Einleitung und Sachverhalt
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 17. Januar 2022 betrifft die datenschutzrechtliche Zulässigkeit von GPS-Tracking in einem Logistikunternehmen mit 76 Beschäftigten. Das Unternehmen hatte in 55 Firmenfahrzeugen GPS-Systeme installiert, die nicht nur eine Live-Ortung, sondern auch eine Speicherung der Standortdaten über einen Zeitraum von 400 Tagen ermöglichten. Die Datenverarbeitung umfasste zudem Informationen aus Fahrerkarten, die personenbezogene Daten wie Name und Geburtsdatum enthielten. Die Beschäftigten wurden über die Einführung des GPS-Trackings nicht informiert, und es lagen keine Einwilligungen vor. Die Datenschutzbehörde untersagte daraufhin die Speicherung der GPS-Daten und ordnete ein reines Live-Tracking sowie die Löschung der gespeicherten Daten an.
Zentrale Rechtsfragen
Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob die Speicherung und Auswertung von GPS-Trackingdaten im Beschäftigungsverhältnis zulässig ist und ob eine Einwilligung der Beschäftigten als Rechtsgrundlage in Betracht kommt. Weiter war zu klären, ob wirtschaftliche Anreize, wie etwa eine Gehaltserhöhung, die Freiwilligkeit einer Einwilligung beeinflussen können.
Entscheidungsgründe des Gerichts
Das Gericht wies die Klage des Unternehmens ab und bestätigte die Anordnungen der Datenschutzaufsicht. Es stellte fest, dass die dauerhafte Speicherung von GPS-Daten zur Effizienzsteigerung, Diebstahlsprävention und Beweissicherung nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig im Sinne der DSGVO sei. Die Speicherung der Daten sei kein milderes Mittel zur Zielerreichung, da für kurzfristige Koordination und Routenoptimierung ein Live-Tracking ausreichend sei. Auch zur Diebstahlsprävention reiche der anlassbezogene Zugriff auf den Live-Standort aus.
Die Speicherung von Standortdaten zur Beweissicherung sei ebenfalls nicht gerechtfertigt, da sie nicht geeignet sei, den Nachweis für die Leistungserbringung zu führen. Das Gericht betonte, dass eine anlasslose, präventive Überwachung ohne konkreten Verdacht unzulässig ist. Eine Speicherung personenbezogener Daten zu Kontroll- oder Beweissicherungszwecken bedarf eines konkreten, dokumentierten Anfangsverdachts.
Zur Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis
Besonders ausführlich setzte sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob eine Einwilligung der Beschäftigten die Datenverarbeitung rechtfertigen kann. Nach § 26 Abs. 2 BDSG und Art. 6 Abs. 1 lit. a) DSGVO ist eine Einwilligung nur dann wirksam, wenn sie freiwillig erteilt wird. Das Gericht verweist auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach im Beschäftigungsverhältnis aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses regelmäßig keine Freiwilligkeit der Einwilligung angenommen werden kann.
Wirtschaftlicher Anreiz und Freiwilligkeit
Das Gericht lässt jedoch ausdrücklich offen, ob ein wirtschaftlicher Anreiz – etwa in Form einer Gehaltserhöhung – im Einzelfall ausreichen könnte, um die Freiwilligkeit der Einwilligung zu begründen. Es verweist darauf, dass die Frage, ob ein wirtschaftlicher Vorteil wie eine Gehaltserhöhung die Einwilligung freiwillig macht, nicht abschließend zu entscheiden sei. Damit bleibt die Möglichkeit bestehen, dass unter bestimmten Umständen – etwa bei einem erheblichen wirtschaftlichen Vorteil – die Freiwilligkeit einer Einwilligung trotz des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses angenommen werden könnte. Das Gericht gibt jedoch zu bedenken, dass auch in solchen Fällen die strengen Anforderungen an die Freiwilligkeit und Transparenz der Einwilligung zu beachten sind und im Zweifel eine Einzelfallprüfung erforderlich ist
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Leitsätze
Die dauerhafte Speicherung von GPS-Trackingdaten zur Überwachung von Beschäftigten im Logistikbereich ist ohne konkreten Anlass unverhältnismäßig und verstößt gegen die DSGVO.
Ein Live-Tracking der Fahrzeuge kann zulässig sein, sofern es auf das erforderliche Maß beschränkt wird und keine dauerhafte Speicherung erfolgt.
Eine Einwilligung der Beschäftigten zur Speicherung und Auswertung von GPS-Daten ist im Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich keine tragfähige Rechtsgrundlage, da sie in der Regel nicht freiwillig erteilt werden kann.
Das Gericht lässt offen, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Anreiz, wie etwa eine Gehaltserhöhung, im Einzelfall die Freiwilligkeit einer Einwilligung begründen kann.
Unternehmen müssen Beschäftigte nach Art. 13 DSGVO umfassend über das GPS-Tracking informieren.
Die Speicherung personenbezogener Daten zu Kontroll- oder Beweissicherungszwecken bedarf eines konkreten, dokumentierten Anfangsverdachts.
Ausführliche Begründung und Bewertung
Das Urteil des VG Wiesbaden ist ein weiterer wichtiger Baustein in der Rechtsprechung zum Beschäftigtendatenschutz. Es verdeutlicht, dass die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen im Arbeitsverhältnis hoch sind. Die Gerichte verlangen eine strenge Prüfung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit jeder einzelnen Maßnahme. Die Speicherung von GPS-Daten über einen langen Zeitraum ist nur in Ausnahmefällen zulässig, etwa wenn ein konkreter Verdacht auf eine Pflichtverletzung besteht und eine Speicherung zur Beweissicherung erforderlich ist.
Besonders relevant ist die Ausführung des Gerichts zur Einwilligung. Während die Einwilligung nach der DSGVO grundsätzlich eine tragfähige Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten sein kann, bestehen im Arbeitsverhältnis wegen des strukturellen Ungleichgewichts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erhebliche Zweifel an der Freiwilligkeit. Das Gericht folgt hier der restriktiven Linie der Rechtsprechung und der Aufsichtsbehörden, wonach eine Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis nur in absoluten Ausnahmefällen freiwillig sein kann.
Indem das Gericht ausdrücklich offenlässt, ob ein wirtschaftlicher Vorteil wie eine Gehaltserhöhung die Freiwilligkeit begründen kann, verweist es auf die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung. Es anerkennt damit, dass die Freiwilligkeit nicht kategorisch ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer einen erheblichen Vorteil erhält. Allerdings bleibt unklar, wie hoch der wirtschaftliche Anreiz sein müsste und wie die Abwägung im Einzelfall auszufallen hätte. Unternehmen, die auf eine solche Einwilligung setzen wollen, müssen daher besonders sorgfältig dokumentieren, dass die Einwilligung tatsächlich freiwillig und ohne Druck oder Zwang erteilt wurde. Sie müssen zudem sicherstellen, dass den Beschäftigten ein uneingeschränktes Widerrufsrecht zusteht und keine negativen Konsequenzen bei Verweigerung oder Widerruf der Einwilligung drohen.
Praktische Konsequenzen für Unternehmen
Für Unternehmen bedeutet das Urteil, dass sie beim Einsatz von GPS-Tracking-Systemen äußerst zurückhaltend vorgehen sollten. Die Speicherung von Standortdaten über den Moment der Live-Ortung hinaus ist in der Regel unzulässig. Auch die Einholung von Einwilligungen ist im Beschäftigungsverhältnis nur in absoluten Ausnahmefällen ein gangbarer Weg. Unternehmen sollten daher vorrangig auf andere Rechtsgrundlagen wie § 26 Abs. 1 BDSG (Erforderlichkeit für das Beschäftigungsverhältnis) oder Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO (berechtigtes Interesse) zurückgreifen, wobei stets eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist.
Fazit
Das VG Wiesbaden hat mit seinem Urteil die Messlatte für die datenschutzkonforme Nutzung von GPS-Tracking im Beschäftigungsverhältnis hoch gelegt. Die Speicherung von Standortdaten ist nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Die Einwilligung der Beschäftigten ist als Rechtsgrundlage nur in seltenen Fällen tragfähig, wobei das Gericht die Frage offenlässt, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil wie eine Gehaltserhöhung die Freiwilligkeit begründen kann. Unternehmen sind daher gut beraten, bei der Einführung und Nutzung von GPS-Tracking-Systemen sehr sorgfältig vorzugehen und im Zweifel rechtlichen Rat einzuholen.
Hinweis:
Jüdemann Rechtsanwälte beraten Unternehmen umfassend zu allen Fragen des Datenschutzes, insbesondere zur datenschutzkonformen Gestaltung von GPS-Tracking und anderen Kontrollmaßnahmen im Beschäftigungsverhältnis.
