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Musikrecht Plagiate – Lizzo und ihr Erfolgssong „Truth Hurts“ – der letzte Rechtsstreit um Melodie-Plagiate?

Die Pop-Sängerin Lizzo, welche im Jahr 2019 mit dem Song „Truth Hurts“ insgesamt sieben Wochen die Charts in den USA anführte und einen Grammy für die beste Pop-Solo-Performance gewann, wurde vor einigen Tagen von den Brüdern Justin und Jeremiah Raisen verklagt. Hinter den Kulissen um den 2017 veröffentlichten Song, der Lizzo über Nacht zum Star machte, hatte es bereits seit einiger Zeit wegen angeblicher Urheberrechtsverletzungen mächtig rumort.

Neben den Raisen-Brüdern hatte auch ein weiterer angeblich beteiligter Songwriter die Sängerin Lizzo kurz nach Veröffentlichung von „Truth Hurts“ beschuldigt, Elemente aus einem anderen Song mit dem Namen „Healthy“ übernommen zu haben, den sie gemeinsam geschrieben hatten. Den Anstoß für die Kontroverse machte die britische Sängerin Mina Lioness, die nach ihrer offiziellen Anerkennung als Autorin des Songs „Truth Hurts“ twitterte: „I just took a DNA test turns out I’m 100% that…“. Es handelt sich hierbei um den Eröffnungstext des Songs, der von einem gleichlautenden Tweet inspiriert wurde. Bereits 2017 hatte Lioness gefordert, am Erfolg von „Truth Hurts“ beteiligt zu werden, was wenig später auch geschah. Die Anschuldigungen der Raisen-Brüder und des Songwriters Yves Rothman, der behauptete, ihm sei die Mitwirkung an dem Song abgesprochen worden, da er seine Beteiligung erst geltend gemacht habe, nachdem das Lied ein Hit geworden war, wies Lizzo allerdings zurück. Sie verklagte die angeblich Mitwirkenden wegen der öffentlichen Anschuldigungen. Vor den Grammys, in die Lizzo als Top-Anwärterin ging, wurde dann auch kaum noch über den Urheberrechtsstreit gesprochen.

Vor einigen Tagen reichten dann jedoch die Raisen-Brüder eine Gegenklage ein, in der sie Lizenzgebühren für ihre Mitwirkung an „Truth Hurts“ geltend machen. Die Song-Line „I just took a DNA test turns out I’m 100% that…“ beruhe auf ihrer gemeinsamen Songwriting-Sitzung für „Healthy“ und ohne ihre Arbeit als Songwriter und Produzenten hätte Lizzo niemals den Grammy für die beste Pop-Solo-Performance mit „Truth Hurts“ erhalten. In einem New York Times-Interview sowie auf den Social Media-Kanälen schilderten die Brüder den Songwriting-Prozess für „Healthy“ von April 2017 bis etwa fünf Monate vor Veröffentlichung von „Truth Hurts“. Zudem posteten sie Audio-Clips, die beide Songs miteinander verglichen.

Ihre Gegenklage, die beim Bundesbezirksgericht in Los Angeles eingereicht wurde, enthält jedoch weitaus mehr Details, einschließlich Auszügen aus dem Textaustausch von Justin Raisen mit Lizzo und ihrem Hauptproduzenten Ricky Reed. Laut den in der Beschwerde eingereichten Screenshots wandte sich Reed an Raisen, als das Lied auf Platz 1 der Charts landete. Reed schien mit den Behauptungen der Raisens einverstanden zu sein und sagte, er wolle, dass ihr Streit „beigelegt“ werde. Lizzo selbst und ihre Vertreter lehnten eine Stellungnahme zwar ab, doch äußerte sich die Sängerin im letzten Herbst über die Raisen-Brüder und Yves Rothman in den sozialen Medien mit den Worten: „Die Männer, die jetzt am Erfolg von „Truth Hurts“ teilhaben wollen, haben an keinem Teil des Songs mitgewirkt.“

Der Fall erregte nicht allein deshalb große Aufmerksamkeit, weil er die rechtmäßige Urheberschaft eines Hits infrage stellte, sondern auch, weil er das angespannte Verhältnis zwischen Künstlern, Produzenten und Songwritern beleuchtet, die hinter den Kulissen um Anteile und Lizenzgebühren streiten. Häufig monieren Songwriter und ihre Anwälte, dass für Popkünstler viele Möglichkeiten bestünden, ihren Ruhm zu Geld zu machen, wohingegen der Lebensunterhalt von Songwritern fast ausschließlich von den Prozentsätzen abhinge, die sie erhielten, wenn der Song ein Hit werde. Unter den Anwälten, die die Raisens vertreten, ist Lawrence Y. Iser, ein bekannter Urheberrechtsanwalt, der 2010 David Byrne in einer Klage gegen Charlie Crist, den Gouverneur von Florida, vertrat, der ein Lied von Talking Heads ohne Erlaubnis in einer Senatswerbung verwendet hatte. In einer Erklärung nannte Iser Lizzo „eine talentierte Musikerin und Performerin, die derzeit aufgrund eines Hits, den sie nicht alleine geschrieben hat, eine immense Popularität genießt“, und sagte, der Fall habe größere Auswirkungen auf die Musikindustrie. Sollte es den Raisens nicht gelingen, Lizenzgebühren für ihre Mitwirkung an dem Song „Truth Hurts“ zu erhalten, würde dies das Vertrauen zahlreicher Musiker darin zerstören, angemessen für ihre Arbeit mit populären Künstlern entlohnt zu werden. 

In Zukunft könnten ähnliche Urheberrechtsstreitigkeiten jedoch womöglich überflüssig werden. Damien Riehl, ein amerikanischer Anwalt, Cyber-Sicherheitsexperte und studierter Musiker, hat mit seinem Freund Noah Rubin einen Algorithmus erstellt, der jede mögliche Pop-Melodie errechnet und gespeichert hat. Diese automatisiert erzeugten Melodien werden von den beiden online kostenlos auf der Homepage allthemusic.info zur Verfügung gestellt. Ähnlich wie beim Herausfinden von Passwörtern ist es einem Algorithmus nämlich möglich, eine endliche Anzahl an Kombinationsmöglichkeiten zu errechnen, sofern sich die einzelnen Musiknoten in ein entsprechendes System übertragen ließen. Riehl und Rubin ordneten jeder Musiknote eine Zahl zwischen 1 und 12 zu und beschränkten das Parameter auf die Dur- und Moll-Tonleiter. Beschränkt auf für die Popmusik übliche Tonfolgen ergaben sich so etwa 100 Milliarden mögliche Melodien – eine enorm hohe Anzahl, die dennoch vom Algorithmus errechnet und gespeichert werden konnte.

Aufgrund der noch heute geltenden Copyright-Vereinbarung aus dem Jahre 1886, nach der das Urheberrecht für ein künstliches Werk erst greift, wenn es auf einem festen Medium gespeichert ist, wurden die Melodien auf einer Festplatte gespeichert. Insbesondere in den USA werden jedes Jahr zahlreiche Verfahren wegen vermeintlicher Copyright-Verletzungen geführt, für die der Fall Lizzo ein aktuelles Beispiel ist. Immer wieder werden Pop-Interpreten verklagt, weil sie eine ähnliche Melodie in ihrem Song verwenden. Insbesondere für Kleinkünstler ist die Einleitung kostspieliger Gerichtsverfahren meist nicht bezahlbar, sodass sie auf die Geltendmachung von Lizenzgebühren verzichten, umgekehrt jedoch häufig den Klagen finanzstarker Musikstudios ausgesetzt sind. Solche Klagen gehören zumindest in der Theorie nun der Vergangenheit an: Auf allthemusic.info können kostenlos sämtliche erzeugten Melodien als Open Source heruntergeladen und (auch kommerziell) verwendet werden. Damien Riehl und Noah Rubin nutzen eine Creative Commons Zero-Lizenz (CC0), sodass sie als Urheber und Rechteinhaber vollständig auf etwaige Rechte an ihren mit dem Algorithmus erzeugten Werken verzichten.

Am Ausgang des Rechtsstreits zwischen Lizzo und ihren vermeintlichen Mitwirkenden wird die Website allerdings nichts ändern, womöglich erspart sie jedoch zukünftigen Pop-Musikern viel Geld, Nerven – und kreative Eigenleistung.

Jüdemann Rechtsanwälte