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Im Falle der Stellung von Fristverlängerungsanträgen (hier der Berufungsbegründungsfrist) darf man sich nicht darauf verlassen, dass der Antrag bei dem Gericht eingeht und dem Antrag stattgegeben wird.  Es ist daher stets vor Ablauf der Frist  nachzufragen, ob und in welchem Umfang dies erfolgt ist. Dies kann durch einen Anruf bei der Geschäftsstelle erfragt werden.

Erfolgt keine Überprüfung,  wird, so der BGH in einer aktuellen Entscheidung, spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Anwalt eine klärende Antwort auf die Nachfrage erhalten hätte, die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt. „Denn die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden ist“.

 

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS vom 13.10.2011
VII ZR 29/11

(…)

ZPO §§ 233, 234 Abs. 1 Satz 2 A

Der Rechtsanwalt hat durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicherzustellen,
dass nach Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist
und ausbleibender Reaktion des Gerichts hierauf noch vor Ablauf der beantragten
verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob und in welchem Umfang dem
Antrag stattgegeben wurde. Kommt er dem nicht nach, wird spätestens zu dem Zeit-
punkt, zu dem er eine klärende Antwort auf die Nachfrage erhalten hätte, die Monats-
frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt.

BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 – VII ZR 29/11 – LG Berlin in Berlin-Mitte
AG Wedding

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka, den Richter Dr. Kuffer, den Richter
Bauner, die Richterin Safari Chabestari und den Richter Prof. Leupertz

beschlossen:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revi-
sion in dem Urteil der Zivilkammer 54 des Landgerichts Berlin in
Berlin-Mitte vom 3. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gegenstandswert: 3.890,62

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Restwerklohn von 3.552,12
1
und vorgerichtliche Anwaltskosten von 338,50 . Das Amtsgericht hat die Klage
abgewiesen. Gegen das am 13. April 2010 zugestellte Urteil hat der Prozess-
bevollmächtigte der Klägerin am 11. Mai 2010 Berufung eingelegt und diese mit
Schriftsatz vom 29. Juni 2010 begründet. In der Vorbereitung des Verhand-
lungstermins vom 3. Dezember 2010 hat das Berufungsgericht die Fristversäu-
mung    erkannt   und    den   Prozessbevollmächtigten     der   Klägerin   am
30. November 2010 entsprechend informiert.

2          Die Klägerin hat behauptet, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 7. Juni
2010 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Der Schrift-
satz sei von der Notarfachgehilfin L. in ein Kuvert verpackt und an das Landge-
richt B.    adressiert worden. Die Gerichtspost sei gegen 20:00 Uhr von sei-
nem Sozius in den Briefkasten des Amtsgerichts C.                 eingeworfen
worden. Der Eingang der Post sei vom dort eingerichteten Zustelldienst um
20:10 Uhr registriert und die Post um 22:48 Uhr an das Landgericht zugestellt
worden. Die Klägerin hat die entsprechende Bestätigung des Zustelldienstes
vorgelegt und sich zum Beweis auf die eidesstattliche Versicherung der
Notarfachgehilfin L. und die anwaltliche Versicherung des Sozius berufen. Sie
hat zudem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da sie nach ihrer
Auffassung eine Fristversäumung nicht zu vertreten habe.

II.

3          Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen. Es meint, nicht fest-
stellen zu können, dass der Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Beru-
fungsbegründungsfrist am 7. Juni 2010 beim Berufungsgericht eingegangen
sei. Dem Zustellungsnachweis des Zustelldienstes könne lediglich entnommen
werden, dass im Auftrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. Juni
2010 Sendungen in den Briefkasten des Landgerichts Berlin eingeworfen wor-
den seien. Welche Sendungen eingeworfen worden seien, ergebe sich aus dem
Zustellnachweis nicht. Die nach dem Zustellnachweis für die Identifizierung der
Sendung erforderliche Zuordnung zu dem Fristverlängerungsantrag im Post-
ausgangsbuch der Anwaltskanzlei habe die Klägerin nicht vorgenommen, ob-
wohl die Frage der Zuordnung Gegenstand der mündlichen Verhandlung am

3. Dezember 2010 gewesen sei und die Beklagte bestritten habe, dass der
Fristverlängerungsantrag vom Zustelldienst zugestellt worden sei.

4          Den Wiedereinsetzungsantrag hat das Berufungsgericht zurückgewie-
sen, weil den Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden an der
Fristversäumung treffe. Er habe nicht durch geeignete Maßnahmen sicherge-
stellt, dass vor dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, deren Verlängerung
beantragt worden sei, das wirkliche Ende der Frist – gegebenenfalls durch
Rückfrage beim Gericht – festgestellt werde. Wären er und seine Anwaltsgehilfin
nicht irrtümlich davon ausgegangen, dass die Fristverlängerung stillschweigend
erfolge, hätten sie sich erkundigt und dabei festgestellt, dass der Verlänge-
rungsantrag nicht eingegangen sei.

III.

5          Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat
weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts
oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.

6          1. Soweit das Berufungsgericht in seiner Begründung davon ausgegan-
gen ist, dass die Berufungsbegründung nicht am 7. Juni 2010, sondern verspä-
tet eingegangen ist, sieht der Senat von einer Begründung ab, weil diese nicht
geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine
Revision zuzulassen ist, § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO.

7          2. Soweit sich die Beschwerde gegen die Versagung der Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand wendet, dürfte allerdings ein Klärungsbedarf beste-
hen,   inwieweit   die   Entscheidung    des   VI. Zivilsenats   (Beschluss   vom

24. November 2009 – VI ZB 69/08, FamRZ 2010, 370), auf die sich das Beru-
fungsurteil stützen lässt, mit Entscheidungen anderer Senate in Übereinstim-
mung zu bringen ist, wonach ein Rechtsanwalt nicht verpflichtet ist, sich vor
Ablauf der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist bei dem Gericht nach
dem Eingang seines Schriftsatzes zu erkundigen, wenn er mit einem ersten
Antrag auf einmonatige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist einen er-
heblichen Grund geltend gemacht hat (BGH, Beschlüsse vom 11. September
2007 – VIII ZB 73/05, in juris; vom 10. März 2009 – VIII ZB 55/06, NJW-RR
2009, 933; vom 16. April 2009 – VII ZB 66/08, BauR 2009, 1328). Darf ein An-
walt darauf vertrauen, dass einem Verlängerungsantrag stattgegeben wird und
treffen ihn insoweit keine Erkundigungspflichten, wäre es schwer verständlich,
eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand deshalb zu versagen, weil er sich
nicht so organisiert hat, dass er sich rechtzeitig erkundigen kann.

8         3. Die Zulassung einer Revision kommt jedoch nicht in Betracht, wenn
die zu klärende Rechtsfrage im Revisionsverfahren nicht entscheidungserheb-
lich ist (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2003 – X ZR 82/02, BGHZ 153, 254,
256). An der Entscheidungserheblichkeit fehlt es, wenn die angegriffene Ent-
scheidung aus anderen Gründen unabhängig von der Beantwortung der klä-
rungsbedürftigen Rechtsfrage im Ergebnis richtig ist (BGH, Urteil vom
18. Juli 2003 – V ZR 187/02, NJW 2003, 3205, 3206). So liegt es hier. Die Ent-
scheidung des Berufungsgerichts erweist sich deshalb als richtig, weil der Wie-
dereinsetzungsantrag verspätet gestellt und die Wiedereinsetzung deshalb im
Ergebnis zu Recht versagt worden ist.

9         a) Wie die Beschwerde einräumt, hat der Rechtsanwalt nach der höchst-
richterlichen Rechtsprechung durch geeignete Organisationsmaßnahmen si-
cherzustellen, dass nach Stellung eines Antrags auf Verlängerung der Beru-
fungsbegründungsfrist und ausbleibender Reaktion des Gerichts hierauf noch

vor Ablauf der beantragten verlängerten Frist dort Nachfrage gehalten wird, ob
und in welchem Umfang dem Antrag stattgegeben wurde (BGH, Beschlüsse
vom 27. Januar 2011 – VII ZB 44/09, NJW 2011, 1971; vom 14. Juli 1999
– XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663). Kommt er dem nicht nach, wird spätes-
tens zu dem Zeitpunkt, zu dem er eine klärende Antwort auf die Nachfrage er-
halten hätte, die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Gang gesetzt.
Denn die Wiedereinsetzungsfrist beginnt, sobald die Partei oder ihr Prozessbe-
vollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte
erkennen können, dass die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden ist
(vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2008 – V ZB 29/08, JurBüro 2009, 448;
vom 21. März 2006 – VI ZB 31/05, VersR 2006, 1141; vom 13. Juli 2004
– XI ZB 33/03, NJW-RR 2005, 76; vom 13. Dezember 1999 – II ZR 225/98, NJW
2000, 592; vom 7. Februar 1996 – XII ZB 107/94, FamRZ 1996, 934; vom
25. Mai 1994 – XII ZB 57/94, XII ZB 92/94, VersR 1995, 69; vom 13. Mai 1992
– VIII ZB 3/92, NJW 1992, 2098; vom 12. Oktober 1989 – I ZB 3/89, NJW-RR
1990, 379; vom 29. November 1984 – X ZB 33/84, VersR 1985, 283).

10         b) Dem steht nicht die Entscheidung des VIII. Zivilsenats entgegen (Be-
schluss vom 11. September 2007 – VIII ZB 73/05, in juris). Der VIII. Zivilsenat
hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er an dieser Entscheidung – sollte ihr eine ab-
weichende Würdigung entnommen werden können – nicht festhalte.

11         c) Der erst im Dezember 2010 gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist da-
her, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt vor Ablauf der beantragten Frist-
verlängerung man den Rechtsanwalt als zur Nachfrage verpflichtet ansieht, ver-
fristet. Denn bei der gebotenen Nachfrage hätte der Prozessbevollmächtigte der

Klägerin bereits im Juli 2010 erfahren, dass der Fristverlängerungsantrag nicht
eingegangen und die Berufungsbegründungsfrist deshalb versäumt worden ist.

Kniffka                                Kuffer                             Bauner

Safari Chabestari                             Leupertz

Vorinstanzen:
AG Berlin-Wedding, Entscheidung vom 08.04.2010 – 17 C 605/07 –
LG Berlin, Entscheidung vom 03.12.2010 – 54 S 73/10 –