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Abwägung bei heimlichen Tonaufnahmen – OLG Dresden vom 24.09.2019

Immer wieder erreichen uns Anfragen von Unternehmen, bei denen heimlich Bild- und Tonaufnahmen hergestellt wurden, um diese später im Rahmen einer Berichterstattung zu verwenden. Insbesondere die Herstellung von Tonaufnahmen ist hierbei kritisch zu betrachten, werden deren Herstellung und Nutzung grds. durch § 201 StGB unter Strafe gestellt. Dies aber nur dann, wenn die Tonaufnahmen „unbefugt“ hergestellt werden. Daher hat in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen den Rechten der Presse aus Art.5 und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zu erfolgen. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG handelt es sich um einen offenen Tatbestand, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts seine Reichweite nicht absolut feststeht, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss. Die Frage, ob die Herstellung heimlicher Tonaufnahmen zu journalistischen Zwecken rechtswidrig ist, kann daher nicht ohne eine umfassende Abwägung beantwortet werden, bei der es neben dem Beitrag der rechtswidrig erlangten Informationen zu einer Diskussion von erheblichem öffentlichen Interesse entscheidend darauf ankommt, inwiefern die heimlichen Aufnahmen sich primär mit der Person oder  mit spezifischen Missständen beschäftigen und wie stark der Einbruch in die private Lebenssphäre ist (OLG Dresden. a.a.O.)

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Kai Jüdemann, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

 

OLG Dresden 4 U 1401/19

Urteil vom 24.09.2019

(…)

In dem Rechtsstreit

(…)

wegen einstweiliger Verfügung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch

(…)

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10.09.2019

für Recht erkannt:

I. Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig  vom 22.5.2019 teilweise abgeändert und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen  Verfügung der Verfügungsklägerin zu 2) zurückgewiesen. Im Übrigen wird die  Berufung der Verfügungsbeklagten zurückgewiesen.
II. Die Gerichtskosten tragen die Verfügungsbeklagten zu jeweils ¼, die  Verfügungsklägerin zu 2) zu ½. Die außergerichtlichen Kosten beider
Verfügungsbeklagten tragen diese und die Verfügungsklägerin zu jeweils ½. Die  außergerichtlichen Kosten der Verfügungsklägerin zu 1) tragen die Verfügungsbeklagten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Beschluss:

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 15.000,- EUR festgesetzt.

G R Ü N D E:

I.

(Von der Aufnahme des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313a, 525, 542 Abs. 2 ZPO).

II.

Die Berufung der Verfügungsbeklagten (Beklagten) ist zulässig und hat in der Sache aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Einen Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1,  2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB kann lediglich die Verfügungsklägerin (Klägerin) zu 1) geltend  machen. Bezüglich der Klägerin zu 2) war das angefochtene Urteil abzuändern und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.

1. Die streitgegenständlichen Unterlassungsanträge sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits wegen Nichtangabe der Wohnanschrift der Klägerinnen unzulässig. Zwar muss entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Antragsschrift u. a. die Bezeichnung der Parteien aufweisen. Damit ist indessen zunächst lediglich vorgeschrieben, dass, aber nicht wie die Parteien zu bezeichnen sind (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.1977 – VII ZR 167/76 -juris); erforderlich ist eine Kenntlichmachung der Parteien, die so bestimmt ist, dass über ihre Identität kein Zweifel bestehen kann. Hinsichtlich der mitzuteilenden Anschrift der Parteien ist § 253 Abs. 2 ZPO selbst kein zwingendes Erfordernis zu entnehmen; die durch § 253 Abs. 4 ZPO in Bezug genommene Norm des § 130 Nr. 1 ZPO stellt lediglich eine „Soll-Vorschrift” dar (vgl. hierzu BGH v. 9.12.1987 – IVb ZR 4/87- juris). Selbst für die Angabe der ladungsfähigen Anschrift des Beklagten die – anders als die Anschrift des Klägers – für die Zustellung der Klageschrift und damit die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses von Belang ist, hat der BGH eine
Verpflichtung des Klägers, zwingend die Wohnanschrift des Beklagten anzugeben, verneint. Ausreichend sei die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, bei der die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass dort eine ordnungsgemäße Zustellung vorgenommen werden könne. Unter einer ladungsfähigen Anschrift in diesem Sinne sei nicht nur eine solche zu verstehen, unter der auch eine Ersatzzustellung in Betracht komme, sondern in „geeigneten Fällen“ auch die Angabe der Arbeitsstelle sofern diese und der Zustellungsempfänger sowie dessen dortige Funktion so konkret und genau bezeichnet würden, dass von einer ernsthaften Möglichkeit ausgegangen werden kann, die Zustellung durch Übergabe werde gelingen; für den beklagten Arzt eines Krankenhauses sei dies der Fall (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2000 – VI ZR 198/99 – juris). Unabhängig davon, dass im hier gegebenen Anwaltsprozess eine Zustellung an die Klägerseite jedenfalls gesichert ist, sind die Klägerinnen auch vorliegend an ihrer Arbeitsstätte hinreichend identifizierbar.

2. Zutreffend ist das Landgericht zumindest für das Verfügungsverfahren davon ausgegangen, dass die Klägerin zu 1) in dem streitgegenständlichen Beitrag erkennbar dargestellt und damit eine Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts möglich ist. Es entspricht allgemeiner Auffassung, dass die Erkennbarkeit die vollständige oder auch nur abgekürzte Namensnennung nicht voraussetzt, vielmehr die Übermittlung von Teilinformationen ausreicht, aufgrund derer der Betroffene begründeten Anlass hat anzunehmen, er könne innerhalb eines mehr oder minder großen Bekanntenkreises erkennt werden (Senat, Urteil vom 30.8.2016 – 4 U 314/16 n.v.). Ob der in diesem
Zusammenhang vom Landgericht zitierten Rechtsprechung des OLG Saarbrücken (Urteil vom 29.4.2009, 5 U 465/08), das angenommen hat, es reiche bei der Berichterstattung über berufliche Umstände aus, wenn der Betroffene auch nur theoretisch von Arbeitskollegen erkannt werden könne, uneingeschränkt gefolgt werden kann, kann hier dahinstehen. Die Klägerin hat jedenfalls durch die als Anlage ASt 11 vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Frau Laila Helmer vom 28.8.2019 hinreichend im Sinne des § 294 ZPO glaubhaft gemacht, aufgrund ihres charakteristischen Körperbaus, einer für sie typischen Handbewegung und des aus dem „Kasack“ heraushängenden Schlüsselbundes tatsächlich erkannt worden zu sein. Ob hiervon auch mit einer dem Maßstab des § 286 ZPO genügenden Gewissheit ausgegangen werden kann, wird das Landgericht ggfs. im Hauptsacheverfahren zu klären haben.
Die Klägerin muss, wie das Landgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, es nicht hinnehmen, durch die Montage der Filmsequenz in Verbindung mit dem Kommentar als untätig und teilnahmslos gegenüber den psychisch kranken Bewohnern dargestellt zu werden, obwohl sie unstreitig bei dem „Urinzwischenfall“ nicht im Dienst war. Ob in dem Filmschnitt dieser Sequenz eine bewusste Manipulation oder ein Versehen liegt, kann hierfür dahinstehen. Der Gesamteindruck dieser Szene enthält jedenfalls die unzutreffende Tatsachenbehauptung, die Klägerin zu 1) sei bei dem Vorfall zugegen gewesen. Das Interesse der Beklagten, eine solche unwahre Behauptung verbreiten zu dürfen, muss gegenüber dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) zurücktreten. Dies gilt selbst dann, wenn man auf der Grundlage der als Anlage BB7 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Beklagten zu 1) davon ausgeht, dass in dem Pflegeheim gravierende hygienische Mängel geherrscht haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insofern Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts.

3. Anders liegt es hinsichtlich der Klägerin zu 2). Ob diese in dem Beitrag für Dritte erkennbar dargestellt ist, hält der Senat nach Durchsicht der streitgegenständlichen Filmsequenz ab Stunde 1: 49 auf der zu den Gerichtsakten gelangten DVD angesichts der starken Verpixelung und der Verfremdung ihrer Stimme für zweifelhaft. Anders als die Klägerin zu 1) hat die Klägerin zu 2) auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, von Dritten tatsächlich erkannt worden zu sein. Ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 29.3.2019 (ASt 7) lässt sich weder entnehmen, von wem sie erkannt worden sein will noch aufgrund welcher Merkmale dies möglich gewesen sein soll. Dies kann jedoch auch dahinstehen, weil Herstellung und Verbreitung der streitgegenständlichem Filmsequenz in Abwägung mit der Presse,- und Meinungsfreiheit der Beklagten zulässig war.

Allerdings betrifft die Verbreitung der verdeckt gefertigten Aufnahmen die Klägerin zu 2) in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das auch die Mitarbeiter der XXX-GmbH davor schützt, dass vertrauliche Äußerungen in einem auch räumlich Dritten nicht ohne weiteres zugänglichen Bereich nicht an die Öffentlichkeit geraten. Dies folgt auch aus § 201 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Ein nichtöffentlich gesprochenes Wort im Sinne dieser Norm liegt auch bei einem Dienstgespräch vor, es sei denn, es erfolgt gegenüber einem nicht begrenzten Personenkreis oder es liegen Umstände vor, bei denen mit einem Mithören gerechnet werden muss (Fischer, StGB, 66. Aufl. § 201 Rn 4 m.w.N.).
Letzteres ist hier nicht ersichtlich. Diese Aufnahmen hat der Beklagte zu 1) auch im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 2 StGB gebraucht und Dritten zugänglich gemacht. Diese Taten sind der Beklagten zu 2), die als juristische Person sich nicht selbst strafbar machen kann, auch im vorliegenden Kontext zuzurechnen. Eine Verletzung von § 201a Abs. 1 StGB liegt demgegenüber nicht vor. Weder handelt es sich bei den
Stationsräumlichkeiten, in denen die heimlichen Aufnahmen gefertigt wurden, um die Wohnung der Klägerin zu 2) oder einen gegen Einblick besonders geschützten Raum noch ist diese eine hilflose Person im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB.

Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG handelt es sich aber um einen offenen Tatbestand, da wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts seine Reichweite nicht absolut feststeht, sondern erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden muss, weil die besonderen Umstände des Einzelfalls, die betroffenen Grundrechte sowie die Gewährleistungen der EMRK interpretationsleitend zu berücksichtigen sind (vgl. statt aller BGH, Urteil vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13 – Urteil vom 30.09.2014 – VI ZR 490/12 -, NJW 2015, 782 ff.). Obwohl § 201 Abs. 2 S. 3 StGB auf eigene Recherchen sowie die Veröffentlichung selbst recherchierten Materials keine Anwendung findet (OLG Köln, Beschluss vom 18. Juli 2019 – 15 W 21/19 –, juris Rn 44 m.w.N.), ist der wertsetzende Gehalt der Pressefreiheit auch bei der Auslegung des Merkmals „unbefugt“ in § 201 StGB zur Geltung zu bringen. Die Frage, ob die Herstellung heimlicher Tonaufnahmen zu journalistischen Zwecken rechtswidrig ist, kann daher nicht ohne eine umfassende Abwägung beantwortet werden, bei der es neben dem Beitrag der rechtswidrig erlangten Informationen zu einer Diskussion von erheblichem öffentlichen Interesse entscheidend darauf ankommt, inwiefern die heimlichen Aufnahmen sich primär mit der Person oder
mit spezifischen Missständen beschäftigen und wie stark der Einbruch in die private Lebenssphäre ist (vgl. zu Art 10 EMRK, EGMR Haldimann and Others v. Switzerland – 21830/09, https://hudoc.echr.coe.int). Dem Grundrecht der Meinungsfreiheit kommt dabei
umso größeres Gewicht zu, je mehr es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen
Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. statt aller BGH, Urteil vom 30.09.2014 – VI ZR 490/12 – juris). Auf der anderen Seite ist aber auch das Mittel von wesentlicher Bedeutung, durch welches ein solcher Zweck verfolgt wird, in Fällen der vorliegenden Art also die Veröffentlichung einer durch Täuschung widerrechtlich beschafften und zu einem Angriff gegen den Getäuschten
verwendeten Information – nicht etwa nur die Verbreitung einer wertenden Äußerung. Ein solches Mittel indiziert in der Regel einen nicht unerheblichen Eingriff in den Bereich eines anderen, namentlich dann, wenn dieser wegen seiner Vertraulichkeit geschützt ist;
darüber hinaus gerät es in einen schwerwiegenden Widerspruch mit der Unverbrüchlichkeit des Rechts, einer Grundvoraussetzung der Rechtsordnung. Bei dieser Sachlage hat die Veröffentlichung grundsätzlich zu unterbleiben (BGH aaO.). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die in der dargelegten Weise widerrechtlich beschaffte und verwertete Information Zustände oder Verhaltensweisen offenbart, die ihrerseits nicht rechtswidrig sind; denn dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um Missstände von erheblichem Gewicht handelt, an deren Aufdeckung ein überragendes öffentliches Interesse besteht. (BGH a.a.O; OLG Köln, Urteil vom 16. November 2017 – 15 U 187/16
–, Rn. 106, juris).

Nach diesen Maßstäben ist vorliegend zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte zu 1) bei Herstellung der Aufnahmen durchgängig in einem räumlichen Bereich bewegte, zu dem ihm aufgrund seines Praktikumsvertrags der Zutritt gestattet war und dass er die Klägerin zu 2) nicht heimlich belauscht, sondern sich mit ihr unterhalten hat. Der Zutritt zum räumlich geschützten Bereich der Klägerin stellt sich damit nicht als Hausfriedensbruch im Sinne von § 123 StGB dar, da ein Eindringen im Sinne von § 123 StGB ein Überschreiten der gegenständlichen Grenze des geschützten Raums gegen den Willen des Berechtigten voraussetzt, so dass ein ausdrückliches oder stillschweigendes Einverständnis des Hausrechtsinhabers den Tatbestand ausschließt, und zwar selbst dann, wenn dieses – wie hier – durch Täuschung über Motiv oder Absichten erschlichen ist (vgl. Fischer, aaO., § 123, Rdnr. 16 f.).

An der Veröffentlichung des unter Verletzung der Rechte der Klägerin zu 2. erlangten Bildmaterials wie im Rahmen der Sendung vom 18.3.2019 geschehen, bestand auch ein erhebliches öffentliches Informationsinteresse, das die Beeinträchtigung der Interessen der Klägerin zu 2. sowie die Unverbrüchlichkeit des Rechts als Grundvoraussetzung für die Rechtsordnung überwiegt. Bei der streitgegenständlichen Berichterstattung handelte es sich nicht um eine unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage. Mit der Ausstrahlung des rechtswidrig erlangten Filmmaterials prangerten die Beklagten nämlich von ihnen erkannte erhebliche Missstände in der Betreuung und Pflege der Bewohner des XXX-Pflegeheims an, die vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung den viel diskutierten „Pflegenotstand“ illustrieren (in diesem Sinne auch OLG Köln, Urteil vom 16. November
2017 – 15 U 187/16 –, Rn. 107 -108, juris). Da die Mehrzahl der pflegebedürftigen Personen in Deutschland in Pflegeheimen und Krankenhäusern betreut werden, besteht an der Information über die Zustände in diesen Heimen ein erhebliches öffentliches Interesse, das sich nicht allein auf die Vermittlung von Zahlen beschränkt, sondern auch die Verdeutlichung durch Bild- und Tonaufnahmen umfasst, die über eine bloße Illustration hinaus einem Bericht erst Authentizität verleihen, weil sie dem Zuschauer einen Missstand plastisch vor Augen führen. Dies gilt auch im konkreten Fall: In der Gesamtschau des Filmbeitrags wird das XXX-Pflegeheim neben anderen Heimen in Deutschland als Negativbeispiel herausgestellt, dem sodann vermeintlich bessere Konzepte in einem anderen Heim gegenüber gestellt werden. Der Beitrag bemängelt u  a. erhebliche Unterbringungsprobleme sowie Hygienemängel, einen zu geringen Personalschlüssel sowie unzureichende Therapieangebote für die Bewohner, wobei die Verantwortung hierfür nicht den Mitarbeitern, sondern der Heimleitung angelastet wird.
Die heimliche Verabreichung von Medikamenten ist in diesen Kontext eingebettet und wird vor dem Hintergrund des bestehenden Personalmangels als Notlösung dargestellt. Durch die Bezugnahme auf weitere Fälle dieser Art wird für den Zuschauer deutlich, dass
mit der wiedergegebenen Aussage der Klägerin zu 2), es sei „gesetzlich – also eigentlich nicht erlaubt, Medizin unters Essen zu mischen, machen wir aber“ nicht diese selbst an den Pranger gestellt, sondern eine als im XXX-Pflegeheim als gängig erlebte und durch die Pflegeleitung offensichtlich gedeckte Praxis angeprangert werden soll. Dass es insofern nicht um die Klägerin als Person geht, wird auch daran deutlich, dass sie selbst verpixelt und ihre Stimme verfremdet wird und die Klägerin auch ansonsten nicht näher identifiziert wird. Regelmäßig ist aber Eingriffsintensität einer anonymisierten Berichterstattung nicht so hoch wie eine direkte Namensnennung bzw. eine unverpixelte Darstellung des Gesichts (Senat, Urteil vom 30.8.2016 – 4 U 314/96).
Dem steht auch nicht die eidesstattliche Versicherung der Klägerin zu 2) vom 29.3.2019 (Anlage ASt 7) entgegen, aus der sich ergibt, dass es sich bei dem gezeigten Vorfall um eine nur gelegentliche Verabreichung als Schluckhilfe für einen epilepsiekranken Patienten gehandelt haben soll, die auf ausdrückliche Bitte der Mutter und Betreuerin erfolgt sein und einen absoluten Ausnahmefall im Pflegeheim dargestellt haben soll.
Dass die Mutter des Patienten V. auch dessen gesetzliche Betreuerin ist, hat die Klägerin zu 2) durch eidesstattliche Versicherung sowie durch Übergabe eines teilanonymisierten Betreuerausweises im Senatstermin hinreichend glaubhaft gemacht. Nicht hinreichend glaubhaft gemacht ist indes, dass sie diesen Zusammenhang dem Beklagten zu 1) auch tatsächlich so geschildert hat. Ihre eidesstattliche Versicherung ist vielmehr durch den Vorbehalt „nach meiner Erinnerung“ weitgehend entwertet. Das im Schriftsatz vom 2.5.2019 enthaltene und im Berufungsverfahren durch eidesstattliche Versicherung (Anlage BB4) weiter untermauerte Bestreiten der Beklagten wird hierdurch nicht
entkräftet.

Ohnehin ist die verdeckte Gabe von Medikamenten aber selbst dann rechtswidrig, wenn man die in der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin zu 2) behauptete Zustimmung der Mutter und Betreuerin des Patienten V. zugrunde legt. Bei der verdeckten Gabe von
Medikamenten handelt es sich um eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinne von § 1906a Abs. 1 BGB. Ärztliche Maßnahmen in diesem Sinne sind Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ein ärztlicher Eingriff. Die Behandlung einer schweren Epilepsieerkrankung stellt fraglos eine Heilbehandlung in diesem Sinne dar. An dem Charakter einer Zwangsmaßnahme ändert sich auch dadurch nichts, dass die Medikamente unter das Essen gemischt werden sollen und somit für den Betroffenen verborgen „als Schluckhilfe“ verabreicht werden sollen. Auch bei dieser Art der Medikamentenverabreichung wird nämlich der natürliche Wille des Betreuten
überwunden, weil die Anwendung einer List dem unmittelbaren körperlichen Zwangs gleichzusetzen ist (LG Lübeck, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 7 T 19/14 –, Rn. 15 – 17, juris; Palandt-Götz, BGB, 78. Aufl. § 1906a Rn 3). Die Einwilligung der Betreuerin in die verdeckteMedikamentengabe hätte damit durch das Betreuungsgericht genehmigt werden müssen (§ 1906a Abs. 2 BGB), was hier auch nach der eidesstattlichen Versicherung der Klägerin zu 2) nicht erfolgt ist. Dass die verdeckte Darreichung durch einen Arzt angeordnet wurde, lässt sich dem Vorbringen der Klägerin ebenfalls nicht entnehmen.

Es tritt hinzu, dass die Klägerin zu 2) sich nicht privat, sondern gegenüber einem vermeintlichen Arbeitskollegen und zudem über einen Bereich geäußert hat, der allein ihre Sozialsphäre betraf. Im Verhältnis zu den Patienten im Pflegeheim, die in den
Parallelverfahren in hilfloser Situation dargestellt wurden, ist die Klägerin zu 2) überdies weniger schutzbedürftig, zumal ihr gegenüber auch eine Verletzung von § 201a StGB nicht erfolgt ist. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Beklagten durch die als Anlage Bb4 vorgelegte eidesstattliche Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht haben, in demPflegeheim die verdeckte Gabe von Medikamenten nicht nur gelegentlich, sondern regelhaft beobachtet zu haben und dass dem Patienten V. nicht nur lebensnotwendige Epilepsiemedikamente, sondern auch Beruhigungsmittel in dieser Weise verabreicht worden sind. Auch wenn die heimliche Herstellung der Tonaufnahmen und deren
anschließende Verwertung in einem TV-Beitrag einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 2) indizieren, überwiegt angesichts dessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller Umstände die Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten gegenüber der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 2), was eine Verbreitung der streitgegenständlichen Szene auch weiterhin rechtfertigt.

4. Im Anschluss hieran ist auch der Vorwurf einer „unvollständigen Berichterstattung“ über die Klägerin zu 2) nicht begründet. Einen Anspruch auf berichtigende Ergänzung entsprechend dem auch für die Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrag hat sie nicht. Ein solcher Anspruch kann nur gefordert werden, wenn infolge von Weglassungen ein den Tatsachen widersprechendes Bild entstanden ist (Wenzel/Gamer-Peifer, aaO. 13 Rn 111). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Dass Patienten auf die Einnahme ihrer Medikamente angewiesen sind, wie die Klägerin geltend macht, ist Voraussetzung für deren Verabreichung und bedarf keiner gesonderten Erwähnung. Die Ermächtigung der Mutter und Betreuerin, die Medikamente auch ohne Wissen des Betroffenen zu verabreichen, genügt als Rechtfertigung nicht, das Weglassen dieses Umstandes führt damit nicht zu einem verzerrten Bild beim Zuschauer. Der Hilfsantrag ist schließlich auch nicht nach § 9c Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 RStV (SächsGVBl. 2001, 18) als Anspruch auf „Hinzufügung einer eigenen Darstellung“ begründet. Im Unterschied zu den in § 9c Abs. 1 RStV enthaltenen Ansprüchen richten sich Ansprüche nach § 9 c Abs. 3 RStV nur gegen den Rundfunkveranstalter, nicht gegen die bei den „Hilfs-und Beteiligungsunternehmen“ befassten Personen. Er setzt zudem eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts voraus, an der es hier – wie aufgezeigt – gerade fehlt.
III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 100 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren hat ihre Grundlage in §§ 3 ZPO, 48 GKG. Nach § 48 Abs. 2 GKG ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs
und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Für die Streitwertfestsetzung bei Unterlassungsansprüchen wegen einer Ehrverletzung ist neben dem Grad der Verbreitung die Schwere des Vorwurfs sowie die Beeinträchtigung des sozialen Geltungsanspruches des Verletzten in der Öffentlichkeit, die wirtschaftliche Bedeutung sowie die sonstige Bedeutung der Sache einzubeziehen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. zuletzt, Beschluss vom20. November 2018 – 4 W 982/18 -, juris Beschluss vom 09. April 2018 – 4 W 296/18 -, juris, vgl. auch Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 14. Aufl., Rn. 1830 ff.). Die Werte des § 52 Abs. 2 GKG und des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG bieten lediglich einen ersten Anhalt, der je nach den Umständen zu ermäßigen oder zu erhöhen ist (Zöller-Herget, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 3 Rn. 16, „Ehre“). Auch die Angabe des Verfahrenswerts in der Klageschrift ist nicht mehr als ein Indiz für den Wert des Interesses an der Abwehr der Persönlichkeitsrechtsverletzung und unterliegt einer selbstständigen Überprüfung durch das Gericht (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 05. Dezember 2018 – 5 U 58/18 -, Rn. 26, juris; Toussaint in: Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, Kostenrecht, Ed. 23, 2018, § 48 GKG, Rn. 40). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Streitwert im einstweiligen Verfügungsverfahren unter dem der Hauptsache liegt, weil das für ein Verfahren maßgebende Interesse des Antragstellers an der Sicherstellung im Regelfall nicht das Befriedigungsinteresse erreicht (Zöller-Herget, aaO. § 3 Rn. 16 Stichwort: „Einstweilige Verfügung“), beträgt der Streitwert einer Unterlassungsklage ohne besondere Bedeutung im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung regelmäßig 5.000,00 EUR (Senat, Beschluss vom 11. März 2019 – 4 W 171/19 –, Rn. 2, juris; Beschluss vom 23.01.2013 – 4 W 1363/12). Vorliegend ist jedoch schon aufgrund der Ausstrahlung des streitgegenständlichen Beitrags im Hauptprogramm eines quotenstarken Privatrundfunkveranstalters von einer erheblichen Breitenwirkung auszugehen. Es tritt hinzu, dass sowohl auf Kläger,- als auch auf Beklagtenseite mehrere Parteien mit unterschiedlichen Anträgen vertreten sind. Dies
rechtfertigt auch für das Verfügungsverfahren einen Streitwert von 15.000,- €.

Unterschriften

Quelle: Justiz Sachsen