Das OLG Oldenburg hat eine Bußgeldsanktion für Winterbereifungspflicht in der Straßenverkehrsordnung für verfassungswidrig erklärt.
Ein Autofahrer befuhr mit seinem PKW im November 2008 mittags eine innerörtliche Straße in Bohmte. Sein Fahrzeug war mit Sommerreifen ausgestattet. Er überfuhr eine Eisfläche und kam ins Rutschen. Er schlitterte in ein an der Straße befindliches Schaufenster eines Geschäftes. Das AG Osnabrück verurteilte ihn zu einer Geldbuße von 85 EUR; wegen einer Ordnungswidrigkeit. Er sei mit nicht angepasster Geschwindigkeit und einer nicht den Wetterverhältnisse angepassten Bereifung gefahren. Da sich Eis auf der Straße befunden habe, hätte er mit Winterreifen fahren müssen. Der betroffene Autofahrer vertrat die Auffassung, der Unfall hätte sich auch mit Winterreifen ereignen können und legte Beschwerde vor dem OLG ein.
Der für Bußgeldsachen zuständige Senat des OLG entschied, dass der entsprechende Ordnungswidrigkeitentatbestand in der Straßenverkehrsordnung über die Pflicht zu einer den Wetterverhältnissen angepassten Bereifung in seiner konkreten Ausgestaltung verfassungswidrig ist. Die Vorschrift des § 2 Abs. 3a S. 1 und 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO verstoße gegen das verfassungsmäßig gebotene Bestimmtheitsgebot. Nach Art. 103 Abs. 2 GG sei der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen für eine Strafbarkeit bzw. einer Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass der Anwendungsbereich für den Einzelnen erkennbar sei oder sich durch Auslegung ermitteln lasse. Dies sei bei der betroffenen Vorschrift jedoch nicht der Fall. Weder gesetzlichen noch technischen Vorschriften sei zu entnehmen, welche Eigenschaften Reifen für bestimmte Wetterverhältnisse haben müssen. Das gelte auch für Winterreifen. Der Gesetzgeber habe gerade keine generelle Winterreifenpflicht für die Wintermonate geregelt. Ungeklärt sei insbesondere, ob auch Sommerreifen für winterliche Witterungsverhältnisse im Sinne der Vorschrift geeignet sein können. Sogenannte Sommerreifen würden von vornherein kaum auf Schnee- und Glättetauglichkeit geprüft. Bei einem Winterreifentest im Jahr 2005 seien nur zwei Sommerreifen getestet worden, die sich beim Fahren auf Eis sogar als geeignet erwiesen hätten. Für den Bürger sei daher nicht eindeutig erkennbar, welche Reifen als “ungeeignete Bereifung bei winterlichen Wetterverhältnissen” anzusehen seien. Diese Unklarheit hätte der Gesetzgeber durch eine klare Anordnung vermeiden können. Denkbar sei beispielsweise eine klare Anordnung von Winterreifen bei “Wetterverhältnissen, bei denen Eis und/oder Schnee möglich sind”.
Das OLG konnte ohne Vorlage an das BVerfG selber über die Verfassungsmäßigkeit der Norm entscheiden, da es sich bei § 2 Abs. 3 a StVO um kein formelles Gesetz handelt, sondern um eine sogenannte Rechtsverordnung. Formelle Gesetze werden vom Parlament beraten und verabschiedet, während Rechtsverordnungen von den durch ein formelles Gesetz ermächtigten Exekutivorganen (z.B. Bundesministerien oder Landesregierungen) erlassen werden.
Der Betroffene Autofahrer ging im Übrigen nicht “straffrei” aus. Wegen Fahrens mit nicht angepasster Geschwindigkeit wurde das Bußgeld auf einen Betrag von 50 EUR reduziert.
Quelle: Pressestelle des OLG Oldenburg