Die Axel Springer AG darf bestimmte E-Mails in direkter oder indirekter Rede weder verbreiten noch verbreiten lassen, die die Privatsphäre des früheren brandenburgischen Innenministers Rainer Speer betreffen. In einem Berufungsverfahren bestätigte heute das Kammergericht insoweit ein entsprechendes Verbot des Landgerichts Berlin durch eine einstweilige Verfügung vom 2. September 2010. Das Gericht bejahte jedoch ein hohes öffentliches Informationsinteresse an den Umständen, die zum Rücktritt des Ministers geführt haben und beschränkte das Verbot auf die Wiedergabe in wörtlicher oder indirekter Rede.
Der Vorsitzende Richter des für Pressesachen zuständigen 10. Zivilsenats, Stefan Neuhaus, erläuterte im Termin zur Urteilsverkündung, bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit und dem Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Achtung des Privatlebens sei nach den Umständen des Falles dem Persönlichkeitsrecht Speers der Vorrang einzuräumen. Zwar bestehe am Verhalten von Personen des politischen Lebens unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Aus den umstrittenen E-Mails sei jedoch ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis der Beteiligten erkennbar: Sie hätten darauf vertraut, dass ihre Korrespondenz nicht einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht werde. Das verstärke den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht im Falle einer Veröffentlichung.
Der Senat halte es für überwiegend wahrscheinlich, dass die E-Mails durch Straftaten Dritter beschafft worden seien. Die Rechtswidrigkeit der Informationsbeschaffung könne den verantwortlichen Redakteuren nicht verborgen geblieben sein. Andererseits stehe es nicht fest, dass der Antragsteller eine Straftat begangen habe. Ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der eine Verdachtsberichterstattung rechtfertigen könne, läge ebensowenig vor.
Letztlich könne der Senat bei dieser Sachlage nicht feststellen, dass die Bedeutung der Information für die öffentliche Meinungsbildung eindeutig die Nachteile überwiege, die sich aus der strafbaren Informationsbeschaffung für den Politiker und die Geltung der Rechtsordnung ergäben.
Die Entscheidung des Landgerichts, jede publizistische Nutzung der E-Mails zu verbieten, sei allerdings zu weitgehend. Es sei nur gerechtfertigt, ihre wörtliche oder sinngemäße Verbreitung zu untersagen.
Mit ähnlicher Begründung hat das Kammergericht – abweichend vom Landgericht und in Abänderung erstinstanzlicher Entscheidungen – in drei weiteren Verfahren zu ähnlichen Themenkomplexen die Erledigung der Hauptsache festgestellt. Die dort gestellten Unterlassungsanträge – zwei davon gegen die Bild digital GmbH & Co. KG – seien zunächst gerechtfertigt gewesen. Der Rücktritt Speers sei jedoch als erledigendes Ereignis im Sinne des Prozessrechts anzusehen, weil dadurch ein neues Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den Umständen der Amtsaufgabe entstanden sei.
Da die Entscheidungen sämtlich in Eilverfahren ergangen sind, können sie nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen werden.
1) Kammergericht, Urteil vom 18. April 2011
– 10 U 149/10 –
Landgericht Berlin, Urteil vom 21. September 2010
– 27 O 685/10 –
2) Kammergericht, Urteil vom 18. April 2011
– 10 U 163/10 –
Landgericht Berlin, Urteil vom 23. September 2010
– 27 O 729/10 –
3) Kammergericht, Urteil vom 18. April 2011
– 10 U 161/10 –
Landgericht Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2010
– 27 O 748/10 –
4) Kammergericht, Urteil vom 18. April 2011
– 10 U 162/10 –
Landgericht Berlin, Urteil vom 5. Oktober 2010
– 27 O 742/10
Quelle: Pressemitteilung des Kammergerichts