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Nach Ansicht von Generalanwalt Cruz Villalón hat die Entscheidung eines zuständigen nationalen Gerichts, mit der einem Verletzer untersagt wird, die Benutzung einer eingetragenen Gemeinschaftsmarke fortzusetzen, im Allgemeinen Wirkungen in der gesamten Union

Die nationalen Gerichte der anderen Mitgliedstaaten müssen die ergänzend zu dem Verbot erlassenen Zwangsmaßnahmen anerkennen und nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts vollstrecken

Die Verordnung über die Gemeinschaftsmarke1 sieht einen einheitlichen Titel des geistigen Eigentums vor, der im gesamten Gebiet der Union wirksam ist, und schafft zu seinem Schutz ein spezialisiertes Rechtssprechungssystem auf zwei Ebenen. Auf der einen Seite entscheidet das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM), dessen Entscheidungen beim Gericht und möglicherweise beim Gerichtshof angefochten werden können, über Streitigkeiten zwischen Privaten und der für die Führung des Gemeinschaftsmarkenregisters zuständigen Verwaltung. Auf der anderen Seite entscheiden die „Gemeinschaftsmarkengerichte“, eine begrenzte Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz, die vom jeweiligen Mitgliedstaat benannt werden, über Streitigkeiten zwischen Privaten. Im Rahmen dieses Systems handeln die nationalen Gerichte als spezifische Organe der Union.

Nach der Verordnung verbieten die Gemeinschaftsmarkengerichte, wenn sie eine Verletzung oder drohende Verletzung einer Gemeinschaftsmarke feststellen, dem Verletzer, die Handlungen, die die Gemeinschaftsmarke verletzen oder zu verletzen drohen, fortzusetzen. Sie können ferner nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts die erforderlichen Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird.

Die Gesellschaft Chronopost SA ist Inhaberin der französischen Marke und der Gemeinschaftsmarke „WEBSHIPPING“, vor allem für Dienstleistungen der Abholung und Auslieferung von Postsendungen. Nach der Anmeldung dieser Marken benutzte DHL Express (France) SAS denselben Begriff zur Bezeichnung einer Dienstleistung der Verwaltung von Eilbriefen, die insbesondere über das Internet zugänglich sind. Im Jahr 2007 stellte das Tribunal de Grande Instance de Paris als Gemeinschaftsmarkengericht das Vorliegen einer Markenrechtsverletzung fest, verbot DHL, die den Verstoß begründenden Handlungen fortzusetzen und verhängte ein Zwangsgeld, d. h. eine Geldstrafe für den Fall der Verletzung des Verbots.

Im letzten Rechtszug erhob DHL ein Rechtsmittel an die Cour de Cassation. Chronopost erhob ihrerseits ein Anschlussrechtsmittel und focht die Beschränkung der räumlichen Wirkung des Verbots und des Zwangsgeldes auf das Gebiet Frankreichs an. Vor diesem Hintergrund richtete die Cour de Cassation ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof, um im Wesentlichen die territoriale Reichweite des von einem Gemeinschaftsmarkengericht erlassenen Verbots sowie der ergänzend zu dem Verbot erlassenen Zwangsmaßnahmen zu klären.

1 Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1).

2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

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In seinen Schlussanträgen vom heutigen Tag vertritt Generalanwalt Cruz Villalón zunächst die Ansicht, dass ein von einem nationalen Gericht als Gemeinschaftsmarkengericht ausgesprochenes Verbot grundsätzlich im gesamten Unionsgebiet wirkt.

Der Generalanwalt weist dazu darauf hin, dass die Verordnung dem zuständigen nationalen Gericht die Befugnis einräumt, festzustellen, dass eine Marke in einem oder mehreren Mitgliedstaaten verletzt wurde, damit ihr Inhaber die Einstellung von Verletzungshandlungen in mehreren Mitgliedstaaten vor einem einzigen Gericht verlangen kann. Die Feststellung einer Verletzung bezieht sich auf eine von der Union verliehene Marke, deren gerichtlicher Schutz den nationalen Gerichten anvertraut ist, die spezifische Gerichte der Union sind, und so im Allgemeinen Wirkungen in der gesamten Union hat.

Nichtsdestoweniger ist in Fällen, in denen sich die Verletzung oder die Reaktion auf die Verletzung auf einen besonderen geografischen oder sprachlichen Raum beschränkt, auch die Entscheidung des Gerichts räumlich begrenzt. Daraus folgt, dass die räumliche Reichweite des Verbots im Allgemeinen der Reichweite des Verstoßes entspricht, da das Verbot die natürliche Folge der Feststellung des Verstoßes ist.

Ferner ist der Generalanwalt der Ansicht, dass sich Zwangsmaßnahmen auf das Gebiet erstrecken, in dem die Verletzung festgestellt und ein Verbot angeordnet wurde.

Die Festsetzung und Vollstreckung dieser Maßnahmen gehören nämlich zu einem weiteren Schritt, in dem bei einer Verletzung des Verbots die Strafgewalt tätig wird. Das Gericht, das das Zwangsgeld angedroht hat, ist nur dann für seine Festsetzung und Vollstreckung zuständig, wenn die Verletzung in seinem Mitgliedstaat erfolgt. Erfolgt sie hingegen in einem anderen Mitgliedstaat, ist die Festsetzung und Vollstreckung Sache der Gerichte dieses Staates.

Um jedoch die Befolgung des Verbots sicherzustellen, ist das Gericht des Staates, in dem das Verbot verletzt wurde, zur Anerkennung der Wirkungen des vom Gemeinschaftsmarkengericht eines anderen Mitgliedstaats angedrohten Zwangsgelds verpflichtet, und zwar nach Maßgabe der in der Brüssel-I-Verordnung2 vorgesehenen Anerkennungsregeln.

Ferner sind solche Maßnahmen den Besonderheiten der jeweiligen Rechtsordnung anzupassen. Daher ist das Gericht des Staates, in dem das Verbot verletzt wurde, darauf beschränkt, sofern sein innerstaatliches Recht dies zulässt, die Entscheidung anzuerkennen und im konkreten Fall das Zwangsgeld zu verhängen. Sieht das innerstaatliche Recht hingegen keine solche Maßnahme vor, muss es die repressive Zielsetzung nach Maßgabe seiner innerstaatlichen Bestimmungen beachten.

HINWEIS: Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Quelle: curia.europa.eu