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Reaction-Videos im Lichte des Urteils vom des LG Köln  vom 29.08.2024 – Urheberrecht, Markenrecht und Konsequenzen für Creator
Einleitung

Reaction-Videos sind ein fester Bestandteil der modernen Netzkultur. Sie verbinden Unterhaltung, Meinungsäußerung und gesellschaftliche Debatte. Doch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex – insbesondere im Bereich des Urheber- und Markenrechts. Das Urteil vom 29.08.2024 (siehe Gründe im Anhang) gibt hierzu wichtige Leitlinien. Im Folgenden werden die urheberrechtlichen und markenrechtlichen Aspekte von Reaction-Videos sowie die praktischen Konsequenzen für Creator umfassend dargestellt.

I. Urheberrechtliche Bewertung von Reaction-Videos
1. Grundsatz: Schutz durch das Urheberrecht

Reaction-Videos verwenden oftmals Ausschnitte fremder Werke – meist Videos, manchmal auch Musik, Bilder oder Marken. Diese Inhalte sind regelmäßig urheberrechtlich geschützt (§ 2 UrhG). Die öffentliche Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) auf Plattformen wie YouTube oder Twitch ist ohne Zustimmung des Rechteinhabers grundsätzlich unzulässig.

a) Das Urteil vom 29.08.2024 im Überblick

Das Gericht stellte klar: Die Nutzung fremder Laufbilder in Reaction-Videos stellt eine urheberrechtlich relevante Nutzung dar. Die Schranken des Urheberrechts greifen nur unter strengen Voraussetzungen.

2. Das Zitatrecht (§ 51 UrhG)

a) Voraussetzungen

Das Zitatrecht erlaubt die Wiedergabe fremder Werke, sofern:

·         ein Zitatzweck vorliegt (z.B. Kritik, Rezension, wissenschaftliche Auseinandersetzung),

·         das Zitat in seinem Umfang durch den Zweck gerechtfertigt ist,

·         die Quelle und der Urheber genannt werden (§ 63 Abs. 2 UrhG).

b) Anwendung auf Reaction-Videos

Das Gericht sah den Zitatzweck grundsätzlich als gegeben an, da die Videos kommentiert und kritisch eingeordnet wurden. Entscheidend ist jedoch die Pflicht zur Urheberangabe. Diese wurde im konkreten Fall nicht erfüllt, weil der Creator zwar die Quelle, aber nicht den Urheber nannte – obwohl dies möglich gewesen wäre.

Konsequenz:

Das Zitatrecht greift nicht, wenn die Urheberangabe fehlt. Die Nutzung ist dann unzulässig.

c) Recherchepflicht

Das Urteil betont die Pflicht zur aktiven Recherche nach dem Urheber. Es genügt nicht, lediglich die Quelle zu nennen, wenn der Urheber mit zumutbarem Aufwand ermittelt werden kann.

3. Pastiche, Parodie, Karikatur (§ 51a UrhG)

a) Begriff des Pastiches

Der Begriff ist in Deutschland noch nicht abschließend geklärt. Das Gericht folgt der restriktiven Linie des BGH: Pastiche setzt eine künstlerische Auseinandersetzung voraus, nicht bloß eine politische Kommentierung. Humor, Stilnachahmung oder Hommage können Anhaltspunkte sein, müssen aber nicht zwingend vorliegen.

b) Anwendung auf Reaction-Videos

Im entschiedenen Fall wurde das Reaction-Video als politische Kommentierung eingestuft – keine künstlerische Auseinandersetzung. Daher greift die Pastiche-Schranke nicht.

c) Parodie und Karikatur

Auch diese Schranken wurden verneint, da keine bewusste Überzeichnung oder Verzerrung des Originals vorlag, sondern eine sachliche Auseinandersetzung.

4. Sonstige Schranken

Weitere Schranken wie Berichterstattung über Tagesereignisse (§ 50 UrhG) oder Unterricht und Forschung (§§ 60a ff. UrhG) sind für Reaction-Videos regelmäßig nicht einschlägig.

 

II. Markenrechtliche Aspekte
1. Grundlagen des Markenrechts

Marken sind Kennzeichen, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen unterscheiden (§ 3 MarkenG). Auch in Reaction-Videos werden häufig markenrechtlich geschützte Zeichen (Logos, Namen, Produktabbildungen) gezeigt.

2. Markenrechtsverletzungen durch Reaction-Videos

a) Markenbenutzung

Eine Markenrechtsverletzung liegt vor, wenn ein geschütztes Zeichen im geschäftlichen Verkehr ohne Zustimmung des Markeninhabers benutzt wird (§ 14 Abs. 2 MarkenG).

Beispiel:
Ein Creator reagiert auf einen Werbespot und zeigt prominent das Logo eines Unternehmens.

b) Keine Verletzung bei redaktioneller Nutzung?

Das Markenrecht kennt Ausnahmen, etwa die sogenannte „nominative use“-Rechtsprechung: Die bloße Benennung oder Darstellung einer Marke zur Beschreibung oder Kritik ist zulässig, sofern keine Verwechslungsgefahr oder Rufausbeutung vorliegt.

c) Grenzen der zulässigen Nutzung

·         Werbliche Nutzung: Wird das Reaction-Video zur Bewerbung eigener Produkte oder Dienstleistungen genutzt und dabei eine fremde Marke hervorgehoben, liegt regelmäßig eine Markenrechtsverletzung vor.

·         Herabsetzung oder Rufausbeutung: Negative oder diffamierende Darstellungen können eine unzulässige Herabsetzung (§ 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG) oder Rufausbeutung darstellen.

·         Verwechslungsgefahr: Wenn der Eindruck entsteht, das Reaction-Video stamme vom Markeninhaber oder sei von diesem autorisiert, liegt eine Verletzung vor.

d) Praxisbeispiel

Ein Creator reagiert auf ein Musikvideo, in dem das Logo eines bekannten Sportartikelherstellers mehrfach zu sehen ist. Wird das Logo lediglich im Rahmen der Berichterstattung gezeigt, ist dies zulässig. Wird das Logo jedoch prominent eingeblendet, hervorgehoben oder mit eigenen Produkten verknüpft, kann eine Markenrechtsverletzung vorliegen.

3. Rechtsprechung zu Marken in Reaction-Videos

Die Rechtsprechung ist bislang zurückhaltend, orientiert sich aber an allgemeinen Grundsätzen:

·         Kontext und Zweck der Markennutzung sind entscheidend.

·         Meinungsäußerung und Berichterstattung genießen grundrechtlichen Schutz (Art. 5 GG), dürfen aber nicht zur Ausbeutung der Marke führen.

 

III. Konsequenzen für Creator
1. Zivilrechtliche Folgen

a) Abmahnung und Unterlassung

Bei Urheber- oder Markenrechtsverletzungen drohen Abmahnungen und Unterlassungsansprüche. Der Rechteinhaber kann verlangen, dass das Video gelöscht oder geändert wird.

b) Schadensersatz

Kommt es zu einer Verletzung, kann der Rechteinhaber Schadensersatz verlangen. Die Höhe richtet sich nach dem Umfang der Nutzung, der Reichweite des Videos und dem wirtschaftlichen Wert des Werks oder der Marke.

c) Kostenerstattung

Der Creator muss im Falle einer berechtigten Abmahnung die Anwaltskosten des Rechteinhabers tragen.

2. Strafrechtliche Risiken

Urheberrechtsverletzungen können unter bestimmten Umständen auch strafbar sein (§ 106 UrhG). Markenrechtsverletzungen sind ebenfalls strafbewehrt (§ 143 MarkenG), insbesondere bei gewerbsmäßigem Handeln.

3. Plattformrechtliche Konsequenzen

Plattformen wie YouTube, Twitch oder TikTok reagieren auf Urheber- und Markenrechtsbeschwerden meist mit:

·         Löschung der betroffenen Videos

·         Strikes oder Verwarnungen

·         Sperrung oder Löschung des Kanals bei wiederholten Verstößen

4. Reputationsschäden

Öffentliche Abmahnungen oder Rechtsstreitigkeiten können das Ansehen des Creators nachhaltig schädigen. Besonders problematisch ist dies, wenn die Community oder Sponsoren negativ reagieren.

 

IV. Handlungsempfehlungen für Creator
1. Sorgfältige Prüfung vor Veröffentlichung

·         Rechteklärung: Vor Verwendung fremder Videos, Musik oder Marken sollte geprüft werden, ob eine Lizenz vorliegt oder eine Schranke greift.

·         Urheber- und Quellenangabe: Immer die Quelle und den Urheber nennen. Bei Unklarheiten aktiv recherchieren und ggf. beim Rechteinhaber nachfragen.

·         Markenrecht: Marken nur im Rahmen der Meinungsäußerung oder Berichterstattung nutzen, nicht zu Werbezwecken oder zur Rufausbeutung.

2. Nutzung von lizenzfreiem Material

Viele Plattformen bieten lizenzfreie Musik, Bilder und Videos an. Diese sollten bevorzugt genutzt werden, um Risiken zu minimieren.

3. Eigene kreative Leistung hervorheben

Reaction-Videos sollten eine eigenständige Leistung darstellen, z.B. durch ausführliche Kommentare, Analysen oder kreative Bearbeitungen. Je größer der eigene Beitrag, desto eher kann eine Schranke greifen.

4. Rechtliche Beratung einholen

Bei Unsicherheiten empfiehlt sich die Konsultation eines auf Medienrecht spezialisierten Anwalts.

 

V. Fazit
Das Urteil vom 29.08.2024 verschärft die Anforderungen an Reaction-Videos insbesondere im Hinblick auf die Urheberangabe und die Recherchepflicht. Die Schranken des Urheberrechts sind eng auszulegen. Markenrechtliche Risiken bestehen insbesondere bei werblicher Nutzung oder Rufausbeutung. Für Creator bedeutet dies:

·         Gründliche Rechteklärung und Urheberangabe sind unerlässlich.

·         Marken dürfen nicht zu Werbezwecken oder zur Herabsetzung genutzt werden.

·         Im Zweifel sollte rechtlicher Rat eingeholt werden.

Wer diese Vorgaben beachtet, kann Reaction-Videos weiterhin als kreatives und meinungsstarkes Format nutzen – ohne rechtliche Fallstricke.