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Bern. Der 76-jährige französisch-polnische Filmregisseur Roman Polanski wird nicht an die USA ausgeliefert. Die freiheitsbeschränkenden Massnahmen gegen ihn sind aufgehoben. Dies gab Eveline Widmer-Schlumpf, die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), am Montag in Bern bekannt. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass ein Mangel im Auslieferungsgesuch der USA auch nach intensiven Abklärungen nicht mit der notwendigen Bestimmtheit ausgeschlossen werden könne. Gewürdigt worden seien zudem die Grundsätze, die sich aus dem internationalen Ordre Public für staatliches Handeln ergeben.

Roman Polanski war von den US-Behörden seit Ende 2005 wegen einer Sexualstraftat an einer Minderjährigen im Jahr 1977 international zur Verhaftung ausgeschrieben. Gestützt auf diesen internationalen Haftbefehl wurde Roman Polanski am 26. September 2009 bei seiner Einreise am Flughafen Zürich verhaftet und in provisorische Auslieferungshaft genommen. Am 22. Oktober 2009 reichten die US-Behörden das formelle Auslieferungsersuchen ein. Am 4. Dezember wurde Roman Polanski nach Hinterlegung einer Kaution von 4,5 Millionen Franken aus der Auslieferungshaft entlassen und in seinem Chalet in Gstaad unter Hausarrest mit Electronic Monitoring gestellt.

Einsicht in Protokoll abgelehnt
Im Rahmen des Auslieferungsverfahrens ersuchte das Bundesamt für Justiz (BJ) am 3. März 2010 die US-Behörden zur Ergänzung des Auslieferungsersuchens um Herausgabe des Protokolls einer Einvernahme vom 26. Januar 2010 des Staatsanwaltes Roger Gunson, der in den Siebzigerjahren für den Fall zuständig gewesen war. Aus diesem Protokoll soll hervorgehen, dass der damals zuständige Richter an einer Sitzung vom 19. September 1977 gegenüber den Parteivertretern ausdrücklich zugesichert habe, die von Roman Polanski in einer psychiatrischen Abteilung eines kalifornischen Gefängnisses verbrachten 42 Tage Freiheitsentzug stellten die gesamte Freiheitsstrafe dar, die er zu verbüssen habe. Trifft dies zu und hat Roman Polanski demnach seine Strafe tatsächlich bereits verbüsst, hat dies zur Folge, dass sowohl dem Verfahren, das dem US-Auslieferungsersuchen zu Grunde gelegt wird, als auch diesem Ersuchen selbst die Grundlage entzogen wäre.

Das Ersuchen des BJ auf Herausgabe dieses Protokolls wurde vom US-Justizdepartement am 13. Mai 2010 abgelehnt, unter Hinweis auf einen Gerichtsbeschluss, wonach das Protokoll unter Verschluss zu halten sei. Unter diesen Umständen kann nicht mit der notwendigen Bestimmtheit ausgeschlossen werden, dass Roman Polanski die ihm damals auferlegte Strafe bereits verbüsst hat und dass das Auslieferungsersuchen an einem gravierenden Mangel leidet. In Anbetracht der nicht ausgeräumten Zweifel bezüglich der Sachverhaltsdarstellung ist das Ersuchen abzulehnen.

Vertrauensschutz: Grundsatz des Völker- und des Landesrechts
Zu diesen sich auf den Auslieferungsvertrag mit den USA stützenden Überlegungen kommen solche aus dem allgemeinen Völkerrecht bzw. dem internationalen Ordre Public. Danach sind völkerrechtliche Verträge nicht nur nach dem Wortlaut, sondern ihrem Sinn und Zweck gemäss zu interpretieren. Sie sind nach dem Massstab von Treu und Glauben zu erfüllen. Dieser Vertrauensschutz ist ein allgemeiner Grundsatz, der sich in ganz spezifischen Ausformungen sowohl im Völkerrecht als auch im schweizerischen Landesrecht findet, und zwar in Art. 9 der Bundesverfassung. Namentlich ist daher zu würdigen, dass allgemein bekannt ist, dass sich Roman Polanski seit seinem Hauskauf in Gstaad im Jahre 2006 regelmässig in der Schweiz aufhält, die US-Behörden aber über Jahre darauf verzichtet haben, ein formelles Auslieferungsersuchen zu stellen. Auch ist es trotz Aufnahme Polanskis im Schweizer Fahndungsregister nie zu einer Kontrolle Polanskis durch die Schweizer Behörden gekommen. Diese Umstände begründeten eine Vertrauensgrundlage, und Roman Polanski hätte sich im September 2009 wohl nicht zur Reise ans Filmfestival von Zürich entschlossen, wenn er sich nicht im Vertrauen befunden hätte, die Reise werde für ihn keine rechtlichen Nachteile haben.

In Würdigung sämtlicher Aspekte dieses Falles – des mit Bezug auf die Sachverhaltsdarstellung nicht hinreichend bestimmten Auslieferungsersuchens und der sich aus dem Internationalen Ordre public für das staatliche Handeln ergebenden Grundsätze – ist das Auslieferungsersuchen abzulehnen.


Quelle: Medienmitteilungen, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, 12.07.2010