Urteil in der Rechtssache C-162/10
Phonographic Performance (Ireland) Limited / Irland, Attorney General
Der Betreiber eines Hotels, der in seinen Zimmern Tonträger verbreitet, muss eine angemessene Vergütung an die Hersteller zahlen
„
A hotel operator which broadcasts phonograms in its rooms must pay equitable remuneration to producers”
Die Mitgliedstaaten dürfen diesen Betreiber nicht von der Verpflichtung zur Zahlung einer solchen
Vergütung freistellen
Das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihrem Recht vorzusehen, dass Hersteller von
Tonträgern, die zu Handelszwecken veröffentlicht werden, Anspruch auf eine einzige
angemessene Vergütung für die Nutzung der Tonträger im Rahmen einer Rundfunksendung oder
einer öffentlichen Wiedergabe haben. Diese Vergütung ist vom Nutzer zu zahlen. Im Fall einer
,,privaten Benutzung” braucht sie nicht gezahlt zu werden.
Die Phonographic Performance (Ireland) Limited (PPL) ist eine Verwertungsgesellschaft, die die
Rechte der Hersteller von Tonträgern in Bezug auf Tonaufnahmen oder Tonträger in Irland vertritt.
PPL hat sich an den High Court (Commercial Division, Irland) gewandt und klagt gegen den
irischen Staat auf Feststellung, dass Irland dadurch gegen das Unionsrecht verstößt, dass nach
irischem Recht die Betreiber von Hotels in Irland von der Verpflichtung freigestellt sind, für die
Nutzung von Tonträgern in ihren Hotelzimmern eine angemessene Vergütung zu zahlen. PPL hat
außerdem den Ersatz des Schadens verlangt, der durch diesen Verstoß entstanden sein soll.
Unter diesen Umständen stellt das irische Gericht dem Gerichtshof mehrere Fragen.
In seinem heutigen Urteil prüft der Gerichtshof als Erstes, ob ein Hotelbetreiber, der in seinen
Gästezimmern Fernseh- und/oder Radiogeräte aufstellt, zu denen er ein Sendesignal übermittelt,
im Sinne des Unionsrechts ein ,,Nutzer” ist, der eine ,,öffentliche Wiedergabe” eines in einer
Rundfunksendung abgespielten Tonträgers vornimmt.
In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass er bereits entschieden hat, dass
der Begriff ,,öffentliche Wiedergabe” eine individuelle Beurteilung erfordert und dass im Rahmen
einer derartigen Beurteilung eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen sind, die
unselbständig und miteinander verflochten sind.
Zu diesen Kriterien gehört erstens die zentrale Rolle des Nutzers. Dieser nimmt nämlich eine
öffentliche Wiedergabe vor, wenn er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um
seinen Kunden Zugang zu einer Rundfunksendung zu verschaffen, die das geschützte Werk
enthält. Als Zweites hat der Gerichtshof einige Gesichtspunkte erläutert, die mit dem Begriff
,,öffentlich” untrennbar zusammenhängen. So muss die ,,Öffentlichkeit” aus einer unbestimmten
Zahl potenzieller Leistungsempfänger und aus recht vielen Personen bestehen. Drittens hat
der Gerichtshof festgestellt, dass es auch ein erhebliches Kriterium ist, ob eine ,,öffentliche
Wiedergabe” Erwerbszwecken dient. Es wird also vorausgesetzt, dass sich der Nutzer gezielt
an das Publikum wendet, für das die Wiedergabe vorgenommen wird, und dass es in der einen
oder anderen Weise für diese Wiedergabe aufnahmebereit ist und nicht bloß zufällig ,,erreicht”
wird.
Im vorliegenden Fall sind diese Kriterien erfüllt. So ist die Rolle des Betreibers eines Hotels, der
in seinen Zimmern Fernseh- und/oder Radiogeräte aufstellt, zentral, da die Gäste eines derartigen
Hotels nur aufgrund des absichtlichen Tätigwerdens dieses Betreibers in den Genuss der
Tonträger kommen können. Zudem stellen die Hotelgäste eine unbestimmte Zahl potenzieller
Leistungsempfänger dar, denn der Zugang dieser Gäste zu den Dienstleistungen des Hotels
beruht grundsätzlich auf einer persönlichen Entscheidung jedes einzelnen Gastes und wird
lediglich durch die Aufnahmekapazität des Hotels begrenzt. Hinsichtlich der Zahl potenzieller
Leistungsempfänger hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass es sich bei den Gästen eines
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Hotels um recht viele Personen handelt, so dass diese als Öffentlichkeit anzusehen sind.
Schließlich dient die Ausstrahlung von Tonträgern durch den Betreiber eines Hotels
Erwerbszwecken. Die Handlung eines Hotelbetreibers, durch die er seinen Gästen Zugang zum
ausgestrahlten Werk verschafft, ist nämlich als eine zusätzliche Dienstleistung anzusehen, die sich
auf den Standard des Hotels und damit auf den Preis der Zimmer auswirkt. Außerdem ist sie
geeignet, weitere Gäste anzuziehen, die an dieser zusätzlichen Dienstleistung interessiert sind.
Folglich ist ein solcher Hotelbetreiber ein ,,Nutzer”, der eine ,,öffentliche Wiedergabe” eines in einer
Rundfunksendung abgespielten Tonträgers vornimmt, im Sinne des Unionsrechts.
Deshalb ist dieser Betreiber verpflichtet, zusätzlich zu der vom Rundfunksender gezahlten
Vergütung eine angemessene Vergütung für die Ausstrahlung eines in einer Rundfunksendung
abgespielten Tonträgers zu zahlen. Wenn nämlich ein Hotelbetreiber einen in einer
Rundfunksendung abgespielten Tonträger in seine Gästezimmer überträgt, benutzt er diesen in
autonomer Weise und sendet ihn im Vergleich zu dem Publikum, an das die ursprüngliche
Wiedergabe gerichtet war, an ein separates, zusätzliches Publikum. Außerdem zieht er
wirtschaftliche Vorteile aus dieser Wiedergabe, die von denen, die der Radio- oder Fernsehsender
oder der Tonträgerhersteller erlangt hat, unabhängig sind.
Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass ein Hotelbetreiber, der in seinen Gästezimmern zwar keine
Fernseh- und/oder Radiogeräte, aber ein Gerät anderer Art und Tonträger in physischer oder
digitaler Form zur Verfügung stellt, die mit einem solchen Gerät abgespielt oder gehört werden
können, ein ,,Nutzer” ist, der eine ,,öffentliche Wiedergabe” eines Tonträgers im Sinne des
Unionsrechts vornimmt. Er ist daher verpflichtet, für die Wiedergabe dieser Tonträger eine
angemessene Vergütung zu zahlen.
Zwar beschränkt das Unionsrecht den Anspruch auf eine angemessene Vergütung im Fall der
,,privaten Benutzung”, es gestattet den Mitgliedstaaten jedoch nicht, einen Hotelbetreiber, der
eine ,,öffentliche Wiedergabe” eines Tonträgers vornimmt, von der Verpflichtung zur
Zahlung einer solchen Vergütung freizustellen.
In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass es für die Beurteilung, ob ein
Hotelbetreiber eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs aufgrund einer ,,privaten Benutzung”
geltend machen kann, nicht darauf ankommt, ob die Hotelgäste das Werk privat nutzen oder nicht,
sondern darauf, ob der Hotelbetreiber selbst das Werk privat nutzt. Die ,,private Benutzung” eines
von seinem Benutzer öffentlich wiedergegebenen urheberrechtlichen Werks ist jedoch ein
Widerspruch in sich, denn die ,,Öffentlichkeit” ist definitionsgemäß ,,nicht privat”.
1 Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 376, S. 28), in Kraft getreten am 16. Januar 2007. Mit dieser Richtlinie wurde die Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. L 346, S. 61) konsolidiert und aufgehoben.
2 Urteil vom 15. März 2012, SCF (C-135/10); vgl. auch Pressemitteilung Nr. 25/12.
3 Urteil vom 7. Dezember 2006, SGAE (C-306/05); vgl. auch Pressemitteilung Nr. 95/06.
Quelle PM des Eugh