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Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste beschränkt Fernsehwerbespots und Teleshoppingspots auf maximal 20 % der Sendezeit. Mitliedstaaten dürfen im Interesse der Verbraucher als Zuschauer strengere Regeln einführen. So ist in  Italien bei den öffentlich-rechtlichen die Maximaldauer mit  4 %, bei anderen Sender mit 15 % und im Pay-TV mit 14 % begrenzt. Gegen die Ungleichbehandlung der Bezahlsender wandte sich Sky Italia,  nachdem gegen den Sender wegen Überschreitung der Werbezeit eine Geldbuße verhängt worden war.

Der EuGH sah einen Unterschied sowohl in der finanziellen Situation der Bezahlsender als auch in der Situation der Zuschauer, die für die Nutzung der Sender bereits ein Entgelt entrichten, so dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sei.

Auch könne eine mögliche Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gerechtfertigt sein, da der Schutz  der Verbraucher gegen ein Übermaß an geschäftlicher Werbung einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstelle.

KJ

Presse und Information

Gerichtshof der Europäischen Union

PRESSEMITTEILUNG Nr. 96/13

Luxemburg, den 18. Juli 2013

Urteil in der Rechtssache C-234/12

Sky Italia srl / Autorità per le Garanzie nelle Comunicazioni

Die italienische Regelung über Fernsehwerbung, die für Bezahlfernsehen eine kürzere maximale Sendezeit für Werbung vorsieht als für frei empfangbares Fernsehen, steht grundsätzlich im Einklang mit dem Unionsrecht

Allerdings muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden

Die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste1 sieht für die Fernsehwerbung Mindestnormen und Kriterien vor, um den Schutz der Interessen der Verbraucher als Zuschauer sicherzustellen. Dazu legt sie für Fernsehwerbespots und Teleshoppingspots eine Beschränkung auf 20 % der Sendezeit pro Stunde fest, lässt aber den Mitgliedstaaten die Befugnis, für Mediendiensteanbieter, die ihrer Rechtshoheit unterworfen sind, strengere oder ausführlichere Bestimmungen vorzusehen.

Im italienischen Recht ist vorgesehen, dass die Ausstrahlung von Werbemitteilungen durch die Konzessionärin des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehdienstes 4 % der wöchentlichen Sendezeit und 12 % pro Stunde nicht überschreiten darf. Die Ausstrahlung von Werbespots durch andere frei empfangbare Fernsehsender darf 15 % der täglichen Sendezeit und 18 % pro Stunde nicht überschreiten, während sie bei Bezahlfernsehsendern im Jahr 2011 14 % pro Stunde nicht überschreiten durfte (wobei in diesen beiden Fällen eine eventuelle Überschreitung, die jedenfalls nicht mehr als 2 % pro Stunde betragen darf, in der vorhergehenden oder nachfolgenden Stunde ausgeglichen werden muss).

Am 5. März 2011 strahlte Sky Italia zwischen 21 Uhr und 22 Uhr auf ihrem Bezahlfernsehsender Sky Sport 1 24 Werbespots mit einer Gesamtdauer von 10 Minuten und 4 Sekunden aus, was 16,78 % der stündlichen Sendezeit entsprach und damit die für Bezahlfernsehen geltende nationale Höchstsendezeit für Fernsehwerbung von 14 % pro Stunde überschritt.

Die Aufsichtsbehörde für das Kommunikationswesen (AGCOM) verhängte deshalb gegen Sky Italia eine Geldbuße in Höhe von 10 329 Euro.

Sky Italia beantragte beim Tribunale amministrativo regionale per il Lazio (Verwaltungsgericht der Region Latium, Italien) die Nichtigerklärung der Entscheidung der AGCOM, die sie als unionsrechtswidrig ansieht.

Dieses Gericht fragt den Gerichtshof, ob die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste sowie der Grundsatz der Gleichbehandlung und die durch den AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten eine nationale Regelung zulassen, die für Bezahlfernsehen eine kürzere maximale Sendezeit pro Stunde für Werbung vorsieht als für frei empfangbares Fernsehen.

In seinem heutigen Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass die Richtlinie keine vollständige Harmonisierung in den von ihr erfassten Bereichen vornimmt, sondern Mindestnormen vorsieht.2

Die Mitgliedstaaten sind daher befugt, strengere oder ausführlichere Bestimmungen und in bestimmten Fällen unterschiedliche Bedingungen vorzusehen, sofern sie im Einklang mit dem Unionsrecht stehen. Soweit die Richtlinie bestimmt, dass der Anteil von Fernsehwerbespots und Teleshoppingspots 20 % nicht überschreiten darf, schließt sie es daher nicht aus, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Grenzen unterhalb dieser Schwelle vorschreiben können. Die nationalen Vorschriften müssen allerdings den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten.

Der Gerichtshof hebt sodann hervor, dass die Grundsätze und Ziele der Regelungen über die Sendezeit für Fernsehwerbung einen ausgewogenen Schutz der finanziellen Interessen der Fernsehsender und der Werbetreibenden einerseits sowie der Interessen der Autoren und Urheber sowie der Verbraucher als Zuschauer andererseits bezwecken.

Dieser Ausgleich variiert in Abhängigkeit davon, ob die Fernsehsender ihre Programme gegen Bezahlung oder ohne Bezahlung übertragen.

Die finanziellen Interessen der Bezahlfernsehsender, die durch die von den Zuschauern abgeschlossenen Abonnements Einnahmen erzielen, unterscheiden sich nämlich von denen der frei empfangbaren Fernsehsender, die über keine solche unmittelbare Finanzierungsquelle verfügen und die benötigten Mittel u. a. durch mit Fernsehwerbung erzielte Einnahmen aufbringen müssen. Ein solcher Unterschied ist grundsätzlich geeignet, die Bezahlfernsehsender in eine objektiv andere Situation zu versetzen.

Auch unterscheidet sich die Situation der Zuschauer, die Abonnenten eines Bezahlfernsehens sind (und dem Sender einen Preis zahlen, um in den Genuss der Programme zu kommen), von der Situation der Zuschauer von frei empfangbarem Fernsehen.

Daraus folgt, dass der nationale Gesetzgeber bei der Suche nach einem ausgewogenen Schutz der finanziellen Interessen der Fernsehsender und der Interessen der Fernsehzuschauer die Sendezeit pro Stunde für Werbung unterschiedlich begrenzen kann, je nachdem, ob es sich um Bezahlfernsehen oder frei empfangbares Fernsehen handelt.

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass die italienische Regelung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs mit sich bringen könnte.

Dazu führt der Gerichtshof aus, dass indessen der Schutz der Verbraucher gegen ein Übermaß an geschäftlicher Werbung einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt, der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen kann, soweit die entsprechenden Beschränkungen geeignet sind, die Erreichung des verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was hierzu erforderlich ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.

1 Richtlinie 2010/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. März 2010 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (ABl. L 95, S. 1).

 

2 Urteil des Gerichtshofs vom 22. September 2011, Mesopotamia Broadcast und Roj TV (C-244/10 und C-245/10); vgl. auch Pressemitteilung Nr. 99/11 zur Auslegung der Richtlinie 89/552/EG (sog. Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“), die anschließend durch die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste geändert und kodifiziert wurde.

Quelle des Pressetextes: www.curia.europa.eu