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Die Ärztekammer kann nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin kein uneingeschränktes Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige gegenüber einem Arzt aussprechen.

Die Ärztekammer Berlin hatte einem Arzt, der in Berlin tätig und zum damaligen Zeitpunkt zweiter Vorsitzender des Vereins Dignitate (heute: Dignitas Deutschland) war, im Jahr 2007 untersagt, anderen Personen todbringende Substanzen für deren beabsichtigten Suizid zum Gebrauch zu überlassen. Hiergegen wandte sich der Arzt mit seiner Klage.

Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts hielt das ausnahmslose berufsrechtliche Verbot in der Untersagungsverfügung, eine ärztliche Beihilfe zum Suizid durch Überlassen von Medikamenten zu begehen, im konkreten Fall für zu weitgehend und hat es deshalb aufgehoben. Die Ärztekammer dürfe die Berufsausübung ihrer Mitglieder zwar auf der Grundlage des Berliner Kammergesetzes überwachen und bei drohenden Pflichtverstößen Untersagungsverfügungen erlassen. Zu den Berufspflichten der Ärzte gehöre die gewissenhafte Ausübung ihres Berufs u. a. nach den Geboten der ärztlichen Ethik. Die ärztliche Ethik umfasse die durch den Ärztestand anerkannten, den einzelnen Standesgenossen bindenden Grundregeln des Berufs. Diesen Grundregeln sei ein allgemeines Verbot des ärztlich assis-tierten Suizids zu entnehmen. Hiergegen verstoße die Überlassung todbringender Medikamente an sterbewillige Personen.

Gemessen am verfassungsrechtlichen Maßstab der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) und der Gewissensfreiheit des Arztes (Art. 2 Abs. 1 GG) habe aber kein uneingeschränktes Verbot des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen werden dürfen. Mit den genannten Grundrechten unvereinbar sei es nämlich, die ärztliche Beilhilfe zum Suizid auch in Ausnahmefällen unter Androhung eines Zwangsgeldes zu verbieten, in denen ein Arzt aufgrund einer lang andauernden, engen persönlichen Beziehung in einen Gewissenkonflikt geraten würde, weil die Person, die freiverantwortlich die Selbsttötung wünsche, unerträglich und irreversibel an einer Krankheit leide und alternative Mittel der Leidensbegrenzung nicht ausreichend zur Verfügung stünden. Der Kläger habe dargelegt, dass ein solcher Ausnahmefall für ihn außerhalb seiner Tätigkeit für den Sterbehilfeverein keine bloß theoretische Möglichkeit darstelle.

Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass ein Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige verfassungsrechtlich unbedenklich sei, soweit diese Gesunden oder in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigten psychisch Kranken überlassen werden sollen. Ohne weiteres zulässig sei auch ein Verbot beruflicher oder organisierter Sterbehilfe, wie sie der Verein Dignitas anbiete.

Das Gericht hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Urteil der 9. Kammer vom 30. März 2012, VG 9 K 63.09.

Quelle: Pressemeldung des VG