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Immer wieder aktuell: einem Gewerbetreibenden soll wegen rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilungen die Gewerbeerlaubnis entzogen werden, oder gar nicht erst erteilt bzw. wieder erteilt werden. Bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit sind den Behörden jedoch Grenzen gezogen – zum einen inhaltliche – aber gerade auch zeitliche. So sind getilgte oder tilgungsreife Entscheidungen nicht verwendbar. Hierzu eine Entscheidung aus dem Jahr 2008.

 

Niedersächsisches OVG · Beschluss vom 29. Januar 2008 · Az. 7 PA 190/07

Leitsätze des Verfassers

1 Wann eine Eintragung über eine Verurteilung zu tilgen ist, bestimmt sich nach §§ 45 ff. BZRG. Die Behörde ist nicht  nicht gehindert, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden auch auf die strafrechtlichen Verurteilungen der Vergangenheit zurückzugreifen,  Bei Eintragung mehrerer Straftaten ist die Tilgung nach § 47 Abs. 3 BZRG grundsätzlich erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Das ist hier – wie der Kläger selbst einräumt – nicht der Fall.

 
 

Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es ihm die Gewährung von Prozesskostenhilfe für seine auf Wiedergestattung des Gewerbes „Elektro-Fundgrube, An- und Verkauf von Waschmaschinen, Kühl- und Gefriergeräten, Herden etc.“ gerichtete Klage versagt hat, hat keinen Erfolg.

Nach § 35 Abs. 6 GewO ist die Wiedergestattung (erst) auszusprechen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Unzuverlässigkeit i.S.v. § 35 Abs. 1 GewO nicht mehr vorliegt. Diese Entscheidung erfordert – wie die Gewerbeuntersagung – eine Prognose über das künftige Verhalten des Antragstellers im Rechtsverkehr. Ob in diesem Rahmen ein Verwertungsverbot für frühere strafrechtliche Verurteilungen besteht, richtet sich nach §§ 51, 52 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG -). Getilgte oder zu tilgenden Verurteilungen sind – vorbehaltlich des § 52Abs. 1 Nr. 4 BZRG – nach § 51 Abs. 1 BZRG grundsätzlich nicht mehr zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 21.09.1992 – 1 B 152.92 -, GewArch 1995, 115; Beschl. v. 23.05.1995 – 1 B 78.95 -, GewArch 1995, 377). Wann eine Eintragung über eine Verurteilung zu tilgen ist, bestimmt sich nach §§ 45 ff. BZRG. Vorliegend ist der Beklagte rechtlich nicht gehindert, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit des Klägers als Gewerbetreibender auch auf die strafrechtlichen Verurteilungen der Vergangenheit zurückzugreifen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat. Bei Eintragung mehrerer Straftaten ist die Tilgung nach § 47 Abs. 3 BZRG grundsätzlich erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Das ist hier – wie der Kläger selbst einräumt – nicht der Fall.

3Der Ablauf der Tilgungsfrist stellt allerdings nur die äußerste zeitliche Grenze dar, von deren Erreichen ab die Eintragungen dem Antragsteller nicht mehr vorgehalten werden dürfen (Landmann/Rohmer, GewO, Loseblatt, § 35 Rdnrn. 174, 41). Die Regelvermutungsfristen für einzelne Gewerbe in §§ 33 c Abs. 2 Satz 2, 33 d Abs. 3 Satz 2, 33 i Abs. 2 Nr. 1 sowie §§ 34 b Abs. 4 Nr. 1, 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO von drei und fünf Jahren lassen eine gewisse Tendenz erkennen, die Zuverlässigkeit nach verhältnismäßig kurzer Zeit nicht mehr allein wegen Eintragungen im Bundeszentralregister zu verneinen (vgl. Landmann/Rohmer, aaO, § 35 Rdnr. 41 a.E.). Gleichwohl besteht kein Anlass, die Regelvermutung im Hinblick auf die genannten Vorschriften in Abweichung von den im Bundeszentralregistergesetz geregelten Tilgungs- und Verwertungsfristen (§§ 45 ff., 51 BZRG) gleichsam in eine Zuverlässigkeitsvermutung umzukehren, wie es der Kläger offenbar vor Augen hat. Der Gesetzgeber hat – wie sich aus § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG ergibt – die Problematik der Verwertung früherer Verurteilungen bei der Zulassung und Wiedergestattung des Gewerbes gesehen und im Interesse des Schutzes des Rechtsverkehrs vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden unter bestimmten Voraussetzungen sogar die Berücksichtigung von Strafurteilen nach ihrer Tilgung zugelassen. Die Prognose, ob und inwieweit längere Zeit zurückliegendes strafrechtliches Fehlverhalten die Annahme andauernder Unzuverlässigkeit rechtfertigt, erfordert vor diesem Hintergrund eine Gesamtwürdigung, in die namentlich Art und Umstände der Straftat und die Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers einzubeziehen sind (BVerwG, Beschl. v. 23.05.1995, aaO; Beschl. v. 09.07.1993 – 1 B 105.93 -, GewArch 1993, 414; Landmann/Rohmer, aaO, Rn. 41). Aus der Berücksichtigung von Eintragungen im Bundeszentralregister ergibt sich auch kein Schematismus. Denn eine Regelvermutung sieht das die Gewerbeordnung abseits der speziellen Regelungen für einzelne Gewerbe in §§ 33 c Abs. 2 Satz 2, 33 d Abs. 3 Satz 2, 33 i Abs. 2 Nr. 1 sowie §§ 34 b Abs. 4 Nr. 1, 34 c Abs. 2 Nr. 1 GewO weder in die eine noch in die andere Richtung vor. Die behördliche Entscheidung über die Wiedergestattung des Gewerbes ist vielmehr in jedem Einzelfall auf der Grundlage einer Prognose über das künftige Verhalten des Antragstellers im Rechtsverkehr zu treffen (BVerwG, aaO; Landmann/Rohmer, aaO).

4Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung der Richtigkeit der behördlichen Prognoseentscheidung ist dabei – anders als grundsätzlich in Gewerbeuntersagungsverfahren (s. BVerwG, Beschl. v. 14.5.1997 – 1 B 93.97 -,NVwZ-RR 1997, 621; grundlegend Urt. v. 2.2.1982 – 1 C 17.87 -¸ DVBl. 1982, 698; vgl. aber auch Nds. OVG, Urt. v. 15.9.1993 – 7 L 5832/92 -, NVwZ 1995, 185) – nicht der Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, sondern der der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung (vgl. NdsOVG, Urt. v. 15.1.1998 – 7 L 781/97 – juris unter Hinweis auf VGH Kassel, Urt. v. 18.3.1985 – 8 OE 136/81 – NJW 1986, 83), so dass auch nach Erlass des Ablehnungsbescheides eingetretene oder bekannt gewordene Umstände im gerichtlichen Verfahren noch berücksichtigt werden können. Der Beklagte ist daher nicht gehindert, die im Vermerk vom 7. Februar 2007 geschilderten Umstände des Verhaltens des Klägers gegenüber einem Kunden des Gewerbebetriebes, in dem er (angeblich als Angestellter) tätig ist, in seine Prognose über dessen künftige Zuverlässigkeit einzubeziehen. Gleiches gilt für das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen unerlaubter Gewerbeausübung. Zu beidem hat der Kläger sich im Klageverfahren und im Prozesskostenhilfeverfahren bisher nicht näher eingelassen. Vor dem Hintergrund der von ihm in der Vergangenheit begangenen Straftaten lässt eine Berücksichtigung dieser Umstände eine hinreichende Erfolgsaussicht für seine Klage (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO) nicht erkennen.