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Nach einer aktuellen Entscheidung des EuGH  genießt eine Portraitfotografie denselben urheberrechtlichen Schutz wie jedes  andere Werk. Gleichzeitig betont das Gericht die Schranken des Urheberrechts: Die Medien dürfen eine solche Fotografie  ohne Zustimmung ihres Urhebers veröffentlichen  wenn die Veröffentlichung im Rahmen kriminalpolizeilicher Ermittlungen der Polizei helfen soll, eine vermisste Person wiederzufinden.

Frau Painer ist selbständige Fotografin und fotografiert u. a. Kinder in Kindergärten und Horten. Im
Rahmen ihrer Tätigkeit hat sie mehrere Fotografien von Natascha K. gemacht (und dabei den
Hintergrund entworfen, die Position und den Gesichtsausdruck bestimmt, den Fotoapparat bedient
und die Fotos entwickelt).

Nachdem Natascha K. 1998 im Alter von zehn Jahren entführt worden war, erließ die
österreichische Polizei einen Fahndungsaufruf, für den die Fotos von Frau Painer verwendet
wurden.

Nach der Flucht von Natascha K. im Jahr 2006 und vor ihrem ersten öffentlichen Auftreten
veröffentlichten fünf Presseverlage ­ vier deutsche und ein österreichischer ­ diese Fotos in

bekannten Zeitungen bzw. Zeitschriften und auf Internetseiten, jedoch ohne Angabe des Namens
der Urheberin der Fotos bzw. unter Angabe eines anderen Namens als desjenigen von Frau
Painer als Urheberin.

Mehrere dieser Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichten außerdem ein durch digitale
Bearbeitung eines dieser Fotos hergestelltes Porträt, das, da es bis zu dem ersten öffentlichen
Auftreten von Natascha K. keine aktuellen Fotos von ihr gab, ihr vermutetes Aussehen wiedergab.

Da Frau Painer der Auffassung war, dass mit der Veröffentlichung dieser Fotos ihr Urheberrecht
verletzt worden sei, beantragte sie bei den österreichischen Gerichten, den Presseverlagen
aufzugeben, es zu unterlassen, die Fotos und das Phantombild ohne ihre Zustimmung und ohne
Angabe ihres Namens als Urheberin zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten. Sie verlangte auch
eine angemessenes Entgelt und Schadensersatz.

Das Handelsgericht Wien (Österreich), bei dem der Rechtsstreit anhängig ist, möchte vom
Gerichtshof wissen, ob das Unionsrecht Porträtaufnahmen einen schwächeren urheberrechtlichen
Schutz gewährt, weil sie ,,wirklichkeitsgetreu“ seien und geringere künstlerische
Gestaltungsmöglichkeiten aufwiesen. Ferner möchte das österreichische Gericht wissen, unter
welchen Umständen die Medien solche Aufnahmen ohne Zustimmung ihres Urhebers für
kriminalpolizeiliche Ermittlungen verwenden dürfen. Außerdem ersucht es den Gerichtshof um
Klärung, unter welchen Umständen ein geschütztes Werk zitiert werden darf.

In seinem Urteil vom heutigen Tag führt der Gerichtshof zunächst aus, dass das Urheberrecht nur
Objekte schützt, bei denen es sich um ein Original in dem Sinne handelt, dass es eine eigene
geistige Schöpfung seines Urhebers darstellt. Eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers liegt
vor, wenn darin seine Persönlichkeit zum Ausdruck kommt. Dies ist dann der Fall, wenn der
Urheber bei der Herstellung des Werks seine schöpferischen Fähigkeiten zum Ausdruck bringen
konnte, indem er frei kreative Entscheidungen trifft.

Der Gerichtshof stellt fest, dass der Urheber einer Porträtfotografie bei deren Herstellung auf
mehrfache Weise und zu unterschiedlichen Zeitpunkten frei kreative Entscheidungen treffen kann.
So kann er in der Vorbereitungsphase über die Gestaltung, die Haltung der zu fotografierenden
Person oder die Beleuchtung entscheiden. Bei der Aufnahme des Porträts kann der Urheber den
Bildausschnitt, den Blickwinkel oder auch die Atmosphäre wählen. Schließlich kann er bei der
Herstellung des Abzugs unter den verschiedenen bestehenden Entwicklungstechniken diejenige
wählen, die er einsetzen möchte, oder gegebenenfalls Software verwenden.

Der Urheber einer Porträtfotografie kann mit diesen unterschiedlichen Entscheidungen dem
geschaffenen Werk somit seine ,,persönliche Note“ verleihen. Daher ist eine Porträtfotografie
urheberrechtlich geschützt, wenn sie Ausdruck der schöpferischen Fähigkeiten ihres Urhebers
ist. Der Gerichtshof hebt außerdem hervor, dass dieser Schutz demjenigen entspricht, der
anderen Werken, auch fotografischen Werken, zukommt.

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Umfang des urheberrechtlichen Schutzes nach
dem Unionsrecht2 ausnahmsweise eingeschränkt sein kann, wenn das geschützte Werk zu
Zwecken der öffentlichen Sicherheit genutzt wird, insbesondere bei kriminalpolizeilichen
Ermittlungen zur Wiederauffindung einer vermissten Person. Hierzu führt der Gerichtshof aus,
dass nur Staaten ­ und nicht Presseverlage ­ als fähig und verantwortlich dafür anzusehen
sind, die öffentliche Sicherheit durch passende Maßnahmen wie etwa einen Fahndungsaufruf
sicherzustellen.

Es lässt sich jedoch nicht ausschließen, dass ein Presseverlag im Einzelfall zur Erreichung eines
Ziels der öffentlichen Sicherheit beitragen kann, indem er z. B. eine Fotografie einer gesuchten
Person veröffentlicht. Diese Initiative der Medien muss allerdings im Zusammenhang mit dem
Vorgehen der nationalen Behörden stehen, und sie muss im Einvernehmen und in Absprache mit
ihnen ergriffen werden, soll sie nicht deren Maßnahmen zuwiderlaufen. Der Gerichtshof weist aber
auch darauf hin, dass bei Ermittlungen eine Fotografie von den Medien veröffentlicht werden kann,
ohne dass zuvor ein konkreter, aktueller und ausdrücklicher Aufruf der Sicherheitsbehörden hierzu
ergangen wäre.

Schließlich stellt der Gerichtshof zur Zitierung von geschützten Werken fest, dass Werke, die der
Öffentlichkeit bereits rechtmäßig zugänglich gemacht worden sind, zitiert werden dürfen, sofern die
Quelle, einschließlich des Namens des Urhebers angegeben wird, es sei denn, dass sich dies als
unmöglich erweist.

In diesem Zusammenhang geht der Gerichtshof auf das Vorbringen der Presseverlage ein, sie
hätten Frau Painers Fotos von einer Presseagentur erhalten, aber Schwierigkeiten gehabt, die
Urheberin zu ermitteln, und ihren Namen auf den Fotos nicht angeben können. Der Gerichtshof
führt aus, dass die Presseagentur ­ sofern sie nicht rechtswidrig, d. h. ohne Zustimmung der
Urheberin, in den Besitz dieser Fotos gelangt ist ­ den Verlagen den Namen der Urheberin
mitteilen musste. Daher waren auch die Verlage gehalten, ihn in ihren Zeitungen anzugeben.

Es ist jedoch, so der Gerichtshof, auch möglich, dass es die nationalen Sicherheitsbehörden
waren, die die Fotos von Frau Painer der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Dabei musste
der Name der Urheberin nicht angegeben werden. In diesem Fall ist, sofern der Name der
Urheberin nicht angegeben wurde, nur die Angabe der Quelle dieser Fotografien, nicht aber die
Angabe des Namens ihrer Urheberin erforderlich.

 

Quelle: www.curia.europa.eu