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BGH: Kein Unterlassungsanspruch wegen Darstellung einer realen Person in dem Film „Die Auserwählten“ durch Schauspieler

„Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.“ So heißt es in der Tragödie Hamlet von Wiliam Shakespeare. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich kürzlich mit ähnlich existenziellen Fragen zu befassen, nämlich u.a. der, ob es sich bei der Darstellung einer realen Person – bzw. einer Rolle in enger Anlehnung an eine reale Person – in einem Film durch einen Schauspieler um ein Bildnis dargestellten Person im Sinne des Kunsturhebergesetzes (KUG) handelt.

Der VI. Zivilsenat des BGH entschied nun mit Urteil vom 18.05.2021, Az. VI ZR 441/19, dass in der Regel kein Bildnis der schauspielerisch dargestellten Person vorliege und ebenso im vorliegenden Fall keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegeben sei, wobei hinsichtlich letzterem ein Überwiegen der Kunst- und Filmfreiheit insbesondere dann angenommen werden könne, wenn die dargestellte Person sich in der Vergangenheit bereits der Öffentlichkeit zugewandt hatte. Aufgrund dessen wurde die auf Unterlassung gerichtete Klage abgewiesen und damit die Urteile der beiden vorherigen Instanzen (LG Hamburg, 03.06.2016, Az. 324 O 78/15; OLG Hamburg, 01.10.2019, Az. 7 U 141/16) bestätigt.

Dem Rechtsstreit lag folgender Sachverhalt zugrunde (Pressemitteilung BGH):

„Der Kläger war in den 1980er Jahren Schüler der Odenwaldschule, wo er über mehrere Jahre sexuell missbraucht wurde. Seit dem Jahr 1998 machte er auf das Missbrauchsgeschehen aufmerksam und trug – u.a. durch die Mitwirkung an Presseveröffentlichungen und an einem Dokumentarfilm – maßgeblich zu dessen Aufklärung bei. Im Jahr 2011 veröffentlichte der Kläger ein autobiographisches Buch, in dem er die Geschehnisse schilderte. Im Jahr 2012 erhielt der Kläger den Geschwister-Scholl-Preis; anlässlich der Preisverleihung legte er im November 2012 sein zunächst verwendetes Pseudonym ab. Im Jahr 2014 strahlte die ARD den im Auftrag der erstbeklagten Landesrundfunkanstalt von der Beklagten zu 2 produzierten Spielfilm „Die Auserwählten“ aus. Der an Originalschauplätzen gedrehte Film thematisiert den sexuellen Missbrauch an der Odenwaldschule, wobei der Kläger als Vorbild für die zentrale Filmfigur zu erkennen ist. Der Kläger, der eine Mitwirkung an dem Film im Vorfeld abgelehnt hatte, hält dies für einen unzulässigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht. Er begehrt, die weitere Verbreitung der entsprechenden Filmszenen zu unterlassen.“

Der entscheidende Senat lehnte trotz der Erkennbarkeit des Klägers in der Filmrolle das Vorliegen eines Bildnisses i.S.d. § 22 KUG ab. Bei einer erkennbar bloßen Darstellung einer Person durch einen Schauspieler sei lediglich ein Bildnis des Schauspielers gegeben, der auch in seiner Rolle noch „eigenpersönlich“ und damit als er selbst erkennbar bleibe. Etwas anderes könne nur gelten, wenn der täuschend echte Eindruck erweckt würde, dass es sich um die dargestellte Person selbst handele, wie dies etwa bei dem Einsatz eines Doppelgängers oder einer nachgestellten berühmten Szene oder Fotographie der Fall sein kann.

Darüber hinaus bestehe auch im Rahmen der gebotenen kunstspezifischen Betrachtungsweise kein Unterlassungsanspruch wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. § § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Der Kläger sei zwar wegen der Übereinstimmung von seiner Biographie und der Darstellung der zentralen Filmfigur in seinem Persönlichkeitsrecht betroffen und die in der visuellen Darstellung liegende suggestive Kraft eines Spielfilms verstärke diese Betroffenheit. Dennoch müsse aber die Kunst- und Filmfreiheit nicht zurücktreten, da die Betroffenheit des Persönlichkeitsrechts hier weniger schwer wiege wegen der praktizierten Selbstöffnung des Klägers in der Vergangenheit.

Das LG Hamburg hatte in erster Instanz eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers u.a auch aus dem Grunde abgelehnt, weil an der filmischen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule und auch generell an einer öffentlichen Diskussion zum Thema Missbrauch, ein überragendes öffentliches Interesse bestehe. Durch die Darstellung im Film könne ein Publikum erreicht werden, welches anders nicht in gleicher Weise erreichbar wäre.

Pressemitteilung des BGH zu der Entscheidung zu finden unter der URL: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/2021097.html

Mehr Informationen zum Persönlichkeits- und Medienrecht finden Sie hier: https://ra-juedemann.de/anwalt-medienrecht-berlin/

Text verfasst und Titelbild bearbeitet durch: Marc Faßbender

Bearbeitetes Titelbild basiert auf lizenzfreiem Werk von: „Mike“ (https://www.pexels.com/de-de/foto/rotes-menschliches-gesicht-denkmal-auf-grunem-grasfeld-189449/)