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Streaming-Manipulation: Einstweilige Verfügung gegen followerschmiede.de

Am Dienstag, den 3. März 2020, gab der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) bekannt, dass das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die Betreiber der Website followerschmiede.de erlassen hat. Die in Deutschland gehostete populäre Homepage bot die Erzeugung von Fake-Plays an, um die Abrufzahlen für Musikstücke auf Audio-Streaming-Diensten wie Spotify künstlich nach oben zu treiben.

BVMI-Sprecherin Sigrid Herrenbrück erklärte: „Der erhoffte Effekt ist, auf illegale Weise das Chart-Ranking eines oder mehrerer Songs zu verbessern und Lizenzzahlungen durch die vermeintliche Streaming-Nutzung zu erhalten, die nicht gerechtfertigt sind, weil die Musik eben nicht von tatsächlichen NutzerInnen gehört wurde.“ Ebenso äußerte sich Frances Moore, Geschäftsführerin des internationalen Dachverbands IFPI (International Federation of the Phonographic Industry). Durch die Manipulation von Streams werde die Genauigkeit der Charts beschädigt und Lizenzzahlungen an Musikschaffende verhindert. „Streaming-Plattformen müssen eine robuste technische Lösung für dieses Problem finden. Wie die Aktion in Deutschland beweist, ist die Musikindustrie bereit, rechtliche Schritte gegen solche Websites einzuleiten. Dies wird auch weiterhin geschehen, wo immer es notwendig ist.“ Wer Musik produziere, müsse für seine Arbeit fair und nachvollziehbar entlohnt werden, was durch Streaming-Manipulation verhindert werde, da diese etwa die Genauigkeit von Diagrammen und die Berechnung der zu leistenden Lizenzgebühren an Musikschaffende verfälsche.

Die Manipulation von Klickzahlen auf Streaming-Plattformen wie Spotify hat negative Auswirkungen auf andere Künstlerinnen und Künstler, da das derzeitige Entlohnungsmodell der Streamingdienste die gezahlten Tantiemen nach dem Verhältnis der einzelnen Wiedergabezahlen zu den Einnahmen der Plattform berechnet. Jede künstlich in die Höhe getriebene Wiedergabezahl eines Songs auf Spotify führt also dazu, dass andere Künstler und Künstlerinnen weniger Tantiemen erhalten, deren Wiedergabezahlen für Musikstücke rein organisch entstanden sind. Bereits ohne Manipulationen ist es insbesondere für Independent-KünstlerInnen schwierig bis unmöglich, mit den Streaming-Erlösen seine Lebenshaltungskosten zu decken: In einer für 2019 upgedateten Variante ihrer Liste mit dem Titel „What Streaming Music Services Pay“ kommt die Website DigitalMusicNews zu dem Ergebnis, dass etwa der Anbieter Spotify lediglich 0,00437 US-Cent pro Stream zahlt. Die Verluste für Musikschaffende mit „realen“ Hörerinnen und Hörern durch Streaming-Manipulation belaufen sich nach einer Berechnung von Louis Posen, dem Gründer des kalifornischen Indie-Labels Hopeless Records, auf rund 300 Millionen US-Dollar.

Von derlei Manipulationen betroffene Kunstschaffende dürften sich über die Schließung von followerschmiede.com gefreut haben, da nun der Verkauf abertausender Fake-Spotify-Plays auf einem der größten Musikmärkte der Welt vorerst gestoppt wurde. Über die Homepage wurden außerdem auch Fake-Follower für Instagram sowie Plays auf Youtube und für weitere Plattformen angeboten. Neben der nun geschlossenen Website bieten auch andere Betreiber wie Followersnet.com Spotify-Plays zum Kauf an, die Preise liegen bei 5 bis 330 Euro. Dort heißt es: „Mindestens 1.000 Plays musst Du auswählen, wobei die Höchstgrenze bei 100.000 Plays liegt. Kurze Zeit nach Deinem Kauf werden Dir die angeforderten Plays gutgeschrieben und in den Bestenlisten tauchst Du schon bald durchaus häufiger auf.“ Angeblich handelt es sich um „echte Abrufe“. Followersnet.com bietet ebenfalls den Kauf von Instagram-Followern, Likes, Views und Kommentaren an. Laut einem Test von Hootsuite erhält man in den meisten Fällen von solchen Plattformen Follower von Bots und Zombie-Konten, also inaktiven Accounts, die von Bots übernommen wurden. „Es gibt auch kostspieligere Alternativen, die ab 1.000 Dollar aufwärts für 10.000 Follower berechnen. Diese Dienste unterhalten aktive Accounts, die mit Ihrem Konto interagieren“. Am Mittag des folgenden Tages verzeichnete der Test-Account über 1.000 Follower, doch keine einzige Interaktion. Sogar Monate später änderte sich nichts daran.

Der CEO und Vorsitzende des BVMI, Florian Drücke, nahm zur erfolgreichen einstweiligen Verfügung Stellung:  „Wir haben diese Maßnahme im Rahmen unserer Verpflichtung ergriffen, den legitimen legalen Markt für Musik zu schützen und betrügerische Dienste zu verhindern, die ihn untergraben wollen. Dies sollte als Signal an andere Manipulationsdienste gesehen werden, dass wir bereit sind, gegen sie vorzugehen.“ Erst im vergangenen Jahr hat der IFPI, der als Dachverband weltweit die Aufnahmeindustrie vertritt, mit nationalen Gruppen und verschiedenen Unternehmen, darunter „Big Player“ aus der Musikindustrie wie Sony, Universal, Spotify, Deezer und die RIAA, einen Verhaltenskodex („Code of Best Practice“) unterzeichnet. Dieser zielt darauf ab, Streaming-Manipulation zu erkennen und zu verhindern. Allerdings schätzen einige Beobachter den Kodex als „leeres Versprechen“ ein, wie etwa die News-Seite Music Business Worldwide (MBW). Die von den unterzeichnenden Parteien vorgeschlagenen Maßnahmen stellten lediglich vage Versicherungen dar und seien nicht rechtlich bindend. Zudem erscheine die Sinnhaftigkeit eines solchen Abkommens in einer Branche fraglich, in der bis auf die benachteiligten Künstlerinnen und Künstler nahezu alle von derartigen Manipulationen profitieren können.

Jörg Heidemann, Geschäftsführer des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen e.V. (VUT), wertet den Kodex als guten ersten Schritt, dem jedoch weitere folgen müssten. Besonders problematisch sei das derzeitige Ausschüttungsmodell der Streaming-Plattformen. Die Umstellung vom bisherigen service-zentrierten auf ein nutzerbasiertes Modell erscheine notwendig, um Manipulationen zu erschweren. Bei einem derartigen System würden die gestreamten Acts nicht anteilig vom Umsatz des Streamingdienstes bezahlt werden, sondern der von den Nutzern bezahlte, monatliche Betrag selbst aufgeteilt – abzüglich der Betriebskosten des Streamingdienstes. Der Vorteil liegt auf der Hand: Automatisierte Accounts, die ihre eigene Musik streamen, bezahlen sich dann letztendlich selbst, da nicht mehr als ihr eigener, monatlicher Beitrag an sie zurückgezahlt wird. Die ersten Reaktionen aus der Branche gibt es bereits: Der französische Streamingdienst Deezer hat angekündigt, bald auf ein nutzerbasiertes Ausschüttungsmodell umstellen zu wollen.