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Der EuGH hat klar gestellt, dass die Benutzung einer fremden Marke im Rahmen von Referenzierungsdiensten keine Markenverletzung darstellt, sofern keine Verwechslungsgefahr besteht und keine nachgeahmten Produkte angeboten werden.

„Wenn dagegen im Internet anhand eines Schlüsselworts, das einer bekannten Marke
entspricht, eine Werbung gezeigt wird, mit der ­ ohne eine bloße Nachahmung von Waren
oder Dienstleistungen des Inhabers dieser Marke anzubieten, ohne diese zu verwässern oder ihre
Wertschätzung zu beeinträchtigen (Verunglimpfung) und ohne im Übrigen die Funktionen dieser
Marke zu beeinträchtigen ­ eine Alternative zu den Waren oder Dienstleistungen des Inhabers
der bekannten Marke vorgeschlagen wird, fällt eine solche Benutzung grundsätzlich unter
einen gesunden und lauteren Wettbewerb im Bereich der fraglichen Waren oder
Dienstleistungen.“

Die Pressemeldung des EuGH

 

Urteil in der Rechtssache C-323/09
Interflora Inc., Interflora British Unit / Marks & Spencer plc, Flowers Direct
Online Ltd
Presse und Information

Der Gerichtshof präzisiert den Umfang des Markenschutzes
in der Europäischen Union

Im vorliegenden Fall hat das nationale Gericht u. a. zu prüfen, ob Marks & Spencer durch
Benutzung von der Marke ihres Mitbewerbers Interflora entsprechenden Schlüsselwörtern im
Rahmen des Google-Referenzierungsdienstes eine der ,,Funktionen“ dieser Marke beeinträchtigt
oder diese in unlauterer Weise ausgenutzt (Trittbrettfahren) hat

Das amerikanische Unternehmen Interflora Inc. betreibt ein weltweites Blumenliefernetz. Interflora
British Unit ist Lizenznehmerin von Interflora Inc. Das Netz von Interflora besteht aus Floristen, bei
denen persönlich, telefonisch oder über das Internet Bestellungen aufgegeben werden können, die
dann von dem Mitglied des Netzes, das dem Lieferort der Blumen am nächsten ist, ausgeführt
werden.

INTERFLORA ist eine nationale Marke im Vereinigten Königreich und auch eine
Gemeinschaftsmarke. Diese Marken haben im Vereinigten Königreich und in anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen hohen Bekanntheitsgrad.

Marks & Spencer (M & S), eine Gesellschaft englischen Rechts, gehört zu den wichtigsten
Einzelhandelsunternehmen im Vereinigten Königreich. Ihre Tätigkeiten umfassen auch den
Verkauf und die Lieferung von Blumen. Diese Geschäftstätigkeit erfolgt somit im Wettbewerb mit
derjenigen von Interflora.

Im Zusammenhang mit dem ,,AdWords“-Referenzierungsdienst von Google wählte M & S das Wort
,,Interflora“ und Varianten dieses Wortes wie ,,Interflora Flowers“, ,,Interflora Delivery“,
,,Interflora.com“ und ,,Interflora co uk“ als Schlüsselwörter. Folglich erschien, wenn Internetnutzer
das Wort ,,Interflora“ oder eine jener Varianten als Suchbegriff in die Suchmaschine Google
eingaben, eine Anzeige von M & S.

Der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Vereinigtes Königreich), bei dem
Interflora gegen M & S wegen Verletzung ihrer Markenrechte Klage erhob, legt dem Gerichtshof
Fragen zu mehreren Aspekten der Benutzung von mit einer Marke identischen Schlüsselwörtern
ohne Zustimmung des Markeninhabers im Rahmen eines Internetreferenzierungsdienstes vor1.

Der Gerichtshof weist zunächst darauf hin, dass in dem Fall, in dem ein Dritter ein mit der Marke
identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen benutzt, die mit denjenigen identisch sind, für
die die Marke eingetragen ist, der Markeninhaber eine solche Benutzung nur verbieten darf, wenn
sie eine der ,,Funktionen“ der Marke beeinträchtigen kann. Ihre Hauptfunktion ist die
Gewährleistung der Herkunft der von der Marke erfassten Ware oder Dienstleistung gegenüber
den Verbrauchern (herkunftshinweisende Funktion); die anderen Funktionen sind insbesondere die
Werbe- und die Investitionsfunktion. Der Gerichtshof hebt hierzu hervor, dass die
herkunftshinweisende Funktion der Marke nicht deren einzige Funktion ist, die gegenüber
Beeinträchtigungen durch Dritte schutzwürdig ist. Eine Marke stellt nämlich häufig ­ neben einem
Hinweis auf die Herkunft der Waren oder Dienstleistungen ­ ein Instrument der Geschäftsstrategie
dar, das u. a. zu Werbezwecken oder zum Erwerb eines Rufs eingesetzt wird, um den Verbraucher
zu binden.

Unter Bezugnahme auf sein Urteil Google2 stellt der Gerichtshof fest, dass die
herkunftshinweisende Funktion einer Marke beeinträchtigt ist, wenn aus der anhand eines der
Marke entsprechenden Schlüsselworts erscheinenden Anzeige für einen normal informierten und
angemessen aufmerksamen Internetnutzer nicht oder nur schwer zu erkennen ist, ob die in der
Anzeige beworbenen Waren oder Dienstleistungen von dem Inhaber der Marke oder einem mit
ihm wirtschaftlich verbundenen Unternehmen oder vielmehr von einem Dritten stammen. Dagegen
beeinträchtigt die Benutzung eines mit einer fremden Marke identischen Zeichens im Rahmen
eines Internetreferenzierungsdienstes wie ,,AdWords“ nicht die Werbefunktion der Marke.

Weiter prüft der Gerichtshof zum ersten Mal den Schutz der Investitionsfunktion der Marke.
Diese Funktion der Marke ist beeinträchtigt, wenn ein Mitbewerber ein mit der Marke
identisches Zeichen für identische Waren oder Dienstleistungen benutzt und diese
Benutzung es dem Markeninhaber wesentlich erschwert, seine Marke zum Erwerb oder zur
Wahrung eines Rufs einzusetzen, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden.
In einer Situation, in der die Marke bereits einen Ruf genießt, wird die Investitionsfunktion
beeinträchtigt, wenn eine solche Benutzung Auswirkungen auf diesen Ruf hat und damit dessen
Wahrung gefährdet.

Dagegen darf der Markeninhaber einen Mitbewerber nicht an einer solchen Benutzung
hindern können, wenn diese lediglich zur Folge hat, dass der Markeninhaber seine
Anstrengungen zum Erwerb oder zur Wahrung eines Rufs, der geeignet ist, Verbraucher
anzuziehen und zu binden, anpassen muss. Ebenso wenig kann der Markeninhaber mit Erfolg
den Umstand anführen, dass diese Benutzung einige Verbraucher veranlassen werde, sich von
Waren oder Dienstleistungen der genannten Marke abzuwenden.

Im vorliegenden Fall ist es Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Benutzung des mit der
Marke INTERFLORA identischen Zeichens durch M & S die Möglichkeit von Interflora gefährdet,
einen Ruf zu wahren, der geeignet ist, Verbraucher anzuziehen und zu binden.

Zu den zusätzlichen Fragen betreffend den verstärkten Schutz bekannter Marken und
insbesondere       zur   Tragweite     der    Begriffe ,,Verwässerung“      (Beeinträchtigung der
Unterscheidungskraft der bekannten Marke) und ,,Trittbrettfahren“ (Unlautere Ausnutzung der
Unterscheidungskraft oder der Wertschätzung der Marke) stellt der Gerichtshof u. a. fest, dass es
als Trittbrettfahren zu beurteilen sein kann, wenn ohne ,,rechtfertigenden Grund“ im Rahmen eines
Referenzierungsdienstes Zeichen ausgewählt werden, die mit einer fremden bekannten Marke
identisch oder ihr ähnlich sind. Dies kann insbesondere für Fälle anzunehmen sein, in denen
Werbende im Internet mittels Auswahl von Schlüsselwörtern, die bekannten Marken entsprechen,
Waren zum Verkauf anbieten, die Nachahmungen von Waren des Inhabers dieser Marken sind.

Wenn dagegen im Internet anhand eines Schlüsselworts, das einer bekannten Marke
entspricht, eine Werbung gezeigt wird, mit der ­ ohne eine bloße Nachahmung von Waren
oder Dienstleistungen des Inhabers dieser Marke anzubieten, ohne diese zu verwässern oder ihre
Wertschätzung zu beeinträchtigen (Verunglimpfung) und ohne im Übrigen die Funktionen dieser
Marke zu beeinträchtigen ­ eine Alternative zu den Waren oder Dienstleistungen des Inhabers
der bekannten Marke vorgeschlagen wird, fällt eine solche Benutzung grundsätzlich unter
einen gesunden und lauteren Wettbewerb im Bereich der fraglichen Waren oder
Dienstleistungen.

 

1
Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), aufgehoben durch die Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Marken (ABl. L 299, S. 25).
Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1),
aufgehoben durch die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke
(ABl. L 78, S. 1).
2
Urteil vom 23. März 2010, Google France und Google Inc. u. a./Louis Vuitton Malletier u. a. (C-236/08 bis C-238/08),
vgl. Pressemitteilung Nr. 32/10.
HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem
bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach
der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen
Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung
des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere
nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht.
Pressekontakt: Jens Hamer       (+352) 4303 3255
Filmaufnahmen von der Verkündung des Urteils sind verfügbar über „Europe by Satellite“
(+32) 2 2964106