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Presse Verdachtsberichterstattung

Der BGH hatte in einem aktuellen Urteil ( BGH, Urt. v. 18.06.2019, Az. VI ZR 80/18) einen besonders brisanten Fall der Verdachtsberichterstattung durch die BILD-Zeitung zu entscheiden.

Auf einer Oktoberfestfeier der Anwaltskanzlei Linklaters in einem Münchner Nobellokal, auf der neben Anwälten auch Werksstudenten anwesend waren, hatte einer der Partner, der Steuerrechtler Dr. T.E., eine Studentin im Außenbereich des Lokals bedrängt und anschließend vergewaltigt. Hierfür wurde er wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu drei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, unter anderem hatte bereits vor dem Urteilsspruch die BILD-Zeitung ausführlich über den Fall berichtet. Die Revision wurde vom BGH verworfen. 

Nun bestätigte der BGH die vom Verurteilten beklagte Verletzung des Grundsatzes der Verdachtsberichterstattung in Teilen.

Verdachtsberichterstattung bedeutet, dass die Presse über einen Sachverhalt berichtet, dessen Wahrheitsgehalt noch nicht erwiesen ist, weshalb insbesondere bei Strafverfahren im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht der von der Berichterstattung betroffenen Person ein besonderes öffentliches Interesse sowie das Vorliegen von Beweistatsachen erforderlich sind, die den Verdacht stützen.  

Im vorliegenden Fall titelte die BILD zunächst „Staatsanwalt ermittelt gegen Star-Anwalt“, versehen mit einem Porträtfoto des Partners, auf dem die Augen mit einem schwarzen Balken verdeckt waren; zudem wurde er als „Thomas E.“ kenntlich gemacht. Des Weiteren berichtete das Boulevardblatt über den Tathergang, E. habe die Studentin auf eine abgelegene Treppe gedrückt.  Sie solle sich gewehrt haben und ihr Dirndl dabei zerrissen sein. Zudem solle E. ihr Obszönitäten ins Ohr geflüstert haben, wie etwa „Du bist die geilste Sau“. Er solle ihr, trotz ihres Flehens aufzuhören, den Slip ausgezogen und seine Hose geöffnet haben. Bei einer internen Befragung solle er angegeben haben, die Studentin habe ihn „angemacht“, er habe sie lediglich „gebusselt“. Gegen diverse Äußerungen in den Berichten sowie die Verwendung seines Fotos ging E. vor und hatte damit in den Vorinstanzen auch Erfolg.

Der Verurteilte hatte seinen Klageantrag, der auf die Unterlassung der Wort- und Bildberichterstattung, die Auskunft der Auflagenzahl, auf Entschädigung und Ersatz seines materiellen Schadens gegen die BILD-Zeitung gerichtet war, durch eine einseitige Teilerledigungserklärung beschränkt, da einige Fakten durch das ergangene Strafurteil bereits bestätigt wurden. In der Entscheidung über einen solchen Antrag haben Gerichte allerdings immer noch zu prüfen, ob der nun für erledigt erklärte Klageteil vor dem erledigenden Ereignis zulässig und begründet gewesen wäre. Somit musste sich der BGH doch noch mit den Berichten im Einzelnen befassen. Dabei präzisierte der BGH seine Anforderungen an eine nachträgliche Kontrolle strafverfahrensbegleitender Berichterstattung: Zunächst kam er zu dem Schluss, dass die darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen aufgrund des Strafurteils als wahr anzusehen seien. Auch rückblickend aber müsse berücksichtigt werden, dass die Unschuldsvermutung vor dem Urteil noch bestanden habe. Bei einer verfahrensbegleitenden Berichterstattung dürfe die Darstellung keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten. Um die Ausgewogenheit sicherzustellen, müsse zudem regelmäßig vor der Veröffentlichung eine Stellungnahme des Betroffenen eingeholt werden. Schließlich müsse auch „ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit gerade auch an der Offenlegung der Identität des Betroffenen“ bestehen. Jedenfalls letzteres sei hier nicht der Fall gewesen, bestätigte der BGH. Während des nichtöffentlichen Ermittlungsverfahrens habe zudem auch kein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bestanden, mit einem nur dürftig anonymisierten Bild Erkenntnisse über das Aussehen des Ex-Partners zu gewinnen.

Ein Unterlassungsanspruch gegen die BILD-Zeitung steht ihm jedoch laut BGH nicht zu, da hierfür eine Wiederholungsgefahr nötig ist. Diese entfällt vorliegend deshalb, weil die in der BILD-Berichterstattung getätigten Äußerungen mittlerweile rechtlich zulässig sind. Hierzu führt der BGH aus:

„Eine rechtswidrige Beeinträchtigung in der Vergangenheit begründet in der Regel die tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung fällt indes weg, wenn durch die Veränderung tatsächlicher Umstände nunmehr die Berichterstattung als rechtlich zulässig zu beurteilen ist. Wer in der Vergangenheit in seinen Rechten verletzt wurde, hat keinen Anspruch darauf, dass ein Verhalten unterlassen wird, das sich inzwischen als nicht mehr rechtswidrig darstellt.“

Seit seiner rechtskräftigen Verurteilung gelte auch die Unschuldsvermutung für ihn nicht mehr, sodass das öffentliche Interesse an der Berichterstattung seine persönlichen Schutzinteressen überwiege und sich die Ereignisse als Geschehnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte darstellten. Aufgrund der Verurteilung wegen Vergewaltigung sei zudem ein „Mindestbestand an Beweistatsachen“ vorhanden, die ein öffentliches Berichtsinteresse begründeten. Eine weitere Berichterstattung sei daher zulässig. Bezüglich der bisher ungeklärten Details gelte jedoch weiterhin die Unschuldsvermutung, insbesondere darüber, er habe die Studentin im Außenbereich des Lokals auf eine abgelegene Treppe gedrückt und ihr Obszönitäten ins Ohr geflüstert, sie habe sich gewehrt, so dass ihr Dirndl zerrissen sei, ihn angefleht, aufzuhören und er habe ihr den Slip ausgezogen und seine Hose geöffnet.

Über mögliche Entschädigungsansprüche des Verurteilten gegen die BILD-Zeitung wird erst im folgenden Verfahrensabschnitt durch Schlussurteil entschieden.

 

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