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Recht am eigenen Bild – Stillschweigende Einwilligung in Fernsehaufnahmen – Umfang OLG Karlsruhe 14 U 27/05

Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26. Mai 2006–14 U 27/05

Leitsätze:

1. Wer erkennt, dass er von einem Kamerateam des Fernsehens gefilmt wird und dabei ohne Unwillen zu zeigen an ihn gerichtete Fragen beantwortet, willigt damit grundsätzlich auch in eine spätere Ausstrahlung der ihn zeigenden Fernsehaufzeichnung ein.
2. Die stillschweigend erteilte Einwilligung des Betroffenen in die Ausstrahlung von ihm gefertigter Fernsehaufnahmen kann nur für die Verbreitung in einem Rahmen angenommen werden, der nicht in einem Missverhältnis zu der Bedeutung steht, die der Betroffene selbst in erkennbarer Weise der den Gegenstand der Fernsehaufnahme bildenden Thematik beilegt.
3. Werden Fernsehaufnahmen in einem Rahmen gesendet, der der Thematik nach der erkennbaren Einschätzung des Betroffenen nicht angemessen ist, so ist ihre Veröffentlichung von einer grundsätzlich erteilten Einwilligung nur dann gedeckt, wenn der Betroffene zuvor über die Einzelheiten der geplanten Verbreitung – insbesondere über das Niveau der Sendung und den Zusammenhang, in den der Beitrag gestellt werden sollte – unterrichtet worden war.

Gründe: A. Am 25.7.2003 hatte sich die damals knapp 5 Jahre alte Klägerin Nr. 2, die dort zusammen mit ihren Eltern die Ferien verbrachte, auf dem weitläufigen Gelände des bei C./Italien gelegenen »Parco delle Vacanze« – des angeblich größten Campingplatzes Europas – verlaufen. Ein zufällig anwesendes Kamerateam der Beklagten, eines privaten deutschen Fernsehsenders, filmte, wie das Kind zur Rezeption der Anlage gebracht, dort befragt und sodann wieder zum elterlichen Zelt gebracht wurde; sodann wurde noch ein kurzes Interview mit der Klägerin Nr. 1 – der Mutter des Kindes – aufgenommen. Die Bilder wurden am 13. und am 14.8.2003 jeweils zur Mittagszeit im Rahmen des Magazins »S.« der Beklagten ausgestrahlt. Die Klägerinnen behaupten, sie seien ohne ihre Einwilligung gefilmt worden, die Ausstrahlung sei gegen den durch den Ehemann bzw. Vater der Klägerinnen für die gesamte Familie deutlich zum Ausdruck gebrachten Willen erfolgt. Auch die Klägerin Nr. 1 selbst habe gegenüber dem Interviewführer geäußert, sie wolle nicht, dass die Aufnahmen gesendet würden.

Mit der Begründung, sie seien durch die Aufnahmen und deren Verbreitung aufs Schwerste in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt worden, haben die Klägerinnen die Beklagte auf Zahlung einer Geldentschädigung – 7.000,00 EUR für die Klägerin Nr. 1 und 5.000,00 EUR für die Klägerin Nr. 2 – in Anspruch genommen.
Wegen der von den Klägerinnen verfolgten Ansprüche und des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Einzelnen, wegen des Vorbringens der Parteien sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Nach Anhörung der Klägerin Nr. 1 und Vernehmung von Zeugen hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Nr. 2 einen Betrag von 2.500,00 EUR zu bezahlen. Die weitergehende Klage der Klägerin Nr. 2 und die Klage der Klägerin Nr. 1 hat das Landgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Der Klägerin Nr. 2 stehe eine Geldentschädigung deshalb zu, weil durch die getätigten und später ausgestrahlten Fernsehaufnahmen, die sie im Zustand der Angst und Verzweiflung zeigten, ihr Recht am eigenen Bild mißachtet und rechtswidrig in ihre Privatsphäre eingegriffen worden sei. Jedenfalls der Vater der Klägerin Nr. 2 habe die Zustimmung zu den Filmaufnahmen und deren späterer Sendung ausdrücklich verweigert. Der Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin Nr. 2 sei nicht durch ein besonderes öffentliches Interesse gerechtfertigt. Das öffentliche Interesse an auf einem Campingplatz verirrten Kindern sei als gering einzuschätzen; einen gewissen Schutz verdiene zwar das Bedürfnis an oberflächlicher Unterhaltung, demgegenüber überwiege aber das Interesse der Klägerin Nr. 2 auf Wahrung ihrer Privatsphäre. Weil die Klägerin Nr. 2 nicht auf andere Weise Genugtuung erlangen könne, stehe ihr eine Geldentschädigung in einer nach den Umständen angemessenen Höhe von 2.500,00 EUR zu. Die Klägerin Nr. 1 habe dagegen keinen Anspruch auf eine Geldentschädigung, weil ihr gegenüber die Filmaufnahmen und deren Ausstrahlung nicht widerrechtlich erfolgt seien. Aufgrund ihres Verhaltens habe das Filmteam nämlich davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin Nr. 1 mit Aufnahme und Sendung einverstanden gewesen sei.
Mit ihren Berufungen verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren auf eine – bzw. auf eine höhere – Geldentschädigung weiter. Sie rügen die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung und beanstanden, dass die zwar geladene, aber infolge Krankheit nicht erschienene Zeugin B. nicht gehört wurde. Sie tragen vor, erst kurz vor der mündlichen Verhandlung erfahren zu haben, dass die Aufnahmen im Jahr 2003 von der Klägerin über die Homepage www.000.de auch ins Internet eingestellt worden sei, sodass eine weltweite Öffentlichkeit darauf Zugriff gehabt habe. Im Übrigen wiederholen sie im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Sie beantragen, unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin Nr. 1 und an die Klägerin Nr. 2 ein angemessenes Schmerzensgeld – für die Klägerin Nr. 1 mindestens 7.000,00 EUR und für die Klägerin Nr. 2 mindestens 5.000,00 EUR – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.9.2003 zu bezahlen.
Die Beklagte, die bestreitet, dass die Bilder auch ins Internet aufgenommen worden seien, wiederholt gleichfalls im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung hat der Senat den in Rede stehenden Sendebeitrag durch Abspielen des Videobandes in Augenschein genommen. Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. B., R. W., A. G. und F. E.
B. Die Berufungen beider Klägerinnen sind zulässig. In der Sache hat nur das Rechtsmittel der Klägerin Nr.1 Erfolg.
I. Zur Berufung der Klägerin Nr. 1
In Rechtsprechung und Literatur ist allgemein anerkannt, dass eine durch Presseveröffentlichung, wozu auch die Berichterstattung durch die elektronischen Medien gehört, bewirkte Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu einem gegen die Verletzer – bei Fernsehsendungen ist das u. a. der diese verbreitende Privatsender bzw. die verbreitende Sendeanstalt – gerichteten und aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 1 und Art. 2 GG herzuleitenden Anspruch des Opfers auf Zahlung einer Geldentschädigung führen kann. Voraussetzung für einen solchen Anspruch ist, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt, wobei die Verantwortlichen ein Verschulden treffen muss, und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Für die Beurteilung maßgeblich sind insbesondere Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, dessen Anlass und der Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens (BGHZ 160, 298 ff., 306, m. w. N.).
1. Die Anwendung dieser Grundsätze führt zur Bejahung der Voraussetzungen eines Anspruchs der Klägerin Nr. 1 auf Zahlung einer Geldentschädigung. Insbesondere hat die Beklagte entgegen der Auffassung des Landgerichts durch die Ausstrahlung der die Klägerin Nr. 1 zeigenden Filmaufnahmen deren Recht am eigenen Bild und damit ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht in gravierender Weise verletzt.
a) Bildnisse einer Person dürfen nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Den ihr obliegenden (eingehend hierzu OLG München NJW-RR 1996, 93 ff., 94) Beweis für ihre Behauptung, die Klägerin Nr. 1 sei mit der Ausstrahlung der sie zeigenden Bildfolge einverstanden
570 Oberlandesgerichts Karlsruhe: Recht am eigenen Bild; Reichweite einer stillschweigend erteilten Einwilligung in Fernsehaufnahmen(ZUM 2006, 568)
gewesen, hat die Beklagte nicht geführt. Der dem angefochtenen Urteil zu Grunde liegenden Ansicht, durch ihr Verhalten während der Filmaufnahmen habe die Klägerin stillschweigend ihre Einwilligung in die später erfolgte Verbreitung durch die Beklagte erteilt, vermag der Senat nicht zu folgen:
aa) Aufgrund der in der Berufungsverhandlung erfolgten Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen steht für den Senat allerdings fest, dass die Klägerin Nr. 1 – entgegen ihrem Vortrag – bemerkt hat, dass sie gefilmt wurde. Mit dem Landgericht ist der Senat ferner davon überzeugt, dass sie mit der Herstellung der Filmaufnahmen auch einverstanden war, denn anders kann der Umstand nicht gedeutet werden, dass sie die Fragen des Interviewführers ohne Unwillen zu zeigen beantwortet hat und dabei auch in die auf sie gerichtete Kamera geschaut hat.
bb) Dadurch hat die Klägerin Nr. 1 aber nicht zugleich zum Ausdruck gebracht, auch mit einer Ausstrahlung der Szene durch die Beklagte im Rahmen des Magazins »S.« – das nach Vortrag der Beklagten den Zuschauer »mit den kleinen Skurrilitäten des Alltags unterhalten« will – einverstanden zu sein.
Richtig ist zwar, dass es nach den Umständen, unter denen das in Rede stehende Interview zustande kam und gefilmt wurde, nahe lag, dass es später auch gesendet werden sollte. Auch in einem solchen Fall kann eine stillschweigende Einwilligung aber nur für die Verbreitung in einem Rahmen angenommen werden, der nicht in einem Missverhältnis zu der Bedeutung steht, die der Betroffene selbst in erkennbarer Weise der den Gegenstand der Filmaufnahme bildenden Thematik beilegt.
Im vorliegenden Fall waren Gegenstand des vom Kamerateam der Beklagten aufgenommenen Interviews die Verzweiflung der Klägerin Nr. 1 nach dem Verschwinden ihrer Tochter und ihre Erleichterung, nachdem das Kind wieder aufgetaucht war. Dass diese Ereignisse sie tief bewegt haben und von ihr keinesfalls als »Skurrilitäten« angesehen wurden, ist ihrem Verhalten vor der Kamera deutlich zu entnehmen und wurde, wie sich aus dem Vortrag der Beklagten ergibt, auch von dem für diese tätig gewesenen Interviewführer erkannt. Die stillschweigend erteilte grundsätzliche Einwilligung zu einer Veröffentlichung der Bildfolge hätte daher die Ausstrahlung im Rahmen einer der oberflächlichen Unterhaltung dienenden Sendung wie des Magazins »S.« nur dann gedeckt, wenn die Klägerin Nr. 1 über die Einzelheiten der geplanten Verbreitung – insbesondere über das Niveau der Sendung und den Zusammenhang, in den das Interview gestellt werden sollte – unterrichtet worden wäre (vgl. Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rn. 834; Damm-Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in Presse und Rundfunk, 2. Aufl. 2001, Rn. 148 f.; von Strobl-Albeg, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Rn. 7.63; zur Reichweite einer erteilten Einwilligung auch Löffler/Ricker, Handbuch des Presserechts, 5. Aufl. 2005, Rn. 43.7).
Dass eine derartige Unterrichtung der Klägerin Nr. 1 über die Art und Weise der vorgesehenen Sendung des Interviews nicht erfolgt ist, ist unstreitig. Damit bezog sich ihre stillschweigend erklärte Einwilligung nicht auch auf die Verbreitung in der dann erfolgten Form. Es kann daher in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob der Klägerin Nr. 1 die nach Beendigung der Aufnahmen durch ihren Ehemann ausgesprochene Untersagung der Veröffentlichung zuzurechnen ist und ob auch die Klägerin Nr. 1 selbst – ihrem bestrittenen Vortrag gemäß – sich diesem Verbot ausdrücklich angeschlossen hat.
b) Der somit vorliegende Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin Nr. 1 ist als schwerwiegend einzustufen. Die Ausstrahlung der sie im Zusammenhang mit einer sie außerordentlich belastenden Situation zeigenden Bildfolge im Rahmen einer Sendung, die mit der Darstellung der »kleinen Skurrilitäten des Alltags« unterhalten will, wurde von ihr als eine verulkende Missachtung ihrer Gefühle empfunden. Dies war für den Interviewführer, dessen Kenntnis sich die Beklagte zurechnen lassen muss, auch erkennbar, sodass ein Verschulden des Verletzers als weitere Voraussetzung eines Geldentschädigungsanspruchs zu bejahen ist. Da in Hinblick auf die Natur einer Verletzung des Rechts am eigenen Bild anderweitige Ausgleichsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, ist der Klägerin Nr. 1 somit ein Anspruch auf Entschädigung in Geld zuzubilligen.
2. Für die Bestimmung der Höhe des Geldentschädigungsanspruchs steht im hier zu entscheidenden Fall der Gesichtspunkt der Genugtuung im Vordergrund. Zu berücksichtigen ist, dass die Verbreitung der Filmaufnahmen für die Klägerin Nr. 1 – wie die mündliche Berufungsverhandlung ergeben hat – keine langandauernden negativen Folgen hatte. Der Grad des die Beklagte treffenden Verschuldens und die Hartnäckigkeit, mit der sie vorging, sind als allenfalls durchschnittlich einzuordnen: Dass die Klägerin Nr. 1 nach Beendigung der Aufnahme ihre zuvor konkludent erteilte grundsätzliche Einwilligung in eine Veröffentlichung ausdrücklich zurückgenommen hätte, ist angesichts der sich widersprechenden Aussagen der Zeugen B. und G. nicht bewiesen; ihr Schweigen zu dem durch ihren Ehemann ausgesprochenen generellen Sendeverbot wäre angesichts ihres Verhaltens während der Aufnahme doppeldeutig und könnte daher nicht zwingend dahingehend bewertet werden, dass sie sich diesem Verbot anschließe. Der Präventionsgedanke (BGHZ 128, 1 ff., 15) hatte im vorliegenden Fall bei der Bemessung der Geldentschädigung zurückzutreten. Eines besonderen von ihr ausgehenden Hemmeffektes bedarf es deshalb nicht, weil die Person der Klägerin Nr. 1 – anders als das bei Prominenten der Fall zu sein pflegt (vgl. die Fälle Caroline von Monaco I und II, BGHZ 128, 1 ff. und BGH NJW 1996, 984 f.) – nicht in einem höheren Maß, als das bei kommerziellen Fernsehsendern notwendigerweise der Fall ist, zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen eingesetzt worden ist. Es ist nicht substantiiert vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass durch die Ausstrahlung der die Klägerin Nr. 1 zeigenden Bildfolge in den streitgegenständlichen beiden Sendungen eine signifikante Steigerung der Zuschauerzahl – und damit auch die Attraktivität des Senders als Werbeträger – erzielt worden ist. Da für die bestrittene Behauptung der Klägerseite, die Bilder seien auch ins Internet eingestellt worden, kein Beweis angetreten wurde, konnte dieser Umstand bei der Bemessung des Entschädigungsanspruchs keine Berücksichtigung finden.
Unter Beachtung und Gewichtung der für die Bemessung maßgeblichen Gesichtspunkte erscheint eine – die Untergrenze dessen, was für einen entschädigungswürdigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht angesehen wird (vgl. von Strobl-Albeg, aaO., Rn. 9.24 m. w. N.) in geringem Maße überschreitende – Geldentschädigung von 2.500,00 EUR als angemessen.
II. Zur Berufung der Klägerin Nr. 2
Bei Anwendung der oben zu I. 2. genannten Bemessungskriterien ergibt sich, dass die vom Landgericht der Klägerin Nr. 2 zugesprochene Geldentschädigung von 2.500,00 EUR nicht unangemessen niedrig ist. Insbesondere sind – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin Nr. 2 durch die Ausstrahlung der Filmaufnahmen auf nachhaltige Weise beeinträchtigt worden ist.
III. Nach alledem war die Berufung der Klägerin Nr. 2 als unbegründet zurückzuweisen. Auf die Berufung der Klägerin Nr. 1 war das landgerichtliche Urteil den Ausführungen oben zu I. 2. entsprechend abzuändern.

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