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Satire darf (fast) alles

Am vergangenen 3. Mai 2025 haben wir den jährlichen Internationalen Tag der Pressefreiheit gefeiert. Das OLG Nürnberg hat in einem Beschluss (3 W 2333/24) eine Orientierungshilfe gegeben, wie weit die verfassungsrechtlich in Art. 5 I GG geschützte Meinungsäußerungsfreiheit bei satirischen Inhalten gehen darf. Für diese überspitzte, humorvolle Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, politischen oder persönlichen Themen gelten besonders weite Maßstäbe. Denn sie dient gerade dazu, Missstände aufzuzeigen und gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

Anlass hat die Tageszeitung Nürnberger Nachrichten gegeben, die einen Kommentar zur Demo in Gedenken an die Opfer des Hamas-Terrors gegen Israel im Vorjahr veröffentlicht hat, der wiederum von einem Beitrag in der taz verbal in der Luft zerrissen wurde: Der Artikel ließe sich nur mit einem bereitgestellten „Speikübel“ lesen und überhaupt sei die Zeitung in der Vergangenheit in Augen des Autors nur als „Scheißhauspapier“ sinnvoll eingesetzt wurden. Fällt das noch unter die Meinungsäußerungsfreiheit, genauer unter Satire? Laut OLG Nürnberg – ja. Die Grenze, ob der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit eröffnet ist, bildet die Schmähkritik. Schmähkritik liegt jedoch nur dann vor, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BGH Urteil vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99ZUM 2000, 397; BVerfG ZUM 2013, 36 Rn. 30 – „Rechtsextremer“ Anwalt).

Das OLG Nürnberg führt aus, dass die Aussagen zwar geeignet sind, die Antragstellerin zu diffamieren, jedoch ist es der Satire geradezu immanent, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten. Satirische Darstellungen sind einer dreistufigen Prüfung zu unterziehen:
1. Zunächst ist die Äußerung an sich zu betrachten, losgelöst von ihrer satirischen Einkleidung. Enthält die Aussage dann noch immer eine Kundgabe von Missachtung?
2. Falls ja – nun ist zu beurteilen, ob auch die bei Stufe eins außer Acht gelassene satirische Einkleidung unter für Satire geltende gelockerte Grenzen aus Sicht des Durchschnittsbetrachters noch eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellt.
3. Im letzten Schritt ist zu prüfen, ob die satirische Einkleidung isolierbare Teilelemente enthält, worunter solche Ausdrücke fallen, die nicht als Teil- oder Nebenaussage einzuordnen sind, sondern einen eigenständigen Aussagegehalt vorweisen. Sofern dem so ist, sind auch diese auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu prüfen.

Vorliegend hat das Gericht in den Ausführungen der taz zwar ausfällige Kritik gesehen, die jedoch lediglich eine subjektive Einschätzung des Autors zum Ausdruck bringt, jedoch auch nach der dreistufigen Prüfung keine Schmähkritik enthält. Somit ist der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit Art. 5 I GG eröffnet.

Der Versuch, im einstweiligen Rechtsschutz eine Verbreitung des Artikels und einzelner Teile davon zu erkämpfen (§§ 1004 I 2, 823 I BGB), scheiterte. Grundsätzlich steht der Antragstellerin der Schutz ihrer Unternehmenspersönlichkeit aus Art. 2 I i.V.m. Art. 19 III GG zwar selbstverständlich zu. Die Passagen sind auch nicht nur geschmacklos und unpassend, sondern wie das OLG Nürnberg feststellt aufgrund der teilweise sehr ausfälligen Sprache nachvollziehbar als herabwürdigend und verletzend empfunden wurden und haben bei diesen berechtigterweise erhebliche Verärgerung ausgelöst. Insbesondere haben sich die Äußerungen negativ auf ihr Ansehen in der Öffentlichkeit ausgewirkt, sodass ein Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht bejaht wurde. Aber ein Eingriff in Grundrechte ist ausdrücklich nicht gleichzusetzen mit einer Verletzung dergleichen. Eine Rechtfertigung ist möglich. Die Reichweite des Persönlichkeitsrechts ist nicht feststehend und muss im konkreten Einzelfall unter Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange ermittelt werden. Vorliegend ist das Unternehmenspersönlichkeitsrecht in Abwägung zur Meinungsäußerungsfreiheit unter besonderer Berücksichtigung satirisch zulässiger Meinungskundgaben zu setzen. Ziel dabei ist es, den objektiven Sinngehalt aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums zu ermitteln. Der sprachliche Kontext und die Begleitumstände, unter denen die Veröffentlichung stattgefunden hat, sind miteinzubeziehen.

Als Tageszeitung richtet sich die taz an ein politisch interessiertes, breites öffentliches Publikum. Ferner sei auch durch sprachliche Methodik der satirische Charakter klar ersichtlich: So finden sich einige Neologismen im Text („von allen guten Sprachgeistern verlassen“, „Phrasenkönig“, „Buchstabenbrühe“) und karikatureske Bildspracheelemente, ferner ist der Beitrag übertitelt mit einer parodierenden Abbildung. Der Autor des taz-Artikels veröffentlicht laut Wikipedia regelmäßig kulturkritische und politische Beiträge und sein Schwerpunkt der schriftstellerischen Tätigkeit liegt u.a. in der Satire. Interessant ist, dass dadurch diese Beschreibung zu einer offenkundigen Tatsache i.S.d. § 291 ZPO wird (so auch bereits OLG München NJW-RR 2019, 248 Rn. 19). Schließlich sei Wikipedia eine allgemein einfach zugängliche, zuverlässige Quelle. Demnach ist die journalistische Natur des Autors als offenkundig anzusehen und fließt für die taz begünstigend in die Gesamtschau mit ein. Unter Berücksichtigung all dieser Aspekte (Kontext, Publikum, sprachliche Methodik, journalistische Natur des Autors) muss die Unternehmenspersönlichkeit der Nürnberger Nachrichten hinter der Meinungsäußerungsfreiheit der taz zurückstehen.
Ferner fehlte es auch an der für einen Unterlassungsanspruch nötigen Widerholungs- oder Erstbegehungsgefahr. Die ständige Rechtsprechung bejaht grundsätzlich eine tatsächliche Vermutung einer Wiederholungsgefahr bei Vorliegen eines rechtswidrigen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Die Gesamtschau bleibt jetzt sogar bei der Frage nach der Wiederholungsgefahr unberücksichtigt. Jedoch ergibt sich bei Anwendung der „Kerntheorie“ im konkreten Fall keine Gefahr: Demnach erstreckt sich die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr auch auf alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen (BGH ZUM 2002, 214 – „SPIEGEL-CD-ROM“), vorliegend etwa eine drohende Veröffentlichung einzelner Passagen. Entscheidend ist dabei, dass das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH GRUR 2000, 337 [338] – „Preisknaller“). Jedoch sieht das OLG Nürnberg gerade keine Kerngleichheit zwischen der Veröffentlichung des Gesamtartikels und der Veröffentlichung nur einzelner Textausschnitte. Zur Verneinung der Erstbegehungsgefahr lässt das Gericht ausreichen, dass die Antragsgegnerin vorbringt, dass weitere Artikel zum Thema nicht geplant seien.
Im Ergebnis kann die hochtreibend überspitze Wortwahl des taz-Autors zwar einerseits beim allgemeinen Publikum Empörung hervorrufen, aber beim hier entscheidenden taz-Publikum laut OLG Nürnberg durch sprachliche Stilmittel und den konkreten Kontext vielmehr ein Schmunzeln, wodurch sie den gelockerten Anforderungen der Satire unterfällt und damit im Ergebnis gerechtfertigt ist.

Franziska Becker

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