Das Agenturprivileg im deutschen Presserecht ist ein bedeutendes rechtliches Konzept, das Journalisten erlaubt, Agenturmeldungen ohne umfassende eigene Überprüfung zu übernehmen, ohne für unwahre Tatsachenbehauptungen in diesen Meldungen haftbar gemacht zu werden. Dieses Privileg beruht auf der Annahme, dass Nachrichtenagenturen als professionelle und zuverlässige Informationsquellen gelten, wodurch Journalisten auf die Richtigkeit der von ihnen übernommenen Meldungen vertrauen können.
Diese Grundsätze erläutert etwa das Kammergericht in seinem Urteil vom 07.06.2007 – 10 U 247/06, in der es in der Sache um einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1, analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auf die begehrte Untersagung einer Äußerung ging:
„Die Rechtswidrigkeit der Veröffentlichung ergibt sich – entgegen der Ansicht der Klägerin – insbesondere nicht daraus, dass die Beklagte die Agenturmeldung ohne weitere Nachrecherche übernommen hat. Medienangehörigen obliegt zwar grundsätzlich die Verpflichtung zur sorgfältigen Prüfung des Inhalts ihrer beabsichtigten Veröffentlichung (BVerfG NJW 2006, 595) und ein Verstoß gegen diese journalistischen Sorgfaltspflichten ist geeignet, im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des verletzenden Verhaltens zu begründen (Bamberger in Bamberger/Roth, BeckOK, BGB, Stand 01.02.2007, § 12 Rdnr. 193 m.w.N.), vorliegend war die Beklagte von einer Verpflichtung zur Nachrecherche jedoch entbunden, weil die übernommene Meldung aus einer so genannten privilegierten Quelle stammte (vgl. Burkhardt in Wenzel, 5. Auflage Kapitel 6. Rdnr. 135 m.w.N.). Im Rahmen des journalistischen Tagesgeschäfts können die Medien ihren verfassungsmäßigen Auftrag, umfassend und zugleich möglichst tagesaktuell zu berichten, nur erfüllen, wenn sie nicht jede ihrer Berichterstattungen vollständig selbst recherchieren und gegenprüfen müssen. Gerade eine zeitnahe Publikation weltweiter Geschehnisse könnte von einem Printmedium wie der Beklagten nicht geleistet werden, wenn es ihm nicht erlaubt wäre, einen Teil seiner Berichterstattung aus anderen Quellen zu übernehmen. Ob und Inwieweit bei entsprechend übernommenen Meldungen eine Pflicht zur sorgfältigen Überprüfung oder konkreten Nachrecherche besteht, hängt von der Art der Quelle ab, aus der die Meldung stammt; je seriöser die Quelle ist, desto geringer ist die Pflicht zur journalistischen Sorgfalt (Burkhardt a.a.O.). In diesem Zusammenhang hat sich in Rechtsprechung (OLG Nürnberg AfP 2007, 127, 128; LG Hamburg AfP 1990, 332; LG München AfP 1975, 758; vgl. auch BVerfG NJW-RR 2000, 1209, 1210)) und Literatur (Spindler in Bamberger/Roth BeckOK, BGB, Stand 01.01.2007, § 824 Rdnr. 33; Dr. Peters, Die publizistische Sorgfalt, NJW 1997, 1334, 1337) das so genannte „Agenturprivileg“ durchgesetzt, das den Journalisten unter Wahrung ihrer journalistischen Sorgfaltspflichten erlaubt, Meldungen der als seriös anerkannten Nachrichtenagenturen, zu denen auch der D. D.-D./d. gehört (vgl. Peters und Burkhardt jeweils a.a.O.), ohne weitere (Nach-)Recherche ihres Inhalts zu verwerten. Diese Privilegierung findet ihre Grenze erst, wenn für den übernehmenden Journalisten Veranlassung zu konkreten Zweifeln an der inhaltlichen Richtigkeit der Meldung bestanden.“
In einem Fall vor dem Oberlandesgericht Dresden wurde mit Urteil vom 25.01.2022 – 4 U 2052/21 festgestellt, dass das Agenturprivileg auch dann greift, wenn die übernommene Meldung im Konjunktiv gehalten ist und der Autor deutlich macht, dass er nicht für die Wahrheit der Behauptung einsteht. Dies verdeutlicht, dass es auch dann an einem Zueigenmachen der Behauptung fehlen kann, wenn der Autor keine eigenen Erkenntnisquellen hat und sich lediglich auf Angaben Dritter stützt. Zudem wurde betont, dass bei einer nicht namentlichen Berichterstattung von Nachrichtenagenturen in der Regel keine Pflicht zu weitergehenden eigenen Recherchen besteht, solange keine offensichtlichen Zweifel an der Wahrheit bestehen.
Das Agenturprivileg gilt aber nicht grenzenlos. Ein Fall vor dem Landgericht Hamburg (LG Hamburg, Urteil v. 11.11.2011, Az. 324 S 8/11) verdeutlichte, dass das Agenturprivileg nicht dazu führt, dass Journalisten keinerlei Sorgfaltspflichten mehr haben. Im Gegenteil, bei Zweifeln an der Richtigkeit einer Agenturmeldung sind Journalisten dazu angehalten, weitere Nachforschungen anzustellen, um sicherzustellen, dass die übernommenen Informationen korrekt sind. Wird daher, wie hier, von einer Presseagentur lediglich eine Zeitungsmeldung weiterverbreitet und dies auch deutlich gemacht, greift für diese Meldung das Agenturprivileg nicht ein. Dies unterstreicht die Bedeutung der journalistischen Sorgfaltspflicht, insbesondere wenn es um die Verbreitung potenziell diffamierender oder falscher Informationen geht.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Agenturprivileg eine wichtige rechtliche Grundlage für die Pressefreiheit darstellt, indem es Journalisten vor unberechtigten Haftungsansprüchen schützt. Dennoch bedeutet dies nicht, dass Journalisten ihre Sorgfaltspflichten vernachlässigen dürfen. Vielmehr sollten sie bei Zweifeln an der Richtigkeit von Agenturmeldungen zusätzliche Recherchen durchführen, um sicherzustellen, dass die veröffentlichten Informationen korrekt und verlässlich sind. Dieser sorgfältige Umgang mit Agenturmeldungen gewährleistet eine verantwortungsvolle und ethisch einwandfreie Berichterstattung in den Medien.
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Dr. Moritz Ott
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Grafik. AI Midjourney