klägers gewertet; hierbei handele es sich um ein Zitat des Künstlers Y. Ferner habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass in dem Kontext, in dem die Äußerung gefallen sei, eine Kritik an der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber Palästinensern zum Ausdruck komme. Diese Kritik sei nicht antisemitisch.

Auch in der Stellungnahme der X-Partei werde die Textpassage in dem Facebook-Beitrag fälschlicherweise als Kommentar des Klägers bezeichnet. Zudem habe sich die X-Partei nicht von einem „antisemitischen Post“ oder „antisemitischen Äußerungen“ des Klägers distanziert, sondern ausschließlich von dem verkürzten Zitat „Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel.“ Dieses sei von der Beklagten bewusst aus dem Kontext gerissen, dem Kläger zugeschrieben und als Diffamierung des Landes Israel allgemein durch den Kläger dargestellt worden. Diese Darstellung sei falsch.

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Die Berufung verhalte sich hinsichtlich der Äußerung lit. a nicht zu dem Aussagegehalt des Facebook-Posts des Klägers. Die Beklagte habe gar nicht behauptet, dass der Kläger „antisemitisch sei“ oder „ein Antisemit sei“, sondern dass er sich (als Vertreter der X-Partei) in seinem Facebook-Post antisemitisch geäußert habe. Es gehe hier um eine Meinungsäußerung und nicht um eine mehrdeutige Tatsachenbehauptung. Die Beklagte treffe keine (diskreditierenden) Äußerungen über die Person des Klägers, sondern übe Kritik an einer Äußerung, die er in einem Facebook-Post verbreitet und das Landgericht zu Recht aufgrund ihres Inhalts als ausreichenden Anknüpfungspunkt für die von der Beklagten vorgenommene Bewertung angesehen habe.

Dass der Kläger mit seinem Facebook-Post ein Fremdzitat veröffentlicht habe, sei für den verständigen Rezipienten nicht erkennbar. Dieser müsse die Aussage des Posts als eigene des Klägers verstehen. Zudem wäre die unter lit. b beanstandete Äußerung inhaltlich auch dann korrekt, wenn der Kläger erkennbar ein Zitat eines Dritten veröffentlicht hätte, ohne dieses kritisch einzuordnen und/oder sich davon zu distanzieren, weil er es sich so mit der Veröffentlichung zu eigen mache. Das Zitat sei von der Beklagten auch inhaltlich richtig wiedergegeben worden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beschränkung der Wiedergabe des Posts auf die aus ihrer Sicht maßgebliche Aussage dem Leser einen falschen bzw. sinnverfälschenden Eindruck vermitteln könne. Die pauschale Gleichsetzung von Israel mit einem Virus habe immer die Qualität einer antisemitischen Äußerung und werde durch den Kontext weder legitimiert noch erscheine sie in einem milderen Licht.

Die X-Partei habe sich auch tatsächlich wie von der Beklagten wiedergegeben zum Facebook-Post des Klägers positioniert.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 511, 517, 519 ZPO).

In der Sache hat sie nur teilweise Erfolg.

Dem Kläger steht wegen der beanstandeten Äußerung lit. b.) ein Unterlassungsanspruch aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB analog, 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegen die Beklagte zu; hinsichtlich der Äußerungen zu lit. a.) und c.) und d.) hat das Landgericht einen Unterlassungsanspruch zu Rechtverneint.

1. a.) „Die X-Partei spricht auf Deutsch von Vielfalt, auf Türkisch antisemitisch”

a. Bei der unter lit. a.) angegriffenen Äußerung handelt es sich um eine kurze hervorgehobene Zusammenfassung zwischen Artikelüberschrift und eigentlichem redaktionellen Text, welcher keine in sich geschlossene und daher selbständig zu wertende Sachaussage zu entnehmen ist. Weder wird der Kläger darin als Betroffener bereits erkennbar gemacht noch hat sie einen aus sich heraus verständlichen Inhalt. Vielmehr stellt sich die Äußerung nur als unselbständiger Hinweis auf den durch sie gekennzeichneten Beitrag dar und kann daher nicht ohne Berücksichtigung des ihr unmittelbar nachgeordneten Textes gewertet werden.

b. Aus dem Zusammenspiel zwischen der halbfett gedruckten einleitenden Zusammenfassung über dem eigentlichen Artikeltext und dem sonstigen Inhalt des Beitrags, insbesondere der unter lit. b.) angegriffenen Äußerung, entnimmt der verständige und unvoreingenommene Leser, auf dessen Verständnis abzustellen ist, dass sich die Äußerung unter lit. a.) neben Äußerungen des Bundesvorsitzenden der X-Partei auf einen in wörtlicher Rede wiedergegebenen Facebook-Post des Klägers als ihren Parteivize bezieht, welcher hier schlagwortartig als „antisemitisch“ qualifiziert wird. Diese Bewertung ist nicht der Beweiserhebung zugänglich, sondern vom eigenen Standpunkt und der subjektiven Sicht der Beklagten auf den Inhalt des Posts abhängig und damit durch die Elemente der Stellungnahme und des Meinens geprägt. Zu Recht hat das Landgericht die Äußerung daher als Meinungsäußerung angesehen; dieser Einordnung wird auch von der Berufung nicht entgegengetreten.

Soweit sich die Berufung mit der Behauptung auseinandersetzt, der Kläger sei ein Antisemit, was strukturell nachweisbar sei, geht dies am vorliegenden Artikelinhalt vorbei und legt offensichtlich die Äußerung in Bezug auf V „Er ist Antisemit (…). Aber das ist strukturell nachweisbar.“ aus der Entscheidung des BVerfG Beschl. v. 11.11.2021, 1 BvR 11/20, zugrunde. Auch besteht nach den für die Ermittlung des Aussagegehaltes einer Äußerung maßgeblichen Grundsätzen [vgl. BGH Urt. v. 26.1.2021 – VI ZR 437/19 – mwN] keinerlei Anhalt für ein Verständnis dahingehend, dass der Kläger als Person als antisemitisch bezeichnet wird. Vielmehr setzt der Artikel das Adjektiv ausdrücklich in Bezug zu den konkret aufgeführten Äußerungen der beiden genannten Personen. Damit gehen auch die Ausführungen der Berufung zu mehrdeutigen Äußerungen ins Leere.

c. Die mithin als Meinungsäußerung einzustufende Äußerung in Bezug auf den Kläger erweist sich trotz des damit verbundenen Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht als zulässig, weil von der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt.

aa. Für die Abwägung von Werturteilen gilt, dass die Meinungsäußerungsfreiheit regelmäßig hinter dem Ehrenschutz zurückzutreten hat, wenn eine reine Schmähkritik oder Formalbeleidigung vorliegt [BVerfG Beschl. v. 12.5.2009 – 1 BvR 2272/04 – Rn. 28 mwN.].

Eine Schmähkritik i.S. der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht mehr gedeckt wäre, hat das Landgericht zu Recht verneint. Die Äußerung diente nicht, wie für die Annahme einer Schmähkritik erforderlich, der Diffamierung und ansatzlosen Herabsetzung des Klägers als Person, sondern enthält eine Auseinandersetzung in der Sache. Denn sie bewertet dessen unstreitig eingestellten Beitrag auf Facebook.

bb. Dem Landgericht ist auch darin zu folgen, dass die vorzunehmende Gesamtabwägung der berührten Rechtspositionen zugunsten der Beklagten ausfällt und damit der Eingriff in die Ehre und den sozialen Geltungsanspruch des Klägers nicht rechtswidrig ist.

(1) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte die beanstandete Bewertung auf einen objektiv tatsächlichen Anknüpfungspunkt zurückführen kann. Der Post aus dem öffentlichen Auftritt des Klägers auf Facebook bietet (noch) einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte diesen Beitrag als antisemisch beurteilen konnte. Mit dem darin verwendeten Begriff „Virus“ wird der Staat Israel mit einem Krankheitserreger gleichgesetzt, der – vergleichbar dem Coronavirus – bekämpft und ausgerottet werden muss, was die Bewertung zulässt, dass der Kläger eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung des Staats Israel hat.

(2) Bei der Gewichtung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers ist zudem zu berücksichtigen, dass die Äußerung vor allem seine Sozialsphäre betrifft, denn sie hat die durch seinen Post bei Facebook nach außen kommunizierten Ansicht des Klägers als Politiker zu einem politisch sensiblen Thema zum Gegenstand, aufgrund deren die Beklagte zu ihrer Bewertung gekommen ist.

(3) Schließlich ist bei der Bewertung des Gewichts, das vorliegend dem Recht auf Meinungsfreiheit zukommt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei dem Artikel der Beklagten um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelte. Die X-Partei als Teil der Stadt1er Stadtverordnetenversammlung stellt als solche ebenso wie die Frage, welche Ansichten deren Vertreter nach außen hin vertreten, aufgrund des Informationsinteresses der Öffentlichkeit fraglos eine diese wesentlich berührende Frage dar. Je weniger es sich aber um eine Äußerung im privaten Bereich zur Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, umso mehr tritt der Schutz des betroffenen Rechtsguts – hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Betroffenen – zurück. In diesem Fall spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede [BVerfG Beschl. v. 10.3.2016 – 1 BvR 2844/13 – Rn. 24].

Nach alldem ergibt die Abwägung, dass im konkreten Fall das Persönlichkeitsrecht und die Ehre des Klägers hinter dem Recht der Beklagten auf Meinungsfreiheit zurücktritt.

2. b.) „Q schrieb auf Facebook: ‚Während man nur noch von Corona redet, hat man den wahren Virus im Nahen Osten vergessen: Israel‘“

Diese Äußerung beeinträchtigt den Kläger in seinem durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht, weil ihm hierdurch eine Äußerung beigelegt oder untergeschoben wird, die er nicht so, wie dargestellt, getätigt hat. Denn auch Fehlzitate stellen unwahre Behauptungen dar.

a. Aufgrund der gewählten Zitatform geht der Leser davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Äußerung um ein wörtliches Zitat des Klägers aus seinem auf Türkisch veröffentlichten Post auf Facebook handelt. Der Einkleidung der streitgegenständlichen Äußerung in Anführungszeichen entnimmt der Leser, dass der Kläger sich darin so geäußert habe, wie dies hier mit der in direkter Rede gefassten Wiedergabe seiner Äußerung zum Ausdruck gebracht wird.

Darin liegt die Behauptung einer Tatsache.

b. Das Landgericht hat die beanstandete Äußerung zutreffend als solche des Klägers gewertet. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht auf die von der Berufung erneut aufgeworfene, vom Landgericht aber nicht thematisierte Frage an, ob es sich bei der beanstandeten Äußerung um ein Zitat des palästinensischen Künstlers Y handelt. Für ein Verständnis dahingehend, dass der Kläger hier keine eigene Aussage treffen wollte, sondern ein Fremdzitat veröffentlichte, bietet der Facebook-Post keinerlei sprachlichen Anknüpfungspunkte. Dabei hat die Sinndeutung der Aussage des Klägers auf der Grundlage der auf Seite 2 der Klageerwiderung (GA 49) erfolgten Übersetzung zu erfolgen, welche auch seitens des Klägers nicht beanstandet wurde. Der Post schreibt dem Künstler zwar das den Post begleitende Foto zu; dass dieser auch Verfasser der dort wiedergegebenen Äußerung ist, wird aber weder durch die Form der Darstellung noch durch dessen Inhalt erkennbar. Weder bedient sich der Kläger der typischen Stilmittel eines Zitats wie dem Setzen von Anführungszeichen oder der Formulierung im Konjunktiv, noch ergibt sich solches aus dem Textbeitrag. Dieser enthält lediglich den Hinweis, dass das Bild von dem Künstler geteilt wurde, nicht aber, dass auch die wiedergegebene Äußerung im ersten Satz von ihm stammt. Vor diesem Hintergrund ordnet der Leser den Post dem Kläger als dessen eigene Aussage zu. Ein solches Verständnis liegt im Übrigen auch dem Schreiben der X-Partei vom 21.4.2021 zugrunde, wenn es dort auf Seite 2, Absatz 2 zur Beschreibung des Posts heißt „Aus dem Kommentar Qs zu diesem Foto (…)“.

Im Übrigen hat sich der Kläger ein – unterstelltes – Fremdzitat auch zu eigen gemacht, denn er hat sich von dem darin zum Ausdruck kommenden Inhalt nicht distanziert, sondern diesen goutiert durch die Formulierung, dass die Weltgemeinschaft nichts gegen „dieses Virus“ unternehme, und die Bewertung des Fotos, mit welchem auf die in dem Zitat zum Ausdruck kommende Kritik aufmerksam gemacht wird, als eine der bedeutendsten Aufnahmen im Jahr 2020 bewertet.

c. Ein Fehlzitat kann nicht nur durch vollständig untergeschobene Fehlzitate im eigentlichen Sinne gegeben sein, sondern auch durch die unrichtige, verfälschte oder entstellte Wiedergabe von Äußerungen in Form eines Zitats, weil der Betroffene hierdurch sozusagen als Zeuge gegen sie selbst ins Feld geführt wird [vgl. BGH Urt. v. 21.6.2011 – VI ZR 262/09 – Rn. 11; Urt. v. 27.1.1998 – VI ZR 72/97 – Rn. 23]. Der Zitierte hat einen Anspruch darauf, dass seine Aussage an seinem Selbstverständnis, also daran gemessen wird, wie und in welchem Kontext er die Äußerung gemacht hat. Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung zutreffend wiedergegeben wurde oder nicht, ist daher nicht das vertretbare Verständnis eines Durchschnittsrezipienten, sondern das, was der Zitierte gemessen an seiner Wortwahl, dem Kontext seiner Gedankenführung und dem darin erkennbar gemachten Anliegen zum Ausdruck gebracht hat. Denn andernfalls würde dem Zitierten die Entscheidung über sein eigenes Wort weitgehend genommen und durch eine mögliche Beurteilung Dritter ersetzt, in der seine Äußerung eine andere Färbung oder Tendenz erhalten kann, als der Zitierte sie zum Ausdruck gebracht hat [BGH Urt. v. 21.6.2011 aaO. – Rn. 12; Urt. v. 27.1.1998 aaO. – Rn. 23 f; Urt. v. 29.11.2021 – VI ZR 248/18 – Rn. 25; Urt. v. 15.11.2005 – VI ZR 274/04 – Rn. 15]. Freilich ist nicht jegliche Wortlautabweichung für die Einordnung eines Zitats als Fehlzitat ausreichend. Von einem Fehlzitat kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Gehalt einer Aussage in der wiedergegebenen Form vom Gehalt der tatsächlich getätigten Aussage abweicht, sei es auch nur in Färbung oder Tendenz [Urt. v. 29.11.2021 aaO. – Rn. 26]..

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Äußerung zu lit. b.) als Fehlzitat zu bewerten, das den Kläger in seinem sozialen Geltungsanspruch verletzt. Soweit die Beklagte in dem Artikel den Zusatz „im Nahen Osten“ hinzugesetzt hat, der sich in der Übersetzung des Facebook-Posts des Klägers nicht findet, kommt dieser geographischen Präzisierung kein weitergehender Bedeutungsgehalt zu. Allerdings weist die Berufung zutreffend darauf hin, dass der Post die Äußerung in Kontext mit der Siedlungspolitik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern setzt. Durch das nicht gekennzeichnete Auslassen dieser Passage in der Berichterstattung wird der Kontext der Gedankenführung des Klägers, in dem seine Äußerung gefallen ist, nicht erkennbar, wodurch diese in ihrem Aussagegehalt eine andere Färbung erhält und nicht mehr dem Gehalt der tatsächlich getätigten Äußerung des Klägers entspricht. Denn darin handelt es sich bei der Bezeichnung Israels als „wahren Virus“ um eine Metapher, mit der Kritik an der Siedlungspolitik des israelischen Staates zum Ausdruck gebracht wird; sie nimmt Bezug auf den Umstand, dass dieser 1948 nach seiner Gründung mehrere 10.000 palästinensische Araber aus zwei arabischen Städten (Stadt2 und Stadt3) vertrieben hat, die außerhalb der Grenzen des israelischen Staates lagen, die im Teilungsplan von 1947 festgelegt worden waren, und beide Städte sich in der Folge in hauptsächlich von Israelis bewohnte Gebiete des neuen Staates Israel verwandelten, wie die Eroberung von Ost-Jerusalem und des Westjordanlandes während des Sechstagekrieges im Jahr 1967, die der israelische Staat weiterhin besetzt hält und dort seit 1967 immer mehr Siedlungen errichtet und den Siedlungsbau nach wie vor weiter vorantreiben will.

Insoweit macht es aber einen Unterschied, ob eine generell ablehnende Haltung gegenüber der Bevölkerung Israels geäußert wird, wie es die als Zitat des Klägers wiedergegebene Äußerung der Beklagten nahelegt, oder ob hierfür ein sachlicher Bezug, nämlich die dortige Siedlungspolitik angeführt wird.

3. c.) „Das Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit nennt antisemitischen Post von Co-Parteichef Q ‚menschenverachtend und unverantwortlich‘“

d.) „In einer Stellungnahme gegenüber der Zeitung1 hat sich die X-Partei von antisemitischen Äußerungen ihres Co-Bundesvorsitzenden Q distanziert“

a. Der Leser entnimmt den Äußerungen, dass die X-Partei gegenüber der Beklagten eine Stellungnahme zu dem Facebook-Post des Klägers abgegeben hat, in welcher sie diesen entsprechend der in Anführungszeichen gesetzten Formulierung als „menschverachtend und unverantwortlich“ bezeichnet und sich von dessen Äußerungen distanziert hat. Dass demgegenüber das Adjektiv antisemitisch nicht als Zitat gekennzeichnet wird, legt für den Leser das Verständnis nahe, dass diese Bewertung des Posts bzw. der Äußerungen des Klägers von der Beklagten herrührt. Aus dem weiteren Artikeltext ersieht der Leser, dass es um die darin als wörtliches Zitat wiedergegebene Äußerung des Klägers geht. Ferner wird die unter lit. c.) angegriffene Äußerung näher differenziert und konkret in Bezug zur Bezeichnung eines Landes als Virus gesetzt, was erkennbar auf die unmittelbar vorausgehend dargestellte Äußerung des Klägers abstellt. Durch die Kombination von Konjunktiv als Stilmittel der indirekten Rede und Anführungszeichen versteht der Leser dies so, dass sich dieser Satz so in der genannten Stellungnahme findet.

b. Wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, handelt es sich bei der Formulierung „antisemitisch“ im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Post des Klägers und der dortigen Äußerung um eine Meinungsäußerung, die nach den Ausführungen den zu lit. a.) auch nicht rechtswidrig in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingreift.

Im Übrigen ist die Äußerung zu lit. c.) mit dem vorstehend unter a. dargestellten Aussagegehalt, nämlich, dass die X-Partei in ihrer Stellungnahme sich dahingehend geäußert hat, dass sie den Post des Klägers als menschenverachtend und unverantwortlich bewertet in Bezug auf die Bezeichnung des Staates Israels als Virus, als Tatsachenäußerung zu bewerten. Diese ist auch wahr. Die an die Beklagte gerichtete Stellungnahme der X-Partei vom 21.4.2021 (Anlage B2/GA 55 ff) nimmt auf Seite 2 im zweiten Absatz konkret Bezug auf den Post des Klägers auf seiner privaten Facebook-Seite. Im nachfolgenden Absatz findet sich der in dem Artikel zitatweise wiedergegebene Passus. Dass die daneben von der X-Partei allgemein geäußerte Ansicht fehlt, dass Kritik an der Regierung eines Landes durchaus legitim sein könne, vermag die Wiedergabe des Zitats nicht zu verzerren.

Auch wenn man die Äußerung lit. c.) schwerpunktmäßig als Meinungsäußerung, nämlich als zusammenfassende Bewertung der Stellungnahme der X-Partei seitens der Beklagten, ansehen wollte, gäbe es hierfür hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.

c. Bei der Äußerung zu lit. d.) handelt es sich um eine Meinungsäußerung. Denn ob man die Stellungnahme der X-Partei dahin interpretiert, dass sie sich damit von den Äußerungen des Klägers in seinem Post distanziere, ist in entscheidender Weise durch die Elemente des Dafürhaltens oder Meines geprägt. Für dieses Verständnis enthält das Schreiben der X-Partei an die Beklagte vom 21.4.2021 hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte. Das Schreiben stellt erkennbar auf den zuvor erwähnten streitgegenständlichen Facebook-Post des Klägers ab, wenn es im vierten Absatz heißt, dass die X Partei-Führung sich von diesem Post distanziere. Damit beschreibt diese aber selbst ihr Verhalten als distanzieren. Selbst wenn man die Äußerung zu lit. d.) aufgrund des unbestimmten Begriffs „distanziert“ schwerpunktmäßig als Tatsachenbehauptung einstufte, wäre sie mithin wahr. Als solche muss sie hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Kläger sein mag. Demgegenüber bietet die Stellungnahme für die Lesart der Berufung, die X-Partei distanziere sich ausschließlich von dem in dem Artikel vom XX.XX.2021 verkürzt wiedergegebenen Zitat, keinen Raum.

4. Die für den Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog erforderliche Wiederholungsgefahr wird aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung vermutet [vgl. BGH Urt. v. 4.6.2019 – VI ZR 440/18 – Rn. 20 mwN]. Diese Vermutung hat die Beklagte hier nicht entkräftet.

5. Soweit dem Kläger ein Unterlassungsanspruch zusteht, ist auch der Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten begründet (§§ 683 Satz 1, 670 BGB). Der Senat hat die zugesprochenen Abmahnkosten nach einem Gegenstandswert von € 15.000 errechnet.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

Der Streitwert war sowohl für das erstinstanzliche als auch für das zweitinstanzliche Verfahren abweichend vom Landgericht auf € 50.000,- festzusetzen (§§ 53 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 3 GKG i.V.m. § 3 ZPO). Hierbei geht der Senat entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung bei bundesweit erscheinenden Publikationen bei den Äußerungen zu lit. a.) und b.) von einem Gegenstandswert von € 15.000,- pro Äußerung aus. Dagegen sind die Äußerungen zu lit. c.) und d.) unter einem Themenkomplex, nämlich der Stellungnahme der X-Partei, zusammenfassend zu bewerten ist. Dem Umstand, dass diese Äußerungen nicht vollkommen redundant sind, sondern zusätzliche Informationen enthalten, ist durch eine Erhöhung des diesbezüglichen Streitwerts auf € 20.000 Rechnung zu tragen.

Quelle: Hessenrecht
https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/perma?d=LARE240000703

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Kai Jüdemann

Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht