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Presse und Information

 

Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-498/16

Maximilian Schrems / Facebook Ireland Limited, Pressemitteilung vom 14.11.2017

 

Nach Ansicht von Generalanwalts an EuGH Bobek kann ein Verbraucher Facebook Irland in seinem Heimatland verklagen. Soweit Ansprüche Dritter abgetreten wurden, kann sich der Zessionar nicht auf seine Verbrauchereigenschaft berufen, da dies zu unkontrollierten Sammelklagen führen könnte, wobei er sich positiv über Sammelklagen im Allgemeinen äußert.

Dem Verfahren vor dem EuGH hat liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Österreicher M,S. hat vor den österreichischen Gerichten Klage gegen  Facebook Ireland erhoben und geltend gemacht,  dass Facebook Ireland seine Rechte auf  Achtung der Privatsphäre und auf Datenschutz verletzt habe sowie die entsprechenden Rechte
weiterer Facebook-Nutzern, die deren Ansprüche an ihn abgetreten haben. Diese Nutzer haben ihren Wohnsitz in Österreich, Deutschland  und Indien.

Der Kläger begehrt u. a. die Ungültigerklärung bestimmter Vertragsklauseln, die Unterlassung der  Datenverwendung sowie Schadenersatz. Die Klage wurde mit Unterstützung einer Prozessfinanzierungsgesellschaft  (gegen ein Entgelt von 20 % des Erlöses) sowie einer PR-Agentur eingebracht.

Facebook Ireland bestreitet die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Erstens könne  der Kläger in diesem Verfahren nicht, oder jedenfalls nicht mehr, als Verbraucher angesehen werden. Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeiten in Verbindung mit seinen Ansprüchen  gegen Facebook Ireland habe er seine Verbrauchereigenschaft verloren. Er könne demnach nicht  die den Verbrauchern durch das Unionsrecht eingeräumte Möglichkeit in Anspruch nehmen,  einen ausländischen Vertragspartner an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen. Überdies zeige die  Einrichtung seiner Facebook-Seite, dass er Facebook beruflich nutze. Zweitens sei der  Verbrauchergerichtsstand strikt personengebunden und gelte nicht für abgetretene Ansprüche.

Der Oberste Gerichtshof (Österreich) hat den Gerichtshof um Klarstellung ersucht, ob der Verbrauchergerichtsstand bei diesen beiden Fallgestaltungen zur Anwendung kommt.

Nach der Sachverhaltsdarstellung durch den Obersten Gerichtshof ist der Kläger auf IT- und  Datenschutzrecht spezialisiert und verfasst derzeit eine Dissertation über die rechtlichen Aspekte  des Datenschutzes. Er verwendet Facebook seit 2008, wobei er es zunächst ausschließlich zu  privaten Zwecken unter falschem Namen nutzte. Seit 2010 verwendet er ein Facebook-Konto unter  seinem Namen – in kyrillischen Buchstaben geschrieben – zum privaten Gebrauch wie Fotos hochladen, „posten“ und „chatten“. Er hat ca. 250 „Facebook-Freunde“. Seit 2011 nutzt er auch eine Facebook-Seite. Diese Seite enthält Informationen über seine Vorträge, seine Teilnahme an Podiumsdiskussionen und seine Medienauftritte, die von ihm verfassten Bücher, seine  Spendenaufrufe sowie die von ihm angestrengten Gerichtsverfahren5 gegen Facebook Ireland.

 Im Jahr 2011 reichte der Kläger 22 Beschwerden gegen Facebook Ireland beim Irish Data Protection Commissioner  (irischer Datenschutzbeauftragter) ein. Aufgrund dieser Beschwerden erstellte der Data Protection Commissioner einen Prüfbericht, der Empfehlungen an Facebook Ireland enthielt, und in weiterer Folge einen Nachprüfungsbericht. Im Juni 2013 reichte der Kläger eine weitere Beschwerde gegen Facebook Ireland im Zusammenhang mit dem  Überwachungsprogramm PRISM ein, die zur Nichtigerklärung der „Safe Harbour“-Entscheidung der Kommission durch den Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-362/14, Schrems, führte (vgl. Pressemitteilung 117/15).

Im Zusammenhang mit seinem rechtlichen Vorgehen gegen Facebook Ireland veröffentlichte der Kläger Schrems zwei Bücher, hielt (teilweise entgeltlich) Vorträge, registrierte zahlreiche Websites (Blogs,  Onlinepetitionen, Crowdfunding für Verfahren gegen Facebook Ireland), erhielt verschiedene  Auszeichnungen und gründete den Verein zur Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz. Er hat ein Team von zehn, im Kern fünf, Personen um sich versammelt, die ihn bei „seiner Kampagne  gegen Facebook“ unterstützen.

Nach Ansicht des Generalanwalts führen Tätigkeiten wie Veröffentlichungen, das Halten von Vorträgen, der Betrieb von Websites oder die Sammlung von Spenden zur  Durchsetzung von Ansprüchen nicht zum Verlust der Verbrauchereigenschaft in Bezug auf Ansprüche im Zusammenhang mit dem eigenen, für private Zwecke genutzten Facebook- Konto. Somit könne der Kläger im Hinblick auf seine eigenen Ansprüche aufgrund der  privaten Nutzung seines eigenen Facebook-Kontos als Verbraucher angesehen werden.  Es obliege dem Obersten Gerichtshof, dies zu überprüfen.

Nach Auffassung des Generalanwalts hänge die Verbrauchereigenschaft im Allgemeinen davon ab,  welche Natur und welches Ziel der Vertrag zum Zeitpunkt seines Abschlusses hatte. Eine spätere  Nutzungsänderung kann nur in außergewöhnlichen Fällen Berücksichtigung finden. Sind die Natur  und das Ziel des Vertrags sowohl privat als auch beruflich, kann die Verbrauchereigenschaft  erhalten bleiben, sofern der berufliche „Gehalt“ als marginal angesehen werden kann. Wissen, Erfahrung, ziviles Engagement oder die Tatsache, dass aufgrund von Rechtsstreitigkeiten ein gewisses Ansehen erworben wurde, stehen für sich genommen der Einstufung als Verbraucher nicht entgegen.

Der Generalanwalt ist weiterhin der Ansicht, dass   ein Verbraucher, der berechtigt ist, an seinem eigenen Wohnsitz einen ausländischen Vertragspartner zu verklagen, nicht  gleichzeitig mit seinen eigenen Ansprüchen auch gleichgerichtete Ansprüche geltend  machen kann, die ihm von anderen Verbrauchern mit Wohnsitz an einem anderen Ort im gleichen Mitgliedstaat, in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten abgetreten wurden.

Der Verbrauchergerichtsstand sei stets auf die konkreten Parteien des speziellen Vertrags beschränkt ist.  Es wäre mit diesen Regeln nicht vereinbar, einem Verbraucher zu gestatten, den Verbrauchergerichtsstand auch für Ansprüche zu nutzen, die ihm von anderen Verbrauchern ausschließlich zur gerichtlichen Geltendmachung abgetreten wurden. Eine solche Ausdehnung würde es insbesondere ermöglichen, Klagen an einem Gerichtsstand zu konzentrieren und für Sammelklagen den günstigeren Gerichtsstand zu wählen, indem alle Ansprüche an einen Verbraucher mit Wohnsitz an diesem Gerichtsstand abgetreten würden. Dies könnte eine schrankenlose gezielte Abtretung an Verbraucher an einem beliebigen Gerichtsstand mit günstigerer Rechtsprechung, geringeren Kosten oder großzügigerer Prozesskostenhilfe zur Folge haben, was zur Überlastung einiger Gerichte führen könnte.

Für Generalanwalt Bobek stehe nach der Pressemeldung des EugH  außer Zweifel, dass Sammelklagen dem effektiven gerichtlichen Schutz der Verbraucher dienen. Werden sie gut konzipiert und umgesetzt, können sie auchweitere systemische Vorteile für das Justizsystem wie eine geringere Notwendigkeit vonParallelverfahren aufweisen. Es sei jedoch nicht Aufgabe des Gerichtshofs, solche Sammelklagenfür Verbrauchersachen zu schaffen, sondern obliegt gegebenenfalls dem Unionsgesetzgeber.

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Dieser hält sich jedoch meist an dessen Bewertung.

Quelle der Pressemeldung

Link zum Schlussantrag in deutscher Sprache

Press Release

Press and Information

Court of Justice of the European Union

PRESS RELEASE No 119/17

Luxembourg, 14 November 2017

Advocate General’s Opinion in Case C-498/16

Maximilian Schrems v Facebook Ireland Limited

 

 

According to Advocate General Bobek, Maximilian Schrems may be able to rely on
his consumer status in order to sue Facebook Ireland before the Austrian Courts
with respect to the private use of his own Facebook account

However, Mr Schrems cannot rely on his consumer status with respect to claims assigned to him
by other consumers

Mr Maximilian Schrems from Austria started legal proceedings against Facebook Ireland before the
Austrian Courts. He alleges that Facebook Ireland has violated his own privacy and data protection
rights1 and those of seven other Facebook users who assigned their claims for allegations of the
same violations to him2 in response to his online invitation to do so3. Those users are domiciled in
Austria, Germany and India.

1 Mr Schrems seeks among others that certain contract terms be declared invalid, an injunction as regards the use of
data, and damages. (14) These proceedings have been brought with the support of a litigation funding company for a fee
of 20% of the proceeds and with the support of a public relations agency. (15)

2 Purely for litigation purposes. (98)

3 Following this invitation, over 25 000 people have assigned their claims against the Facebook Ireland to Mr Schrems
through one of the websites registered by him. As of 9 April 2015 another 50 000 people were on a waiting list. (16)

4 Council Regulation (EC) No 44/2001 of 22 December 2000 on jurisdiction and the recognition and enforcement of
judgments in civil and commercial matters (‘the Brussels I Regulation’, OJ 2001 L 12, p. 1). (footnote 2)

5 In 2011, Mr Schrems submitted 22 complaints against Facebook Ireland before the Irish Data Protection
Commissioner. As a response to those complaints, the Data Protection Commissioner issued a review containing
recommendations to Facebook Ireland and, subsequently, a monitoring review. In June 2013 Mr Schrems brought a

Facebook Ireland challenges the international jurisdiction of the Austrian Courts. First, it alleges
that Mr Schrems cannot, in any case not any more, be regarded as a consumer for the purposes of
the proceedings against Facebook. Facebook Ireland argues that due to Mr Schrems’ professional
activities connected to his claims against the company, he has lost his consumer status. Mr
Schrems cannot therefore benefit from the privilege granted by EU law4 to consumers allowing
them to sue a foreign contract partner at home, in their own place of domicile. In any event, the
establishment of Mr Schrems’ Facebook page means his use of Facebook is professional.
Second, Facebook Ireland holds that the jurisdictional consumer privilege is strictly personal and
cannot be relied on for assigned claims.

The Oberster Gerichtshof (Supreme Court of Justice, Austria) has asked the Court of Justice to
clarify the jurisdictional consumer privilege with respect to these two issues.

The Oberster Gerichtshof sets out the background of the case and states that Mr Schrems
specialises in IT law and data protection law, and is writing a PhD thesis on the legal aspects of
data protection. He has used Facebook since 2008. First, he used Facebook exclusively for private
purposes under a false name. Since 2010, he has used a Facebook account under his name, spelt
using the Cyrillic alphabet, for his private use – uploading photos, posting online and using the
messenger service to chat. He has approximately 250 ‘Facebook friends’. Since 2011, he has also
used a Facebook page. That page contains information concerning the lectures he delivers, his
participations in panel debates and media appearances, the books he has written, a fundraiser he
has launched and information about the legal proceedings5 he has initiated against Facebook
Ireland.

further complaint against Facebook Ireland in relation to the PRISM surveillance programme which led to the annulment
of the Commission ‘Safe Harbour’ Decision by the Court of justice of the European Union in case C-362/14, Schrems,
see press release 117/15.

On the subject of these legal proceedings, Mr Schrems has published two books, delivered
lectures (sometimes for remuneration), registered numerous websites (blogs, online petitions,
crowdfunding actions for legal proceedings against the Defendant), obtained various awards and
founded the association Verein zur Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz. He has
assembled a team of 10 individuals with a core of five to support him in ‘his campaign against
Facebook’.

In today’s Opinion, Advocate General Michal Bobek proposes that the Court answer the
Oberster Gerichtshof, first, that the carrying out of activities such as publishing, lecturing,
operating websites, or fundraising for the enforcement of claims do not entail the loss of
consumer status for claims concerning one’s own Facebook account used for private
purposes’. Therefore, it would appear that Mr Schrems can be considered a consumer with
regard to his own claims arising from the private use of his own Facebook account. It is however
for the Oberster Gerichtshof to verify this.

According to the Advocate General, consumer status as a general rule depends on the nature and
the aim of the contract at the time it was concluded. An ulterior change in use may be taken into
account only in exceptional scenarios. In cases where the nature and the aim of the contract are
both private and professional, the consumer status may still be retained if the professional ‘content’
can be considered as marginal. Knowledge, experience, civic engagement or the fact of having
reached certain renown due to litigation do not in themselves prevent someone from being a
consumer.

The Advocate General proposes to answer, second, that a consumer who is entitled to sue
his foreign contact partner in his own place of domicile, cannot invoke, at the same time as
his own claims, claims on the same subject assigned by other consumers domiciled in
other places of the same Member State, in other Member States or in non-Member States’.

According to the Advocate General, the rules in question clearly show that the jurisdictional
consumer privilege is always limited to the concrete and specific parties to the contract. It would
be incompatible with these rules to allow a consumer to also make use of this privilege for claims
assigned to him by other consumers purely for litigation purposes. Such an extension would, in
particular, allow to concentrate claims in one jurisdiction and, for collective actions, to choose the
place of the more favourable courts, by assigning all claims to a consumer domiciled in that
jurisdiction. It could lead to unrestrained targeted assignment to consumers in any jurisdiction with
more favourable case-law, lower costs or more generous jurisdictional aid, potentially leading to
the overburdening of some jurisdictions.

Advocate General Bobek admits that collective redress serves the purpose of effective judicial
consumer protection. If well designed and implemented, it may also provide further systemic
benefits to the judicial system, such as reducing the need for concurrent proceedings. However, it
is not for the Court to create such collective redress in consumer matters, but eventually for the
Union legislator.

NOTE: The Advocate General’s Opinion is not binding on the Court of Justice. It is the role of the Advocates
General to propose to the Court, in complete independence, a legal solution to the cases for which they are
responsible. The Judges of the Court are now beginning their deliberations in this case. Judgment will be
given at a later date. —

 

NOTE: A reference for a preliminary ruling allows the courts and tribunals of the Member States, in disputes
which have been brought before them, to refer questions to the Court of Justice about the interpretation of
European Union law or the validity of a European Union act. The Court of Justice does not decide the
dispute itself. It is for the national court or tribunal to dispose of the case in accordance with the Court’s
decision, which is similarly binding on other national courts or tribunals before which a similar issue is raised.

 

Unofficial document for media use, not binding on the Court of Justice.

The full text of the Opinion is published on the CURIA website on the day of delivery.

Press contact: Holly Gallagher . (+352) 4303 3355

Pictures of the delivery of the Opinion are available from „Europe by Satellite“ . (+32) 2 2964106