In einem aktuellen Fall hatten sich die Parteien eines Rechtsstreit vor dem Landgericht Frankfurt am Main darauf verständigt, Sprungrevisionen einzulegen. Lediglich die Beklagte legte eine Originalerklärung der Gegenseite vor, die Klägerin nur eine Kopie.
Die Ablehnung des Antrages führt nunmehr zur (Teil-)Rechtskraft des Urteils (§ 566 Abs.6 ZPO) und zur Haftung des Prozessbevollmächtigten.
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS vom 19.10.2011
I ZR 69/11
….
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Oktober 2011 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant,
Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler
beschlossen:
1. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Sprungrevision ge-
gen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt
am Main vom 16. März 2011 wird auf Kosten der Klägerin zu-
rückgewiesen.
2. Auf den Antrag der Beklagten wird die Sprungrevision der Be-
klagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts
Frankfurt am Main vom 16. März 2011 zugelassen.
Gründe:
1 I. Die KIägerin ist ein Verlag und gibt Lehrbücher heraus. Die Beklagte
betreibt eine öffentlich zugängliche Bibliothek und hat dort elektronische Lese-
plätze eingerichtet, an denen sie den Nutzern ihrer Bibliothek bestimmte Lehr-
bücher aus ihrem Bestand elektronisch zugänglich gemacht hat, darunter das
Buch “Einführung in die neuere Geschichte” von Winfried Schulze aus dem Ver-
lag der KIägerin. Die Beklagte hat das Buch zu diesem Zweck digitalisiert. Sie
hat es den Nutzern der elektronischen Leseplätze ermöglicht, das Buch ganz
oder teilweise auf Papier auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern
und jeweils in dieser Form aus der Bibliothek mitzunehmen. Auf ein Angebot
der Klägerin, Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, ist die Be-
klagte nicht eingegangen.
2 Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag er-
schienenen Werke durch die Beklagte sei nicht von der Schrankenregelung des
§ 52b UrhG gedeckt.
3 Die Klägerin hat beantragt, der Beklagten unter Androhung von Ord-
nungsmitteln zu verbieten,
Lehrbücher oder andere Werke aus dem Verlag der Klägerin, insbesondere die
“Einführung in die neuere Geschichte” von Winfried Schulze, zu digitalisieren
oder digitalisieren zu lassen und/oder in digitalisierter Form für öffentliche Wie-
dergabe insbesondere an elektronischen Leseplätzen der Universität und Lan-
desbibliothek Darmstadt zu benutzen, wenn nicht die Beklagte zuvor mit der
Klägerin geklärt hat, ob die Klägerin für die digitale Nutzung einen angemesse-
nen Lizenzvertrag anbietet, oder wenn die Klägerin einen angemessenen Li-
zenzvertrag anbietet;
Nutzern der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt zu ermöglichen, digi-
tale Versionen der Werke, die im Verlag der Klägerin veröffentlicht sind, insbe-
sondere die “Einführung in die neuere Geschichte” von Winfried Schulze, an
elektronischen Leseplätzen der Bibliothek ganz oder teilweise auszudrucken
und/oder auf USB-Sticks oder andere Träger für digitalisierte Werke zu verviel-
fältigen und/oder solche Vervielfältigungen aus den Räumen der Bibliothek mit-
zunehmen.
4 Darüber hinaus nimmt sie die Beklagte auf Auskunftserteilung und Rech-
nungslegung sowie Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch.
5 Das Landgericht (LG Frankfurt am Main, GRUR 2011, 614) hat den ers-
ten Unterlassungsantrag und die darauf bezogenen Anträge abgewiesen und
dem zweiten Unterlassungsantrag und den daran anknüpfenden Anträgen
stattgegeben. Beide Parteien beantragen, die Sprungrevision gegen das Urteil
des Landgerichts zuzulassen. Mit ihrer Revision will die Klägerin ihren Klagean-
trag und die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag jeweils in vollem Umfang
weiterverfolgen.
6 II. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Sprungrevision ist unstatt-
haft, weil die von den Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszugs abgege-
bene schriftliche Erklärung der Einwilligung der Klägerin in die Übergehung der
Berufungsinstanz dem Zulassungsantrag nur in Kopie beigefügt worden ist. Die
Statthaftigkeit der Sprungrevision setzt nach § 566 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO vor-
aus, dass der Gegner in die Übergehung der Berufungsinstanz einwilligt. Die
schriftliche Erklärung der Einwilligung des Antragsgegners, die auch von dem
Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszugs abgegeben werden kann, ist
nach § 566 Abs. 2 Satz 4 ZPO dem Zulassungsantrag beizufügen. Sofern die
Einwilligung nicht telegrafisch, per Telefax, Computerfax oder elektronisch er-
klärt wird, muss die handschriftlich unterzeichnete Einwilligungserklärung im
Original eingereicht werden; eine vom Anwalt des Antragstellers gefertigte
– auch beglaubigte – Fotokopie der Einwilligungserklärung genügt nicht (BGH,
Beschluss vom 6. März 2007 – VIII ZR 330/06, NJW-RR 2007, 1075 Rn. 2
mwN).
7 III. Auf den Antrag der Beklagten ist die Sprungrevision der Beklagten
gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom
16. März 2011 zuzulassen. Der Antrag ist zulässig und gemäß § 566 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 ZPO auch begründet, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeu-
tung hat. Der Rechtsstreit wirft grundsätzliche Rechtsfragen zur Auslegung von
Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimm-
ter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Infor-
mationsgesellschaft und der auf dieser Regelung beruhenden Schrankenrege-
lung des § 52b Satz 1 UrhG auf.
Bornkamm Pokrant Büscher
Koch Löffler
Vorinstanz:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 16.03.2011 – 2-6 O 378/10 –