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BUNDESGERICHTSHOF

URTEIL vom 10. Juni 2010

I ZR 42/08

Praxis Aktuell

UWG § 5 Abs. 1 Nr. 1

Die irreführende Verwendung einer eingetragenen Marke kann – gleichgültig, ob die Marke bereits für sich genommen irreführend ist oder ob sich die Umstände, die die Irreführung begründen, erst aus ihrer konkreten Verwendung ergeben – nach §§ 3, 5, 8 Abs. 1 UWG untersagt werden.

BGH, Urteil vom 10. Juni 2010 – I ZR 42/08 – OLG Hamburg

LG Hamburg

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juni 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Koch

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgeichts Hamburg, 5. Zivilsenat, vom 25. Januar 2008 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin vertreibt kaufmännische Software, zu der auch Programme für die Finanzbuchhaltung sowie zur Lohn- und Gehaltsabrechnung gehören. Die Beklagte ist ein Fachverlag für Sozialversicherungsrecht. Sie gibt in Kooperation mit der AOK die Zeitschrift „Praxis Aktuell“ heraus, die unter dem Namen des jeweiligen AOK-Landesverbands erscheint und kostenlos an alle Arbeitge-ber verteilt wird. Im Impressum dieser Zeitschrift ist die Beklagte als Mitherausgeberin, Verlegerin und Produzentin genannt. Sie produziert darüber hinaus für die Landesverbände der AOK Internetauftritte unter dem Titel „Praxis Aktuell“. Die Beklagte ist auch Inhaberin zweier Marken, die den Bestandteil „Praxis Aktuell“ enthalten, u.a. einer für ein „AOK-Unternehmer-Magazin“ eingetragenen Wort-/Bildmarke „praxis AKTUELL“.

Die Beklagte brachte im Sommer 2005 unter der Bezeichnung „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ eine Software auf den Markt, die insbesondere der Übermittlung der Meldungen und Beitragsnachweise durch die Arbeitgeber an die Sozialversicherungsträger dient.

Die Klägerin hat sowohl die Produktbezeichnung der Software als auch die Werbung für dieses Programm auf der Internetseite der AOK als wettbewerbswidrig beanstandet. Hinsichtlich der Werbung hat die Beklagte eine Unterwerfungserklärung abgegeben.

Die Klägerin hält die Übernahme des Zeitschriftentitels „Praxis Aktuell“ in die Bezeichnung der Software für irreführend, weil die Beklagte sich dadurch in unzulässiger Weise an die Bezeichnung einer öffentlich-rechtlichen Institution anlehne und damit zu Unrecht deren Autorität für ihren Produktabsatz in Anspruch nehme.

Sie hat beantragt,

die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs eine kaufmännische Software, die der Lohn- und Gehaltsabrechnung einschließlich der Erfassung von Abrechnungsdaten für die gesetzliche Krankenversicherung und deren Übermittlung zwischen Arbeitgebern und Krankenversicherung dient, unter der Produktbezeichnung

Praxis Aktuell Lohn & Gehalt

zu bewerben, anzubieten und/oder zu vertreiben, solange Landesverbände der AOK (Allgemeine Ortskrankenkassen) eine Zeitschrift und/oder Internetseiten mit dem Titel „Praxis Aktuell“ herausgeben und für einen Zeitraum von zwölf Monaten nach Beendigung der Herausgabe derartiger Zeitschriften und/oder Internetseiten.

Die Beklagte hat demgegenüber insbesondere geltend gemacht, die Produktbezeichnung könne ihr schon deshalb nicht untersagt werden, weil sie Inhaberin von Marken mit dem Bestandteil „Praxis Aktuell“ sei. Zudem seien wettbewerbsrechtliche Ansprüche wegen eines Vorrangs des Markenrechts ausgeschlossen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben (OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 245).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG 2004 für begründet erachtet, weil die Beklagte mit der angegriffenen Bezeichnung ihrer Software bei den angesprochenen Verkehrskreisen unzutreffende Vorstellungen über ihre geschäftlichen Verhältnisse hervorrufe. Hierzu hat es ausgeführt:

Gegenstand der Auseinandersetzung sei nicht die konkrete Art und Weise, in der die Beklagte sich mit ihrem Produkt auf der Internetseite der AOK sowie in deren Zeitschrift „Praxis Aktuell“ präsentiere. Es gehe vielmehr allein um die konkrete Bezeichnung der Software selbst, und zwar vor dem Hintergrund der ähnlichen Bezeichnung der von der AOK herausgegebenen Zeitschrift, weil hierdurch Fehlvorstellungen bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorgerufen werden könnten. Dieser Streitgegenstand komme mit der gebotenen Deutlichkeit in dem von der Klägerin gestellten Unterlassungsantrag zum Ausdruck, der hinreichend konkret ein spezifisch wettbewerbswidriges Verhalten umschreibe, das der Beklagten verboten werden solle.

Zwischen den Parteien bestehe ein Wettbewerbsverhältnis, aus dem die Klägerin als unmittelbare Mitbewerberin der Beklagten zur Geltendmachung des streitgegenständlichen Unterlassungsanspruchs aktivlegitimiert sei. Beide Parteien vertrieben gleichartige Produkte an ähnliche Abnehmerkreise.

Durch die übereinstimmende Bezeichnung der von der Beklagten vertriebenen Software und des Magazins der AOK mit dem Titel „Praxis Aktuell“ würden nicht unwesentliche Teile der angesprochenen Verkehrskreise irregeführt, da sie zu der unzutreffenden Annahme veranlasst würden, das Softwareprodukt der Beklagten und die AOK stünden hinsichtlich der Software in besonderen geschäftlichen Beziehungen zueinander, kraft deren sich die Software der Beklagten von Konkurrenzprodukten abhebe und gegenüber diesen auszeichne. Diese Fehlvorstellung sei wettbewerbsrechtlich relevant. Die angesprochenen Unternehmer könnten sich zu einem Erwerb des Produkts der Beklagten veranlasst sehen, weil der Eindruck entstehe, dass es am besten auf den Datenverkehr mit der AOK abgestimmt sei. In Bezug auf die in Rede steende Software gebe es jedoch keine geschäftlichen Beziehungen zwischen der Beklagten und der AOK.

Die Beklagte könne dem wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass ein Vorrang des Markenrechts bestehe. Das Spezifische des der Beklagten vorgeworfenen Rechtsverstoßes liege nicht in einer Verwechslung, sondern in der Art und Weise, wie sie sich mit der angegriffenen Bezeichnung in unlauterer Weise an die von der AOK verwendete Bezeichnung anlehne, die diese im Rahmen ihrer sozialrechtlichen Informations-verpflichtung benutze. Im Übrigen sage eine Markeneintragung nichts darüber aus, ob die Benutzung der Marke durch den Inhaber zulässig sei. Das Benutzungsrecht des Markeninhabers finde seine Grenze in den allgemeinen Gesetzen, insbesondere im Irreführungsverbot des § 5 UWG.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg. Das beanstandete Verhalten stellt eine Irreführung dar, allerdings nicht – wie vom Berufungsgericht angenommen – über die geschäftlichen Verhältnisse der Beklagten (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 UWG 2004, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UWG 2008) dar, sondern über wesentliche Merkmale der beworbenen Software (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG 2004, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG 2008).

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1. Die Klägerin hat ihren Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr gestützt (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG) und dazu auf ein Verhalten der Beklagten vom Sommer 2005 – Werbung für eine kaufmännische Software mit der Produktbezeichnung „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ – Bezug genommen. Da der Unterlassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichtet ist, ist er nur begründet, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es andernfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 23/08, GRUR 2010, 652 Rn. 10 = WRP 2010, 872 – Costa del Sol, mwN.).

Das zur Zeit der von der Klägerin beanstandeten Werbung der Beklagten geltende Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. I S. 1414, nachfolgend: UWG 2004) ist zwar Ende 2008, also nach Verkündung des Berufungsurteils, geändert worden. Diese – der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dienende – Gesetzesänderung

ist für den Streitfall jedoch ohne Bedeutung. Sowohl § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG 2004 ls auch § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG 2008 nennen als Beispiele einer Irreführung zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale einer Ware oder Dienstleistung. Es ist deshalb nicht erforderlich, zwischen der vor und nach dem 30. Dezember 2008 geltenden Rechtslage zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009 – I ZR 73/07, GRUR 2010, 352 Rn. 10 =

WRP 2010, 636 – Hier spiegelt sich Erfahrung).

2. Die Klage ist unter dem Gesichtspunkt der Irreführung gemäß § 8 Abs. 1, §§ 3, 5 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 UWG 2004, § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG 2008 begründet, weil die Beklagte mit der Verwendung der Bezeichnung „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ für ihre Software bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine unzutreffende, für die Nachfrageentscheidung der angesprochenen Kreise relevante Vorstellung über das von ihr angebotene Produkt hervorruft. Insbesondere erweckt die Beklagte mit der beanstandeten Bezeichnung den unzutreffenden Eindruck, es handele sich bei der von ihr vertriebenen Software um ein von der AOK oder in enger Zusammenarbeit mit der AOK hergestelltes Produkt, das schon deshalb für die Kommunikation der Arbeitgeber mit der AOK besonders geeignet sei.

a) Zu Unrecht meint die Revision, das Berufungsgericht habe Inhalt und Bedeutung der Markenrechte der Beklagten verkannt. Das Recht, das eine Marke ihrem Inhaber verleiht, umfasst nicht das Recht, die Marke irreführend zu verwenden. Zwar kann eine Marke schon von der Eintragung ausgeschlossen sein, wenn sie geeignet ist, das Publikum zu täuschen (§ 8 Abs. 2 Nr. 4 MarkenG). Dies ändert aber nichts daran, dass die irreführende Verwendung einer eingetragenen Marke – gleichgültig, ob sie bereits für sich genommen irreführend ist und gar nicht hätte eingetragen werden dürfen oder ob sich die Umstände, die die Irreführung begründen, erst aus ihrer konkreten Verwendung ergeben – nach §§ 3, 5, 8 Abs. 1 UWG untersagt werden kann. Der Umstand, dass es sich bei der beanstandeten Bezeichnung um eine eingetragene Marke handelt, spielt für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung keine Rolle und ist insbesondere kein Indiz dafür, dass die Marke unter den konkreten Umständen nicht irreführend benutzt worden ist (BGH, Urteil vom 18. Januar 1955 – I ZR 102/53, GRUR 1955, 251 = WRP 1955, 64 – Silberal; BGH, Urteil vom 1. März 1984 – I ZR 48/82, GRUR 1984, 737, 738 = WRP 1984, 540 – Ziegelfertigstütze; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., § 5 Rn. 2.55 f. und 2.58; Ingerl/Rohnke, Markengesetz, 3. Aufl., § 2 Rn. 19 und § 8 Rn. 253; Hacker in Ströbele/Hacker, Markengesetz, 9. Aufl., § 2 Rn. 80).

b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Verwendung der beanstandeten Bezeichnung „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ durch die Beklagte sei irreführend.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Zeitschrift „Praxis Aktuell“ stelle sich für den Betrachter als ein Publikationsorgan der AOK dar. Das Magazin trage den Untertitel „Unternehmer-Magazin der AOK Niedersachsen“. Auf der ersten Seite rechts oben seien zudem der Name, die Bezeichnung sowie das typische Logo der AOK erkennbar. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund den Zeitschriftentitel „Praxis Aktuell“ der AOK-Publikation zur Bezeichnung eines gewerblichen Produkts verwende und diesen allein um eine nicht kennzeichnungskräftige Sachbeschreibung („Lohn & Gehalt“) erweitere, so hätten die angesprochenen Verkehrskreise alle Veranlassung zu der Annahme, dass die Software in Beziehung zur AOK stehe und deren Zweckerfüllung diene. Die Beklagte nehme damit – unausgesprochen – die Autorität der AOK für sich in Anspruch und bringe zum Ausdruck, dass sich ihre Software für die von Arbeitgebern an die AOK zu übermittelnden Meldungen und Beitragsnachweise besonders eigne.

bb) Diese Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Entgegen der Auffassung der Revision ist es ohne Bedeutung, dass die Zeitschrift „Praxis Aktuell“ von der Beklagten und der AOK gemeinsam herausgegeben wird. Maßgeblich ist allein, dass diese Zeitschrift vom Verkehr – zutreffend – als ein Informationsmagazin angesehen wird, mit dessen Hilfe die AOK Arbeitgebern wichtige Informationen zukommen lässt, dass es sich also ungeachtet der Mitherausgeberschaft der Beklagten um ein Magazin der AOK handelt. Damit liegt auf der Hand, dass der Verkehr eine entsprechende Kooperation auch dann vermutet, wenn die Beklagte unter dem Titel „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ eine Software anbietet, mit deren Hilfe die Kommunikation zwischen Arbeitgebern und AOK bewältigt werden soll.

Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge der Revision, eine Irreführung scheide schon deshalb aus, weil die Beklagte nicht über den Anbieter des Softwareprodukts täusche. Im Streitfall geht es darum, dass die Beklagte durch die Verwendung der Bezeichnung „Praxis Aktuell“ den Eindruck erweckt, sie biete die Software in Kooperation mit der AOK an. Dieser Eindruck ist – wie auch die

Revision nicht in Abrede stellt – unzutreffend. Dass die AOK – wie die Revision geltend macht – keine Vorbehalte gegen die beanstandete Bezeichnung der Software erhebt, ändert an der Irreführung nichts.

Unbegründet ist schließlich der Einwand der Revision, gegen die Beklagte sei zu Unrecht ein Schlechthin-Verbot ausgesprochen worden. Der Beklagten ist nicht schlechthin untersagt worden, die Bezeichnung „Praxis Aktuell Lohn & Gehalt“ für die von ihr angebotene Software zu verwenden. Ihr ist die Verwendung dieser Bezeichnung lediglich untersagt worden, solange Landesverbände der AOK unter dem Titel „Praxis Aktuell“ eine Zeitschrift herausgeben oder un-

ter diesem Titel im Internet auftreten, wobei das Verbot noch ein Jahr nach Einstellung einer solchen Zeitschrift oder eines solchen Internetauftritts fortdauern soll. Damit sind die konkreten Umstände der Verletzungshandlung hinreichend umschrieben.

III. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97

Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Bornkamm Pokrant Schaffert

Bergmann Koch

Vorinstanzen:

LG Hamburg, Entscheidung vom 12.12.2006 – 407 O 118/06 –

OLG Hamburg, Entscheidung vom 25.01.2008 – 5 U 90/07 –